«Zehntausend Dolchstöße kosten ebensoviel wie Kanonen, verbrannte Städte und ein Bürgerkrieg.»
«Was denn, zehntausend», sagte Alba verächtlich. «Ich spreche von einem einzigen.» Zum erstenmal geruhte er, sein Gesicht mit dem scharfen, spitzen Bart näher heranzuführen gegen den hohen graden Sessel. Dabei versetzte er: «Zehntausend Frösche sind noch kein Lachs.»
Sie überlegte, obwohl sie ihn verstanden hatte. Um Zeit zu gewinnen, machte sie eine Bewegung nach der Tür und nach den hohen Fenstern. Den Kamin in ihrem Rücken vergaß sie. Ihre Stimme wurde leise, kaum daß Alba selbst noch jedes Wort unterschied. «Sie können mit dem Lachs mindestens zwei Personen meinen.»
Auch er flüsterte jetzt. Eine lange Weile dauerte das Geflüster der beiden. Dann trennten sich ihre Köpfe, der Herzog trat zurück, steif und erhaben wie zu Anfang. Die alte Königin erhob sich schwer, er reichte ihr die Fingerspitzen und führte sie zur Tür, er stelzte, sie watschelte.
Als beide schon längst fort waren, blieb es im Saal noch immer lautlos still. Draußen zog hörbar die Wache ab. Da erst bewegten sich die grünen Zweige in der großen Öffnung des Kamins, und heraus stieg eine kleine Gestalt. Sie machte die Runde um den Sessel, in dem es geschehen war. Sie sah die beiden Bösen, als ob sie noch dagewesen wären. Sie vernahm alles nochmals, was jene einander anzuvertrauen gehabt hatten, auch das Unhörbare samt den beiden Namen, die gefallen sein mußten. Nachträglich erkannte Henri sie, den Namen des Admirals Coligny, und das Blut schoß ihm zum Herzen, den Namen seiner Mutter, der Königin Jeanne.
Er ballte die Fäuste, die Augen gingen ihm über vor Zorn. Plötzlich schwang er sich auf einem Fuß herum, lachte hell und stieß einen munteren Fluch aus. Den hatte er von den Alten seiner Heimat, von seinem Großvater d’Albret, heilige Worte, die bis zur Unkenntlichkeit entstellt waren. Er rief, daß es hallte.
Moralité
Ainsi le jeune Henri connut, avant l’heure, la méchanceté des hommes. Il s’en était un peu douté, apres tant d’impressions troubles reçues en son bas âge, qui n’est qu’une suite d’imprévus obscurs. Mais en s’écriant allègrement Ventre-Saint-Gris au moment même où lui fut révéle tout le danger effroyable de la vie, il fit connaître au destin qu’il relevait le défi et qu’il gardait pour toujours et son courage premier et sa gaîté native.
C’est ce jour là qu’il sortit de l’enfance[2].
Jeanne
Die Festung am Ozean
Ich habe es deutlich gesehen und gehört», sagte Henri zu seiner lieben Mutter, als sie das erstemal ungestört sprechen konnten. Das war erst in Paris, obwohl Jeanne schon auf der Rückreise des Hofes sich ihm angeschlossen hatte.
«Weißt du, Mama, was ich glaube? Alba hat mich bemerkt. Das Laub im Kamin war nicht dicht genug, und ich stieß an die Zweige, sie bewegten sich.»
«Er kann angenommen haben, es sei der Wind. Würde er dich sonst nicht hervorgeholt haben?»
«Ein anderer hätte es getan, nicht dieser Spanier. Ich sah sein Gesicht, das war kein Mensch; und wäre es ihm der Mühe wert erschienen, dann hätte er einfach seine Klinge durch das grüne Zeug gestoßen, ohne erst zu fragen, wer dahinter stak. Aber dafür war er zu hochmütig, und außerdem war er sicher, nicht verstanden zu werden, so leise wie sie sprachen. Nein!» rief er, da Jeanne etwas einwenden wollte. «Nicht für mich zu leise. Ich bin dein Sohn, daher begriff ich, was sie mit dir vorhatten.»
Jeanne nahm seinen Kopf und legte seine Wange an ihre. Geradeaus ins Leere sagte sie: «Die Menschen prahlen gern fälschlich, auch mit Schandtaten.»
«Die Menschen, aber nicht die Ungeheuer!» erwiderte er schnell und feurig. Plötzlich machte er sich von ihr los. «Komisch waren die beiden!» — und um es ihr zu zeigen, stelzte er zuerst wie der Herzog und watschelte dann wie Madame Catherine. Er war voll Begabung für die Posse, das sah seine Mutter; trotzdem lachte sie kaum. Daraus entnahm ihr Sohn, daß seine Erzählung ihr in Wahrheit zu denken gab.
