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Don Ephraim konnte ein tiefes Erschrecken nicht verbergen. »Die Castros«, warnte er, »sind noch rachsüchtiger und gewalttätiger als die andern Ricoshombres. Sie haben, als ihnen der König ihr Haus wegnahm, wüste Drohungen ausgestoßen. Sie werden es für einen Schimpf ohne Beispiel erklären, wenn einer aus der Judenheit darin wohnt. Bedenke es gut, Don Jehuda. Die Castros sind sehr mächtig und haben viele Anhänger. Sie werden das halbe Reich aufwiegeln gegen dich – und gegen ganz Israel.«

»Ich danke dir für deine Warnung, Don Ephraim«, sagte Jehuda. »Der Allmächtige hat mir ein Herz ohne Angst gegeben.«

Zweites Kapitel

Es erschien in Toledo mit Geleitbriefen des Königs der Intendant und Sekretär Don Jehudas, Ibn Omar. Mit ihm kamen moslemische Architekten, Künstler und Handwerker. Große Geschäftigkeit begann im Castillo de Castro, und die Energie und Verschwendung, mit welcher der Umbau betrieben wurde, erregte die Stadt. Dann trafen aus Sevilla Bedienstete aller Art ein, und später auf vielen Wagen mannigfacher Hausrat, dazu dreißig Maultiere und zwölf Pferde, und immer neue, bunte Gerüchte flatterten auf um den Fremden, der da kommen sollte.

Dann kam er. Mit ihm seine Tochter Raquel, sein Sohn Alazar und sein vertrauter Freund, der Arzt Musa Ibn Da’ud.

Jehuda liebte seine Kinder und machte sich Gedanken darüber, ob sie, aufgewachsen in dem verfeinerten Sevilla, sich ins derbe Leben Kastiliens würden einfügen können.

Dem tatenlustigen Alazar, dem Vierzehnjährigen, wird freilich die rauhe, ritterliche Welt gut gefallen; wie aber wird es mit Rechja sein, mit seiner lieben Raquel?

Zärtlich, mit leiser Sorge, beschaute er sie, wie sie neben ihm herritt. Sie reiste, wie das üblich war, in Männerkleidung. Jünglinghaft saß sie im Sattel, etwas schlaksig, eckig, kühn und kindlich. Kaum hielt die Kappe das dichte, schwarze Haar. Mit den großen, blaugrauen Augen, aufmerksam, musterte sie die Menschen und Häuser der Stadt, die nun ihre Heimat sein sollte.

Jehuda wußte, daß sie keine Mühe scheuen werde, sich dieses Toledo zur Heimat zu machen. Kaum nach Sevilla zurückgekehrt, hatte er ihr auseinandergesetzt, was ihn forttrieb. Er hatte mit ihr, der Siebzehnjährigen, so freimütig gesprochen, als wäre sie ihm gleich an Alter und Erfahrung. Er spürte, seine Raquel, so kindlich sie sich noch manchmal gab, begriff ihn aus dem Gefühl heraus. Sie gehörte zu ihm, sie war – gerade in jener Unterredung hatte es sich gezeigt – in Wahrheit eine Ibn Esra, tapfer, gescheit, aufgeschlossen allem Neuen, voll von Gefühl und Phantasie.

Aber wird sie sich hier bei diesen Christen und Soldaten zurechtfinden? Muß sie in dem kahlen, kalten Toledo ihr Sevilla nicht vermissen? Dort hatte jedermann sie gerne gehabt. Nicht nur hatte sie Freundinnen ihres Alters, auch die Herren in der Umgebung des Emirs, diese kundigen, wissenden Diplomaten, Dichter, Künstler, hatten ihre Freude an den naiven, merkwürdigen Fragen und Beobachtungen dieses halben Kindes Raquel.

Wie immer, jetzt waren sie in Toledo, und da war das Castillo de Castro, und jetzt nahmen sie es in Besitz, und von jetzt an wird es das Castillo Ibn Esra sein.

Jehuda war freudig überrascht, was alles seine erprobten Helfer in so kurzer Zeit aus dem unwirtlichen Hause gemacht hatten. Die Steinböden, die früher jeden Schritt hatten dröhnen lassen, waren mit sanften, dicken Teppichen belegt. Sofas zogen sich an den Wänden hin mit bequemen Polstern und Kissen. Friese, rot, blau und golden, liefen um den Raum; verwebt in kunstvolle Ornamente, luden arabische und hebräische Inschriften zur Betrachtung. Kleine Fontänen, gespeist durch ein klug erdachtes System von Wasserröhren, gaben Kühlung. Ein weiter Raum war da für Jehudas Bücher; manche lagen aufgeschlagen auf Pulten und zeigten die kunstreichen, farbigen Initialen und Randleisten.

