Es wird mühevoll sein, dem heruntergewirtschafteten, verkommenen Kastilien Atem und Leben einzublasen. Aber gerade das war die Verlockung.
Zeit freilich brauchte er, lange, ungestörte Jahre des Friedens.
Und mit einemmal spürte er: es war göttlicher Ruf gewesen, den er gehört hatte schon damals vor fünfzehn Monaten, als Don Alfonso nach seiner Niederlage den Emir von Sevilla um Waffenstillstand bat. Der kriegerische Alfonso war zu mancherlei Konzessionen bereit gewesen, einer Gebietsabtretung, einer hohen Kriegsentschädigung, doch auf die Forderung des Emirs, daß der Waffenstillstand acht Jahre dauern sollte, darauf hatte er nicht eingehen wollen. Er aber, Ibrahim, hatte seinem Freunde, dem Emir, zugeredet und zugesetzt, darauf zu bestehen und sich dafür mit immer kleinerem Landgewinn und immer niedrigerer Entschädigung zu begnügen. Und zuletzt hatte er’s erreicht, und die guten, langen acht Jahre Waffenstillstand waren unterzeichnet und besiegelt worden. Ja, Gott selber hatte ihn damals getrieben und gemahnt: Streite für den Frieden! Laß nicht nach, streite für den Frieden!
Und der gleiche innere Ruf hatte ihn hierher nach Toledo getrieben. Wenn ein neuer Heiliger Krieg kommt – und er wird kommen –, dann ist der händelsüchtige Don Alfonso versucht, den Waffenstillstand mit Sevilla zu brechen. Aber dann wird er, Ibrahim, zur Stelle sein und dem König mit List, Drohung und Vernunft zureden, und wenn er nicht verhindern kann, daß Alfonso in den Krieg eingreift, so wird er’s doch verzögern.
Und für die Juden, für seine Juden, wird es ein Segen sein, wenn dann bei Ausbruch des Krieges er, Ibrahim, im Rate des Königs sitzt. Die Juden werden wie früher die ersten sein, über welche die Kreuzfahrer herfallen, er aber wird seine Hand über sie halten.
Denn er war ihr Bruder.
Der Kaufmann Ibrahim von Sevilla war kein Lügner, wenn er sich einen Islamiten nannte. Er verehrte Allah und den Propheten, er genoß arabische Dichtung und Gelehrsamkeit. Die Sitten der Moslems waren ihm liebe Gewohnheit; er nahm automatisch fünfmal des Tages die vorgeschriebenen Waschungen vor, warf sich fünfmal in der Richtung nach Mekka zur Erde, die Gebete zu sprechen, und wenn er vor einer großen Entscheidung stand oder vor einer wichtigen Handlung, dann rief er aus innerem Bedürfnis Allah an und sagte die erste Sure des Korans her. Aber wenn er sich mit den andern Juden Sevillas am Sabbat in den untern Räumen seines Hauses versammelte, in seinem versteckten Bethaus, um den Gott Israels zu verehren und in dem Großen Buche zu lesen, dann kam eine freudige Ruhe in sein Herz. Er wußte, dies war sein tiefstes Bekenntnis, und durch dieses Bekenntnis zur wahrsten Wahrheit reinigte er sich von den Halbwahrheiten der Woche.
Es war Adonai, der alte Gott seiner Väter, der ihm den bittern, seligen Wunsch ins Herz gebrannt hatte, zurückzukehren nach Toledo.
Schon einmal, damals, als das große Unheil über die Juden des Andalús hereinbrach, hatte ein Ibn Esra, sein Oheim Jehuda Ibn Esra, hier von Kastilien aus seinem Volke große Hilfe leisten können. Dieser Jehuda, General des damaligen Alfonso, des Siebenten, hatte die Grenzfestung Calatrava gegen die Moslems gehalten und Tausenden, Zehntausenden bedrängter Juden Flucht und Sicherheit ermöglicht. Jetzt wird er, der ehemalige Kaufmann Ibrahim, eine ähnliche Sendung haben.
Er wird heimkehren in dieses Haus.
Seine schnelle, starke Phantasie zeigte ihm das Haus, wie es sein wird. Schon sprang die Fontäne wieder, stilles, dunkles Blühen war im Hofe, leises, vielfältiges Leben in den menschenentwöhnten Räumen des Hauses, der Fuß trat dicke Teppiche statt des steinernen, unwirtlichen Bodens, um die Wände liefen Inschriften, hebräische und arabische, Verse des Großen Buches und der moslemischen Dichter, und überall rann kühlendes, sänftigendes Wasser und gab den Träumen und Gedanken seinen Fall und Rhythmus.
