Doña Leonor, verwundert, fragte: »Ein anderes Alboroque?« – »Der Herr Escrivano Mayor«, gab Don Manrique Auskunft, »hat verlangt und von uns erhalten das Recht, daß ihm aus den Herden der königlichen Güter täglich für seine Küche ein Lamm geliefert werde.« – »Mir liegt an diesem Privileg«, erläuterte Ibrahim, sich an den König wendend, »weil ein ähnliches dein Großvater, der erlauchte Kaiser Alfonso, meinem Oheim zugestanden hatte. Ich werde nämlich, wenn ich nach Toledo übersiedle und in deine Dienste trete, vor aller Welt zu dem Glauben meiner Väter zurückkehren, den Namen Ibrahim ablegen und wieder Jehuda Ibn Esra heißen, wie jener mein Oheim, der deinem Großvater die Festung Calatrava gehalten hat. Möge mir ein töricht offenes Wort gestattet sein, Herr König und Frau Königin. Wenn ich das in Sevilla tun könnte, würde ich meine schöne Heimat nicht verlassen.«
»Wir freuen uns, daß du unsere Duldsamkeit schätzest«, sagte Doña Leonor. Alfonso aber fragte ohne Umschweife: »Und wirst du keine Schwierigkeiten haben, wenn du aus Sevilla fortgehst?« – »Wenn ich meine Geschäfte dort liquidiere«, entgegnete Jehuda, »werde ich Verluste haben. Andere Schwierigkeiten befürchte ich nicht. Gott hat mich begnadet und mir das Herz des Emirs zugewandt. Er ist ein Mann von hohem, freiem Verstande, und läge es an ihm, so dürfte ich mich auch in Sevilla offen zum Glauben meiner Väter bekennen. Er wird meine Gründe verstehen und mich nicht hindern.«
Alfonso beschaute den Mann, der in höflich ergebener Haltung dastand und so freimütig frech zu ihm redete. Der Mann schien ihm höllisch klug, doch nicht minder gefährlich. Wenn er seinen Freund, den Emir, verriet, wird er ihm, dem Fremden, dem Christen, Treue halten? Jehuda, als hätte er seine Gedanken erraten, sagte beinahe heiter: »Habe ich einmal Sevilla verlassen, dann kann ich natürlich nicht mehr zurückkehren. Du siehst, Herr König, wenn ich dir nicht gut diene, bin ich in deiner Hand.«
Don Alfonso, kurz, fast unwirsch, sagte: »Ich unterzeichne jetzt.« Früher pflegte er seinen Namen lateinisch zu schreiben: »Alfonsus Rex Castiliae« oder »Ego Rex«; in letzter Zeit signierte er immer häufiger in der Sprache des Volkes, in niedrigem Latein, romanisch, kastilisch. »Es genügt dir hoffentlich«, meinte er spöttisch, »wenn ich nur hinsetze: ›Yo el Rey‹?« Jehuda, scherzhaft, entgegnete: »Deine Rubrica, dein Schnörkel würde mir genügen, Herr König.«
Don Manrique reichte Alfonso die Feder. Der König unterzeichnete die drei Dokumente versperrten Gesichtes, schnell, trotzig, so wie man in ein unangenehmes, doch unvermeidbares Abenteuer hineingeht. Jehuda sah zu. Er war voll Genugtuung über das Erreichte, voll freudiger Spannung auf das Kommende. Er war dankbar dem Schicksal, seinem Gotte Allah, seinem Gotte Adonai. Er spürte, wie das islamische Wesen von ihm absank, und unversehens stieg in ihm auf der Segensspruch, den er als Kind hatte sprechen müssen, wenn er ein Neues erreicht hatte: »Gelobt seist du, Adonai, Unser Gott, der du mich hast erreichen und erlangen und erleben lassen diesen Tag.«
Dann unterzeichnete auch er die Schriftstücke und bot sie dem König dar, ehrerbietig, doch nicht ohne eine kleine, verschmitzte Erwartung. Alfonso war denn auch erstaunt, als er die Unterschrift sah, er zog die Brauen hoch und furchte die Stirn; es waren fremdartige Lettern. »Was soll das?« rief er. »Das ist doch nicht arabisch!« – »Ich habe mir erlaubt, Herr König«, erklärte höflich Jehuda, »hebräisch zu unterzeichnen.« Und er erläuterte ehrerbietig: »Mein Oheim, den die Gnade deines erlauchten Großvaters zum Fürsten erhob, hat immer nur hebräisch unterzeichnet: ›Jehuda Ibn Esra Ha-Nassi, der Fürst‹.«
Alfonso zuckte die Achseln und wandte sich Doña Leonor zu; sichtlich hielt er die Audienz für beendet.
