Dafür gab es ein gutes Mittel. Doña Leonor hatte keinen Thronfolger geboren, wohl aber drei Infantinnen, so daß derjenige, der die älteste, die dreizehnjährige Berengaria, heiratete, Aussicht hatte, Kastilien zu erben. Immer war nahegelegen, die Infantin dem Kronprinzen von Aragon zu verloben, damit später einmal wieder ein Herrscher die Krone beider Länder trage, und wenn das Verlöbnis nicht längst zustande gekommen war, so war nur die tiefe gegenseitige Abneigung der Könige daran schuld gewesen. Nun war das Hindernis fort, man konnte die Infantin dem jungen Pedro verloben, und dieser, ohnehin ein Bewunderer Alfonsos, wird unschwer zu bewegen sein, die Oberhoheit des Schwiegervaters anzuerkennen, den er doch einmal beerben wird.
Don Alfonso hörte höflich und mit leiser Ungeduld zu, als ihm die Königin das auseinandersetzte: »Gut und klug, meine kluge Leonor«, meinte er. »Aber wir haben ja Zeit. Der Junge ist noch nicht in die Ritterschaft aufgenommen worden. Onkel Raimundez konnte es sich nicht abringen, mich um den Dienst zu bitten. Ich denke, zuerst einmal laden wir Don Pedro ein, Schwert und Würde hier aus meiner Hand entgegenzunehmen. Das Weitere ergibt sich von selbst.«
Dies abgesprochen, reiste das Königspaar mit einigem Prunk nach Saragossa zur feierlichen Bestattung des Don Raimundez.
Don Pedro, der junge König, zeigte Alfonso jene freudige Verehrung, die man erwartet hatte. Und er glühte vor Bewunderung für Doña Leonor. Sie war die große Dame, von welcher die Dichter sangen, die angebetete Schöne, für welche der Ritter in reiner Liebe brennt und die sich diese Liebe gütevoll gefallen läßt.
Doña Leonor beherzigte Don Alfonsos Meinung, man solle nichts überstürzen. Nur in allgemeinen, vagen Worten deutete sie an, daß sie und Don Alfonso eine noch engere Bindung mit dem Vetter von Aragon ins Auge gefaßt hätten. Aber sie gab sich vertraulich gespielinnenhaft und gleichzeitig leise mütterlich, und der schlanke, junge Prinz verstand sofort und errötete bis ins Haar. Nicht nur lockte ihn der Gedanke, dem älteren, erprobten Ritter so nahe verknüpft zu sein, zauberhaft auch aus der Zukunft leuchtete ihm die Kaiserkrone der Vereinigten Hispanischen Länder. Er küßte Doña Leonors Hand und antwortete: »Es gibt keinen Dichter, Dame, der Worte fände, mein Glück zu besingen.«
Im übrigen sprach man nichts von Regierungsgeschäften und nichts von den Beziehungen der Länder Kastilien und Aragon. Wohl aber sprach man von Don Pedros Aufnahme in die Ritterschaft. Er war siebzehn Jahre alt, das war die rechte Zeit, und es war ratsam, daß die Zeremonie vor der Krönung erfolge. Alfonso lud den Prinzen ein, zur Schwertleite in seine Stadt Burgos zu kommen. Er selber werde ihn dort zum Ritter schlagen unter Feierlichkeiten, wie sie den beiden größten Fürsten Spaniens anstünden.
Beglückt nahm Don Pedro die Einladung an. Große Vorbereitungen wurden in Burgos getroffen. Don Alfonso entbot seinen ganzen Hof dorthin. Doña Leonor fand, man solle auch die Kinder des Escrivanos einladen; der König, ein wenig zögernd, fügte sich.
Jehuda, als der Herold die Einladung der drei Ibn Esras im Castillo bestellte, spürte Triumph. Stattlich, mit ansehnlichem Gefolge, reisten er und die Seinen nach Burgos.
Don Garcerán und ein junger Herr vom Hofe Doña Leonors machten sich eine Freude daraus, Doña Raquel und ihrem Bruder die uralte Stadt zu zeigen. Der Knabe Alazar, empfänglich für alles Rittertum, beschaute gierig die mannigfachen Erinnerungen an den Cid Compeador, sein Grabmal, seine Waffen, das Rüstzeug seines Pferdes.
Mehr noch begeisterten den Knaben die Vorbereitungen zu den Spielen. Schon waren die Wappenschilde der Ritter aufgehängt, die sich für das große Turnier gemeldet hatten. Auch ein Wettspiel im Armbrustschießen sollte stattfinden. Alazar, stolz auf seine herrliche moslemische Armbrust, beschloß sogleich, sich zu beteiligen. Mit kindlicher Bewunderung auch stand er vor dem Gehege, in welchem die Stiere für den großen Kampf verwahrt wurden.
