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Noch viele ähnliche Sätze schrieb, beschwingt vom Erlebnis, der Historiker Imad ad-Din, und er schloß: »O süßer, süßer Geruch des Sieges!«

Musa las den Brief und war bekümmert. Von der Wand in kufischen Lettern mahnte der alte Spruch: »Eine Unze Frieden ist besser als eine Tonne Sieg.« Um dieses Spruches willen hatte in Zeiten der Heiligen Kriege so mancher Moslem sein Leben als Ketzer eingebüßt. Trotzdem führten viele weise Männer den Spruch im Munde, und auch sein Freund Imad, der Schreiber des Briefes, hatte ihn gerne zitiert; einmal wäre er deshalb von einem fanatischen Derwisch beinahe erschlagen worden. Und nun schrieb er diesen Brief!

Ja, es war so, wie es in dem Großen Buche der Juden hieß: der Jezer Hara, der böse Trieb, war mächtig von Jugend an. Die Menschen wollten jagen und schlagen und hauen und töten, und sogar ein so weiser Mann wie sein Freund Imad »berauschte sich am Wein des Sieges«.

Ach, es werden sich in sehr naher Zeit noch viele am Wein des Krieges berauschen. Denn nun Jerusalem wieder in der Hand der Moslems ist, wird es der Hohepriester der Christen nicht unterlassen, zum Heiligen Krieg aufzurufen, und Schlachtfelder, wie sie Imad mit so greulicher Anschaulichkeit beschrieb, wird es viele geben.

So kam es denn auch.

Die Nachricht vom Falle Jerusalems, welches die Kreuzritter vor noch nicht neunzig Jahren mit so ungeheuren Opfern erobert hatten, erfüllte die Christenheit mit wildem Schmerz. Gebet und Fasten war überall. Fürsten der Kirche taten den äußern Pomp ab, um durch strenge Zucht den andern voranzuleuchten. Sogar Kardinäle gelobten, sie würden kein Pferd mehr besteigen, solange die Erde, auf welcher der Heiland gewandert war, von den Füßen der Heiden entweiht werde; vielmehr würden sie, von Almosen lebend, die Länder der Christen durchpilgern, um Buße und Rache zu predigen.

Der Heilige Vater rief zu einem neuen Kreuzzug auf, Jerusalem zu befreien, den Nabel der Erde, das zweite Paradies. Er versprach einem jeden, der das Kreuz nahm, Entgelt im Jenseits und im Diesseits, und er verkündete Weltfrieden für sieben Jahre, eine Treuga Dei.

Er selber ging mit edlem Beispiel voran und beendete seinen langen Streit mit dem Herrn Deutschlands, dem Römischen Kaiser Friedrich. Er schickte einen Legaten, den Erzbischof von Tyrus, an die Könige von Francien und von Engelland und beschwor sie, ihre Zwistigkeiten zu beenden. Er ermahnte in eindringlichen Sendschreiben die Könige von Portugal, León, Kastilien, Navarra und Aragon, ihre Streitigkeiten zu begraben und sich brüderlich zu vereinigen, um auf ihre Art an dem Kreuzzug teilzunehmen. Sie sollten losschlagen gegen die Moslems ihrer Halbinsel und gegen den Antichrist des Westens, den Kalifen Jakúb Almansúr in Afrika. Don Alfonso, als ihm der Erzbischof von dem Sendschreiben des Papstes Mitteilung machte, berief seinen Kronrat ein, seine Curia. Don Jehuda, Krankheit vorschützend, blieb weislich ferne.

Der Erzbischof wies in starken Worten darauf hin, daß hier in Hispanien die Kreuzzüge früher begonnen hätten als in allen andern Ländern, vor mehr als einem halben Jahrtausend. Unmittelbar nachdem die Pest der Moslems über das Land gekommen sei, hätten die christlichen Goten, die Väter der hier tagenden Herren, den Widerstand begonnen. »An uns ist es«, rief er begeistert, »die große, heilige Tradition fortzusetzen«, und: »Deus vult – Gott will es!« endete er mit dem Schlachtruf der Kreuzfahrer.

Wie gerne wären die Herren diesem Rufe gefolgt. Alle, sogar der friedfertige Don Rodrigue, glühten sie danach. Aber sie wußten, gerade ihnen standen unüberwindbare Hindernisse entgegen. Sie saßen in unglücklichem Schweigen.