Da indes sagte Jehuda: »Ich bitte um die Gnade des Handschuhs.« Es war aber der Handschuh das Symbol eines wichtigen Auftrags, den der Ritter dem Ritter gab; der Handschuh sollte nach glücklich vollbrachtem Auftrag zurückgegeben werden.
Alfonso fand, er habe in dieser Stunde genügend Frechheiten geschluckt, und schickte sich an, heftig zu erwidern; aber ein mahnender Blick Doña Leonors hielt ihn zurück. Er sagte: »Na schön.«
Und nun kniete Jehuda nieder. Und Alfonso gab ihm den Handschuh.
Dann indes, als schämte er sich des Geschehenen und wollte seine Bindung mit dem andern zurückführen auf das, was sie war, ein Geschäft, sagte er: »So, und jetzt schaff mir recht bald die zwanzigtausend Maravedí.« Doña Leonor aber, die großen, grünen Augen prüfend, ein wenig spitzbübisch auf Jehuda gerichtet, sagte mit ihrer hellen Stimme: »Wir freuen uns, dich kennengelernt zu haben, Herr Escrivano.« Bevor Jehuda die Stadt Toledo verließ, um seine Geschäfte in Sevilla abzuwickeln, suchte er Don Ephraim Bar Abba auf, den Vorstand der jüdischen Gemeinde, der Aljama.
Don Ephraim war ein kleiner, magerer Herr von etwa sechzig Jahren, unscheinbar von Gestalt und Tracht; niemand hätte ihm angesehen, wieviel Macht ihm eignete. Denn der Vorstand der jüdischen Gemeinde von Toledo war einem Fürsten gleich. Die jüdische Gemeinde, die Aljama, hatte eigene Gerichtsbarkeit, keine Behörde hatte ihr einzureden, sie unterstand niemand, nur ihrem »Párnas« Don Ephraim und dem König.
Don Ephraim saß klein und fröstelnd in dem mit Hausrat und Büchern überstopften Raum. Trotz des bereits warmen Wetters war er in einen Pelz gehüllt und hatte ein Kohlenbecken vor sich. Er war über die Vorgänge in der Königsburg gut unterrichtet, und wiewohl die Bestallung des Kaufmanns Ibrahim erst bekanntgegeben werden sollte, wenn er endgültig nach Toledo übersiedelt war, wußte Don Ephraim, daß der Mann aus Sevilla die Generalsteuerpacht und die Nachfolge des Alfakims Ibn Schoschan übernommen hatte. Man hatte ihm selber Pacht und Amt angeboten, doch ihm war das Geschäft zu riskant und die Stellung des Alfakims gerade wegen ihres Glanzes zu gefährlich. Er war vertraut mit der Lebensgeschichte des Kaufmanns Ibrahim, er wußte, daß er heimlicher Jude war, und verstand die innern und äußern Gründe, die ihn zur Übersiedlung nach Kastilien bewegen mochten. Ephraim hatte mehrmals große Geschäfte gemeinsam mit ihm gemacht, mehrmals auch große Geschäfte gegen ihn, und es war ihm unangenehm, daß jetzt dieser zweideutige Sohn des Geschlechtes Ibn Esra den Hauptsitz seiner Unternehmungen nach seinem Toledo verlegte.
Don Ephraim saß da, die Fläche der einen Hand mit den Nägeln der andern reibend, und wartete, was ihm der Gast mitteilen werde. Don Jehuda führte die Unterhaltung hebräisch, in einem angelesenen, sehr gewählten Hebräisch. Er teilte Ephraim sogleich mit, er habe die Einkünfte des königlichen Schatzes von Toledo und von Kastilien gepachtet. »Du hast, wie ich höre, das Angebot der Generalpacht abgelehnt«, sagte er freundlich. »Ja«, antwortete Don Ephraim. »Ich habe gewogen und gezählt und abgelehnt. Ich habe auch die Nachfolge unseres Alfakims Ibn Schoschan – das Andenken des Gerechten zum Segen – abgelehnt. Dieses Amt schien mir zu glänzend für einen bescheidenen Mann.« – »Ich habe es angenommen«, sagte schlicht Don Jehuda. Don Ephraim stand auf und verneigte sich. »Dein Diener wünscht dir Glück, Herr Alfakim«, sagte er, und da Jehuda nur ein kleines, schweigendes Lächeln hatte, fuhr er fort: »Oder darf ich gar sagen, Herr Alfakim Mayor?« – »Des Königs Majestät«, sagte, seinen Triumph mühsam zügelnd, Don Jehuda, »hat geruht, mich zu einem seiner Familiares zu erheben. Ja, Don Ephraim, ich werde einer der vier Geheimräte sein, ich werde in der Curia sitzen. Ich werde die Geschäfte des Königs Unseres Herrn als sein Escrivano Mayor verwalten.«