Und da war der Patio, jener Hof, in dem er damals den großen Entschluß gefaßt hatte, da die Fontäne, an deren Rand er gesessen war. Genau wie er sich’s gedacht hatte, hob sich und fiel ihr Strahl, gleichmäßig still. Das dichte dunkle Laub der Bäume vertiefte die Stille; durch das Laub aber schauten sattgelb Orangen und mattgelb Zitronen. Zugeschnitten waren die Bäume, bunt und kunstvoll geordnet die Blumenbeete, und überall war sanft rinnendes Wasser.

Doña Raquel, mit den andern, besichtigte das neue Haus, weitäugig, aufmerksam, einsilbig, doch innig vergnügt. Dann nahm sie Besitz von den beiden Räumen, die ihr bestimmt waren. Entledigte sich der engen, reibenden Männerkleidung. Ging daran, sich von dem Staub und Schweiß der Reise zu säubern.

Neben ihrem Schlafzimmer war eine Badekammer. In den fliesenbedeckten Boden eingelassen war ein tiefes Bassin, versehen mit einer Röhrenleitung für warmes und kaltes Wasser. Bedient von ihrer Amme Sa’ad und der Zofe Fátima, badete Doña Raquel. Wohlig lag sie in dem warmen Wasser und hörte mit halbem Ohr auf das Geschwätz der Amme und der Dienerin.

Bald hörte sie nicht mehr, sondern überließ sich ihren wandernden Gedanken.

Es war alles wie in Sevilla, sogar die Wanne, in der sie lag. Aber sie selber war keine Rechja mehr, sie war Doña Raquel.

Auf der Reise, abgelenkt von immer neuen Eindrücken, war sie sich niemals ganz bewußt geworden, was das bedeutete. Nun, da sie angekommen war und entspannt in der Ruhe des Bades lag, überfiel sie zum erstenmal mit ganzer Wucht das Gefühl der Veränderung. Wäre sie noch in Sevilla gewesen, dann wäre sie zu ihrer Freundin Layla gelaufen, um sich mit ihr auszusprechen. Layla war ein unwissendes Mädchen, sie verstand nichts und konnte ihr nicht helfen, aber sie war ihre Freundin. Hier war keine Freundin, hier waren lauter Fremde und lauter Fremdes. Hier war keine Azhar-Moschee; der Ruf des Muezzins von der Azhar-Moschee, der zur Waschung und zum Gebet mahnte, war gellend wie der jedes andern, aber sie kannte ihn heraus. Und hier war kein Chatib, ihr eine schwierige Stelle des Korans zu erklären. Hier waren nur wenige, mit denen sie in ihrem lieben, vertrauten Arabisch schwatzen konnte; sie wird eine harte, komische Sprache brauchen müssen, und um sie werden Menschen sein mit groben Stimmen und Gebärden und mit rauhen Gedanken, Kastilier, Christen, Barbaren.

Sie war glücklich gewesen in dem hellen, wunderbaren Sevilla. Ihr Vater hatte dort zu den Ersten gehört, und schon weil sie dieses Vaters Tochter war, hatten alle sie liebgehabt. Wie wird es hier sein? Werden diese Christen verstehen, was für ein großer Mann ihr Vater ist? Und werden sie Sinn haben für ihr, Raquels, Wesen und ihre Art? Wird nicht sie ihnen genauso fremd und komisch vorkommen wie die Christen ihr?

Und dann war da das andere, noch größere Neue; jetzt war sie vor aller Welt eine Jüdin.

Sie war im Glauben der Moslems aufgewachsen. Aber noch als sie ganz klein war – es war gleich nach dem Tod der Mutter, fünf Jahre mochte sie gewesen sein –, hatte der Vater sie beiseite genommen und ihr flüsternd, bedeutsam gesagt, sie gehöre zur Familie der Ibn Esras, und das sei ein Einmaliges, sehr Großes, aber auch ein Heimliches, von dem man nicht reden dürfe. Später dann, als sie größer war, hatte er ihr eröffnet, daß er Moslem sei, aber auch Jude, und er hatte ihr erzählt von jüdischen Lehren und Sitten. Doch hatte er ihr nicht befohlen, diese Bräuche zu üben. Und als sie ihn einmal geradezu fragte, was sie glauben und was sie tun solle, hatte er freundlich erwidert, da sei kein Zwang; wenn sie erst erwachsen sei, dann möge sie selber entscheiden, ob sie die hohe, doch nicht ungefährliche Verpflichtung heimlichen Judentums auf sich nehmen wolle.

Daß der Vater ihr die Entscheidung auflegte, hatte sie mit Stolz erfüllt.

Einmal hatte sie sich nicht länger zähmen können und gegen ihren Willen ihrer Freundin Layla anvertraut, daß sie eigentlich eine Ibn Esra sei. Layla aber hatte seltsamerweise geantwortet: »Ich wußte es«, und nach einem kleinen Schweigen hatte sie hinzugefügt: »Du Arme.«