Jehuda meinte vorsichtig: »Man sollte vielleicht jetzt noch versuchen, das Mißverständnis aufzuklären.« Und da Doña Leonor schwieg, fuhr er fort: »Wenn irgendein Mensch dem Knaben von Aragon seinen Irrtum und seinen Zorn ausreden kann, dann bist du es, Frau Königin.« Doña Leonor dachte nach. »Wollt ihr mir helfen«, fragte sie, »eine Botschaft für ihn auszuarbeiten?« Don Jehuda, noch behutsamer, antwortete: »Ich fürchte, Botschaft genügt nicht.« Doña Leonor zog die Brauen hoch. »Ich soll selber nach Saragossa fahren?« fragte sie. Don Manrique kam Jehuda zu Hilfe. »Es gibt wohl kein anderes Mittel«, meinte er. Doña Leonor schwieg, hochmütig zugesperrt; Don Jehuda fürchtete schon, ihr Stolz werde über ihre Vernunft siegen. Aber: »Ich will«, versprach sie nach einer Weile, »überlegen, was ich tun kann, ohne der Würde Kastiliens was zu vergeben.«
Sie schwieg vor Don Alfonso, sie machte ihm keine Vorwürfe, sie wartete, bis er reden werde. Bald denn auch kam er und klagte: »Ich weiß gar nicht, was alle haben. Sie gehen um mich herum wie um einen Kranken. Schließlich kann doch ich nichts dafür, daß dieser Lausejunge einfach davonlief. Sein Vater hätte ihn besser erziehen sollen.« – »Da er noch so jung ist«, meinte versöhnlich Doña Leonor, »sollte man seinen Mangel an Courtoisie nicht zu ernst nehmen.« – »Du bist mild wie immer, Doña Leonor«, antwortete er.
»Ein wenig Schuld liegt vielleicht auch bei mir«, fuhr sie fort. »Ich hätte wohl früher mit ihm über den Lehnseid sprechen sollen. Wie wäre es, wenn ich das Versäumte nachholte? Wie wäre es, wenn ich nach Saragossa ginge und das Mißverständnis aufklärte?« Alfonso zog die Brauen hoch. »Ist das nicht sehr viel Ehre für den jungen Bengel?« fragte er. »Er ist immerhin König von Aragon«, erwiderte Leonor, »und wir haben daran gedacht, ihm unsere Infantin zu verloben.«
Alfonso verspürte einen kleinen Verdruß und eine große Erleichterung. Wie gut, daß er seine Leonor hatte. Schlicht, ohne große Worte, ging sie daran, das Verfahrene einzurenken. Er sagte: »Du bist die rechte Königin für eine Zeit, die so viele Umwege und Listen erfordert. Ich bin und bleibe ein Ritter und habe keine Geduld. Du hast es nicht immer leicht mit mir, Doña Leonor.« Stärker aber als diese Worte bekundete das große, helle, jungenhafte Leuchten über seinem Gesicht seine freudige Dankbarkeit.
Bevor Doña Leonor nach Aragon reiste, beriet sie mit Jehuda und Don Manrique de Lara. Man kam überein, man solle in Saragossa vorschlagen: Kastilien werde seine Garnison aus Cuenca zurückziehen und verpflichte sich, zwei Jahre lang keine Truppen an die Grenze der Grafschaft des Castro zu schicken; andernteils möge Aragon weitere Feindseligkeiten des Castro verhindern. Wenn sich Gutierre de Castro zum Vasallen Aragons erkläre, so werde Kastilien das hinnehmen, ohne jedoch seine Ansprüche aufzugeben. Was die Oberhoheit Kastiliens über Aragon anlange, so bleibe diese Frage in der Schwebe, und jene Zeremonie habe daran nichts geändert; denn rechtlich trete die Schutzverpflichtung Kastiliens erst dann in Kraft, wenn Aragon die üblichen hundert Goldmaravedí dafür zahle, und diese Zahlung werde Kastilien nicht einfordern.
In Saragossa empfing der junge König Doña Leonor mit höchster Courtoisie, doch verbarg er nicht die wütende Enttäuschung über das, was in Burgos geschehen war. Sie entschuldigte nicht eben ihren Alfonso; wohl aber führte sie aus, wie sehr er leide unter dem langen Waffenstillstand mit Sevilla, zu dem seine übervorsichtigen Minister ihn beredet hätten. Sein Herz hänge daran, die Niederlage von Sevilla gutzumachen und der Christenheit neue Siege über die Ungläubigen zu erkämpfen. Die glückliche Vereinigung mit Aragon, welche in so naher Nähe schien, hätte ihm das ermöglicht, und so sei er in ritterlicher Ungeduld überschnell vorgegangen. Sie begreife beide Fürsten. Don Alfonso und Don Pedro. Sie sah ihn offen an, herzlich, mütterlich, fraulich.