Das Festmahl zu Ehren Don Pedros fand in der Königsburg statt, in jenem Castillo, von dem das Land Kastilien seinen Namen herleitete. Es war ein alter, kahler, strenger Bau. Man hatte die Böden dick mit Teppichen belegt und die Treppen mit Rosen bestreut. Die Wände waren mit Gobelins behangen, welche Kampf- und Jagdszenen darstellten; Doña Leonor hatte sie aus ihrer französischen Heimat kommen lassen. Doch konnten alle diese Anstrengungen dem ernsten Bau nur einen dünnen Anstrich von Heiterkeit geben.
In den Hauptsälen der Burg hatte man große Tafeln aufgestellt und viele kleine Tische, ebenso im Burghof. Der Prinz von Aragon hatte seinen Alfakim mitgebracht, Don Joseph Ibn Esra, und ihn und Don Jehuda setzte man an eine Tafel im Hof. Das war nicht der ehrenvollste Platz, aber die Tischordnung bei solchen Festlichkeiten war eine schwierige Sache.
Die Stadt Burgos war berüchtigt um ihres unwirtlichen Klimas willen, es war denn auch jetzt noch, im Juni, im Burghof ungemütlich frostig, die Kohlenbecken gaben nicht genügend Wärme, und der Mangel an Behagen erinnerte die beiden jüdischen Herren während des ganzen Mahles daran, daß man im Innern der Burg angenehmer saß. Aber sie ließen sich den Verdruß über die Kränkung nicht anmerken, nicht einmal vor sich selber, sondern sprachen angeregt über die erfreulichen Folgen, die eine Verständigung Kastiliens mit Aragon bewirken mußte, die Erleichterung des Warenaustauschs, die allgemeine Belebung der Wirtschaft.
Don Jehuda schaute während dieses Gespräches mehrmals hinüber zu seiner Tochter. Sein kluges Mädchen hatte wahrscheinlich gemerkt, daß der aragonische Herr Zweiten Adels, den man ihr zum Tischnachbarn gegeben hatte, nicht der erlesenste war, den man hätte finden können; doch schien sie sich mit ihm nicht schlecht zu unterhalten. Alazar seinesteils führte ein munteres Gespräch mit den Halbwüchsigen des fröhlichen Jugendtisches.
Nach aufgehobener Tafel versammelte man sich im Innern der Burg. Die Wände entlang waren Estraden errichtet. Auf ihnen, hinter niedrigen Brüstungen, saßen die Damen, die Herren sprachen zu ihnen hinauf. Doña Raquel saß in der zweiten Reihe, oft verborgen durch die vor ihr Sitzenden. Don Garcerán machte den König auf sie aufmerksam. Auch andere seiner jungen Herren hatten ihm von der merkwürdigen, aufgeweckten Tochter seines Juden gesprochen, er war neugierig auf sie. Er stand, als Don Garcerán sie ihm zeigte, ziemlich weit entfernt von ihr, doch konnte er mit seinem scharfen Aug, und wiewohl er nur flüchtig hinblickte, ihre Züge genau erkennen. Das fleischlose, blaßbräunliche Gesicht mit den großen Augen, streng gerahmt von der breitflügeligen Mütze, sah kindlich aus, die Büste und der zarte Hals stiegen jung aus dem weitausgeschnittenen, pelzumrahmten Mieder. »Nun ja«, meinte Alfonso, »ganz hübsch.«
Doña Leonor, eine gute Wirtin, hatte bemerkt, daß man Don Jehuda nicht mit jener Achtung behandelte, die dem Escrivano zukam. Sie bat ihn durch einen Pagen zu sich, stellte ihm die üblichen höflichen Fragen, wie er sich unterhalten habe und ob man es an nichts habe fehlen lassen, und forderte ihn auf, ihr seine Kinder vorzustellen.
Doña Raquel schaute ihr mit unversteckter Neugier ins Gesicht, und es brachte Doña Leonor ein wenig auf, daß die Jüdin vor ihrer Königin so gar nicht befangen war. Auch waren die Spitzen ihres Mieders und der grüne Damast des Kleides zu kostbar für ein junges Mädchen. Allein Doña Leonor war die Wirtin, sie wahrte die Regeln der Courtoisie, sie blieb freundlich, ja, sie gab Don Alfonso zu verstehen, er möge den Kindern seines Ministers ein paar artige Worte sagen.
Der Knabe Alazar errötete hoch, als der König ihn ansprach. Er sah in ihm den Spiegel heldischer Tugend. Ehrfürchtig und naiv fragte er, ob sich Don Alfonso selber an den Spielen beteiligen werde, und erzählte, er, Alazar, habe sich für den Wettbewerb im Armbrustschießen gemeldet. »Meine Armbrust hat Ibn Ichad mit eigener Hand gemacht, der berühmte Armbrustschnitzer von Sevilla«, sagte er stolz. »Du wirst sehen, Herr König, da haben es deine Herren nicht leicht.« Innerlich amüsiert erkannte Don Alfonso in dem Knaben den Sohn seines hochfahrenden Escrivanos.