»Ich hab es miterlebt«, sagte endlich der alte Don Manrique, »wie wir ins Andalús vorgestoßen sind bis ans Meer, und ich war dabei, als der König Unser Herr den Moslems die gute Stadt Cuenca abnahm und auch die Festung Alarcos. Nichts Besseres hätte ich mir gewünscht, als daß es mir, bevor ich in die Grube fahre, noch einmal vergönnt sein sollte, gegen die Ungläubigen auszuziehen. Aber wir haben diesen Vertrag, den Waffenruhevertrag mit Sevilla, und er ist gezeichnet mit dem Namen des Königs Unseres Herrn und gesiegelt mit seinem Wappen.«

»Dieses klägliche Schriftstück«, sagte zornig der Erzbischof, »ist jetzt null und nichtig, und niemand kann Unsern Herrn den König tadeln, wenn er’s dem Henker übergibt, daß er’s verbrennt. Du bist durch diesen Vertrag nicht gebunden, Herr König«, wandte er sich an Alfonso. »›Juramentum contra utilitatem ecclesiasticam prestitum non tenet – Ein Eid gegen das Wohl der Kirche gilt nicht.‹ So steht es in der Dekretaliensammlung des Gratianus.«

»So ist es«, stimmte der Domherr bei und neigte ehrerbietig den Kopf. »Aber diese Ungläubigen kümmern sich nicht darum. Sie bestehen darauf, daß Verträge gehalten werden. Sultan Saladin hat die meisten seiner Gefangenen geschont: als sich aber der Markgraf de Châtillon darauf berief, daß er den Waffenstillstand zu Recht gebrochen habe, denn sein Eid sei vor Gott und der Kirche ungültig gewesen, da – erinnert euch, Herren! – ließ der Sultan ihn hinrichten. Und der Kalif der westlichen Ungläubigen denkt und handelt genau wie Saladin. Wenn wir den Waffenstillstand mit Sevilla nicht einhalten, dann wird er aus seinem Afrika übers Meer kommen, und seine Soldaten sind zahlreich wie der Sand der Wüste, und da hilft keine Tugend und keine Tapferkeit. Wenn also der König Unser Herr, sich aufs göttliche Recht der Kirche berufend, den Vertrag für ungültig erklärte, dann wäre das nicht zum Nutzen der Kirche, sondern gegen diesen Nutzen.«

Don Martín schaute seinen Sekretär grimmig an; immer kam er mit solchen Rabulistereien. Don Rodrigue aber fuhr unbeirrt fort: »Gott, der in die Herzen sieht, weiß, wie heiß wir alle gewillt sind, die Schmach der Heiligen Stadt zu rächen. Aber Gott hat uns auch Vernunft gegeben, damit wir nicht durch überschnellen Eifer das Unglück der Christenheit noch mehren.«

Don Alfonso brütete zornig vor sich hin. »Die Afrikaner werden Sevilla zu Hilfe kommen«, sagte er dann, »das ist wahr. Aber auch ich werde nicht allein sein. Die Kreuzfahrer, die an diesen Küsten landen, werden helfen, wenn ich gegen die Moslems losschlage. Sie haben uns auch früher geholfen.«

»Diese Kreuzfahrer«, gab Manrique zu bedenken, »werden in vereinzelten Haufen kommen, sie können der disziplinierten, wohlorganisierten Armee des Kalifen nicht standhalten.« Und da der König sich nicht überzeugen lassen wollte, mußte ihm wohl Don Manrique den wahren Grund nennen, der Kastilien zur Untätigkeit zwang. Er schaute ihm ins Gesicht und sagte langsam und deutlich: »Aussichten, Herr König, hast du nur dann, wenn du dir den Beistand deines Vetters von Aragon sicherst, und es müßte voller, aus dem Herzen kommender Beistand sein. Don Pedro müßte dir willig den Oberbefehl überlassen. Ohne einheitlichen Oberbefehl sind die christlichen Heere unserer Halbinsel dem Kalifen nicht gewachsen.«

In seinem Herzen hatte Don Alfonso gewußt, daß es so war. Er antwortete nicht. Er beendete den Kronrat.

Als er allein war, faßte ihn unbändige Wut. Fast dreiunddreißig Jahre war er jetzt, ein ganzes Menschenalter hatte er durchlebt, und nicht war es ihm vergönnt gewesen, wahrhaft große Taten zu tun. Alexander hatte in seinem Alter die Welt erobert. Und nun war die große, einmalige Gelegenheit da, der Kreuzzug, und sie verhinderten ihn mit unwiderleglich listigen Gründen, sich als neuer Cid Compeador Ruhm zu erwerben.

Aber er wird sich’s nicht verwehren lassen. Und wenn der junge Fant, der Lausbub von Aragon, ihn nicht als Oberfeldherrn anerkennt, dann wird er eben ohne ihn losziehen. Er war von Gott bestimmt zum Führer in seinem westlichen Teil der Welt, und er wird sich dieses heilige Amt nicht aus der Hand winden lassen. Er kann sich Hilfstruppen zur Genüge verschaffen, auch ohne Aragon. Er braucht die Kreuzfahrer, die zu ihm stoßen, nur für wenige Monate, dann mögen sie die Fahrt ins Heilige Land fortsetzen. Wenn er nur zwanzigtausend Mann hat außer seinem eigenen Heer, dann überrennt er den ganzen Süden des Andalús und dringt ins Afrika vor, ehe der Kalif sein Heer auch nur bereit hat. Und dann wird sich’s dieser Jakúb Almansúr zweimal überlegen, ehe er seine Ostgrenze entblößt.