Nur mit Mühe wahrte Don Pedro vor der großherzigen, liebenswerten Dame die ablehnende Würde, die dem beleidigten Ritter anstand. Er sagte: »Du machst den Schimpf linder, den er mir angetan hat, Dame. Das danke ich dir. Laß deine Räte mit den meinen verhandeln.«
Als Doña Leonor sich von Don Pedro verabschiedete, sprach sie wie damals in süßen, damenhaften Worten von einer engeren Verbindung der Häuser Kastilien und Aragon. Don Pedro rötete sich. »Ich verehre dich, Dame«, sagte er, »und als du mir das erstemal gnädig lächeltest, blühte mir das Herz auf. Aber jetzt ist ein böser Winter gekommen, und alles ist erstarrt.« Mit Anstrengung fügte er hinzu: »Ich werde meinen Räten Weisung geben, die Vorschläge Kastiliens anzunehmen, dir zu Ehren, Dame. Ich werde Frieden mit Don Alfonso halten. Aber die Allianz hat er zerschlagen. Ich will mich nicht mit ihm verschwägern, und ich will nicht zusammen mit ihm zu Felde ziehen.«
Doña Leonor kehrte nach Burgos zurück. Don Alfonso sah ein, daß sie Großes erreicht hatte: der Krieg war abgewandt. »Du bist eine kluge Dame, Leonor«, rühmte er sie. »Du bist meine Königin und Frau.«
Und in dieser Nacht liebte Don Alfonso die Frau, die ihm drei Töchter geboren, wie in der ersten Nacht, da er sie erkannt hatte.
Fünftes Kapitel
Nachdem die Moslems fast ein halbes Jahrtausend in Jerusalem geherrscht hatten, eroberte Gottfried von Bouillon die Stadt für die Christen zurück und errichtete dort ein »Königreich Jerusalem«. Allein die Herrschaft der Christen dauerte nur achtundachtzig Jahre; dann bemächtigten sich die Moslems der Stadt von neuem.
Der Mann, der dieses Mal die Moslems nach Jerusalem führte, war Jussuf, genannt Saladin, »Heil des Glaubens«, Sultan von Syrien und Ägypten, und die Schlacht, in welcher er den entscheidenden Sieg erkämpfte, fand statt in der Gegend des Berges Hattin, westlich von Tiberias. Augenzeuge dieser Schlacht war ein moslemischer Historiker namens Imad ad-Din. Er war befreundet mit Musa Ibn Da’ud, und er schilderte diesem die Geschehnisse in einem ausführlichen Briefe.
»Die feindlichen Panzerritter«, schrieb er, »waren unverwundbar, solange sie im Sattel saßen, denn sie waren von Kopf zu Fuß geschützt von ihren aus Eisenmaschen gewobenen Hemden. Sowie aber das Pferd fiel, war der Reiter verloren. Sie glichen Löwen zu Beginn der Schlacht, versprengten Schafen, als sie endete.
Keiner von den Ungläubigen entkam. Ihrer fünfundvierzigtausend waren sie gewesen: keine fünfzehntausend überlebten, und wer überlebte, wurde gefangengenommen. Alle sind sie in unsere Hand gefallen, der König von Jerusalem und alle seine Grafen und Großen. Die Stricke der Zelte reichten nicht hin. Ich sah ihrer dreißig oder vierzig am gleichen Strick, ich sah ihrer mehr als hundert bewacht von einem einzigen. Ich sah es mit meinen eigenen, gesegneten Augen. An die dreißigtausend waren erschlagen worden, aber noch immer waren es der Gefangenen so viele, daß die Unsern einen gefangenen Ritter für ein Paar Sandalen verkauften. Seit hundert Jahren gab es keine so billigen Gefangenen.
Wie waren sie vor wenigen Stunden stolz und stattlich gewesen, diese christlichen Herren. Jetzt waren die Grafen und Barone eine Beute des Jägers geworden, die Ritter ein Fraß des Löwen, die hochmütig Freien gefesselt in Strick und Eisen. Allah ist groß. Sie hatten die Wahrheit Lüge genannt, den Koran Betrug: da hockten sie jetzt, halb nackt, gesenkten Gesichtes, geschlagen von der Hand der Wahrheit.
Sie hatten, die blinden Toren, ihr Heiligstes mit in die Schlacht geführt, das Kreuz, an dem ihr Prophet Christus gestorben ist. Auch dieses Kreuz ist in unsere Hand gefallen.
Als die Schlacht zu Ende war, stieg ich in Betrachtung auf den Berg Hattin. Es ist aber dieser Berg Hattin ein Berg, auf dem ihr Prophet Christus eine berühmte Predigt gehalten hat. Ich überschaute das Schlachtfeld. Da nahm ich wahr, was ein Volk, mit welchem der Segen Allahs ist, einem Volke antun kann, auf dem sein Fluch liegt. Ich sah abgeschlagene Köpfe, zerstückte Leichen, zerhaute Glieder, überall Sterbende und Tote, bedeckt mit Blut und Staub. Und ich gedachte der Worte des Korans: Die Ungläubigen werden sprechen: Ich bin nichts als Staub.«