So wird das Haus sein, und er wird darin einziehen als der, der er ist, Jehuda Ibn Esra.
Ohne daß er sie hätte rufen müssen, kamen ihm Verse des Segens, die ihm das Haus schmücken sollten, Verse aus dem Großen Buch der Väter, das ihm von nun an den Koran ersetzen wird. »Denn es sollen Berge stürzen und Hügel hinfallen, aber meine Gnade soll nicht von dir weichen, und mein Friedensbund mit dir nicht hinfallen.«
Ein leeres, glückliches Lächeln war über seinem Gesicht. Mit seinem innern Aug sah er die stolzen Verse der göttlichen Versprechung, wie sie schwarz, blau, rot und golden den Fries entlangziehen, die Wand seines Schlafgemaches schmückend; sie werden sich ihm ins Herz prägen des Abends, bevor er einschläft, und ihn grüßen des Morgens, wenn er erwacht.
Er erhob sich, dehnte die Glieder. Er wird hier in Toledo leben im alten, neugerichteten Hause seiner Väter, er wird dem armen, kargen Kastilien neuen Hauch einblasen, er wird mithelfen, den Frieden zu erhalten und dem bedrängten Israel eine Zuflucht zu schaffen. Manrique de Lara, der Erste Minister, erläuterte Don Alfonso die Verträge, die man mit dem Kaufmann Ibrahim von Sevilla vereinbart hatte und die nur mehr der Unterschrift bedurften. Die Königin wohnte dem Vortrag bei. Von jeher waren die Fürstinnen des christlichen Spaniens Mitträger der Gewalt, und es war ihr Privileg, an den Staatsgeschäften teilzunehmen.
Die drei Dokumente, in welchen in arabischer Sprache die Abmachungen aufgezeichnet waren, lagen auf dem Tisch. Es waren umständliche Verträge, und Don Manrique brauchte viel Zeit, die Einzelheiten auseinanderzusetzen.
Der König hörte nur mit halbem Ohr zu. Doña Leonor und sein Erster Minister hatten lange auf ihn einreden müssen, ehe er sich bewegen ließ, den Ungläubigen in seinen Dienst zu nehmen. Trug doch dieser die Hauptschuld an der Härte des Friedensvertrags, den er damals, vor fünfzehn Monaten, hatte unterzeichnen müssen.
Dieser Friedensvertrag! Seine Herren hatten ihm weisgemacht, daß er günstig sei. Don Alfonso mußte nicht, wie er gefürchtet hatte, die Festung Alarcos hergeben, die liebe Stadt, die er in seinem ersten Feldzug dem Feinde abgewonnen und seinem Reiche zugefügt hatte, und auch die Kriegsentschädigung war nicht übermäßig hoch angesetzt. Aber acht Jahre Waffenstillstand! Der junge, ungestüme König, Soldat durch und durch, sah nicht, wie er die Geduld aufbringen sollte, die Ungläubigen sich acht endlos lange Jahre ihres Sieges brüsten zu lassen. Und mit dem Manne, der ihm den schimpflichen Vertrag aufgenötigt hatte, sollte er jetzt ein zweites, folgenschweres Abkommen treffen! Sollte fortan den Menschen immer um sich haben und auf seine verdächtigen Vorschläge hören! Andernteils hatten ihm die Gründe eingeleuchtet, die seine kluge Königin und sein erprobter Freund Manrique ihm anführten: seitdem Ibn Schoschan gestorben war, sein guter, reicher Hebräer, war es immer schwerer geworden, von den großen Händlern und Bänkern der Welt Geld zu kriegen, und es blieb niemand als dieser Ibrahim von Sevilla, ihm aus seinen Finanznöten zu helfen.
Nachdenklich, während er lässig auf Manrique hörte, betrachtete er Doña Leonor.
Man sah sie nicht häufig in der Königsburg von Toledo. Sie war im Herzogtum Aquitanien geboren, im milden südlichen Frankreich, wo die Sitten höfisch und zierlich waren, und das Leben in Toledo schien ihr, obgleich die Stadt nun schon hundert Jahre in den Händen der Könige Kastiliens war, noch immer ungeschlacht wie in einem Feldlager. Wenn sie’s auch begriff, daß Don Alfonso die meiste Zeit in dieser seiner Hauptstadt verbrachte, nahe dem ewigen Feind, so zog sie selber es doch vor, im nördlichen Kastilien Hof zu halten, in Burgos, nahe der Heimat.