Sie richtete es dann auch ein, daß sie mit ihm den Hof verlassen und das Weite suchen konnte. Sie handelte so vorsichtig, daß selbst Henri nichts vermutete; es begann mit einem Besuch eines ihrer Güter, von dem sie ganz harmlos zurückkehrte. Erst die zweite Reise, die Jeanne mit Henri unternahm auf seine Besitzungen in mehreren Provinzen, endete mit der Flucht nach Süden. Es war Februar, als sie in Pau anlangten, und der Prinz von Navarra war im vierzehnten Jahre seines Lebens, da bekam er seine ersten Unterweisungen im Regieren und im Kriegführen, was aber beides dasselbe war.
Jeanne behandelte ihre eigenen Untertanen wie Feinde, weil sie in der Abwesenheit der Königin sich gegen die Religion erhoben hatten. Die zarte Jeanne wurde für einige Zeit eine grausame Herrscherin. Ihren Sohn schickte sie mit einem großen Stab von Edelleuten samt Kanonen, um einen der Ihren zu rächen, und den Aufständischen erging es schlecht.
Gleich darauf versuchte ihr Verwandter Condé nicht mehr und nicht weniger als einen Überfall auf den König von Frankreich und seinen Hof. Die Königinmutter war der Meinung, das Zeichen für die neuen Unruhen im Norden wie im Süden habe die Flucht ihrer guten Freundin Jeanne gegeben; und wie immer, wenn es für sie nicht gut stand, wollte sie verhandeln. Sie schickte einen glatten Herrn mit einem schönen Namen; aber was er auch redete, Jeanne wußte, sie sollte nur wieder in die Gewalt des Hofes gelockt werden.
Daher forderte sie einfach für ihren Sohn die tatsächliche Statthalterschaft über die ganze Guyenne, die große Provinz mit der Hauptstadt Bordeaux; bisher hatte er nur den Titel. Da Katharina ihm mehr auch jetzt nicht zugestehen wollte, war alles klar. Sofort nahmen Coligny und Condé gemeinsam ihren Feldzug wieder auf. Jeanne ihrerseits hatte den Eindruck, jetzt werde man dazu übergehen, sich gewaltsam der Person des Prinzen Henri zu versichern. Den Kardinal von Lothringen besonders hielt sie für fähig zu allem. Er war gefährlicher als das Königshaus, das die Macht schon hatte. Der Guise begehrte sie erst, und Jeanne d’Albret wußte aus sich selbst, was das heißt.
Sie entschloß sich daher, aufzubrechen nach der Gegend der festesten protestantischen Stellungen, Saintonge genannt, nördlich von Bordeaux längs des Ozeans. Henri war in freudiger Erregung, anders als seine Mutter, die ihre Zweifel hatte.
«Warum weinst du, Mama?»
«Weil ich nicht weiß, was Recht und was Unrecht ist. Immer stellt Satan sich dem Guten entgegen, und wie ich auch handle, ich muß fürchten, daß er es ist, der mich antreibt.»
«Nein. Mir sagt Beauvois, daß ich groß genug bin, in den Krieg zu ziehen und zu kämpfen.»
«Und wer ist dein Beauvois? Hat Satan noch nie durch ihn gesprochen?»
«Diesmal bedient er sich des Mundes des Herrn de la Mothe-Fénelon.» Das war der Abgesandte Katharinas. «Ich erkenne die Stimme des Bösen genau!» rief Henri.
Darauf schwieg Jeanne. Sie war zu glücklich, daß wenigstens der Vierzehnjährige noch wußte, was recht ist. Blickte sie in sein kleines entschlossenes Gesicht, dann verachtete sie die Herren ihrer Umgebung, die ihr abrieten, mit dem Hof zu brechen, weil sie selbst nur Weltleute oder schwache Herzen waren. Dann fürchtete sie auch die Zuflüsterungen Satans nicht, und im eigenen Innern trug sie den Sieg davon. Ihr Sohn stand im Alter, die Waffen zu führen, das entschied!
Sie fragte nur noch, damit kein Zweifel übrigbliebe:
«Wofür, mein Sohn, wirst du streiten?»
«Wofür?» wiederholte er erstaunt, denn er hatte es ganz vergessen im Eifer und der Freude, sich endlich zu schlagen.
Jeanne ließ es gut sein, sie dachte: ‹Es wird ihm wieder einfallen. Die Tücke der Feinde, besonders aber die des Schicksals wird es ihn lehren. Er wird sich jedesmal daran aufrichten, daß er für die wahre Religion kämpft. Wohl wird auch sein Blut sprechen; denn er ist seinem Onkel Condé näher verwandt als jedem katholischen Fürsten. Außerdem verlangt das Königreich, befriedet zu werden durch unseren Sieg› — setzte Jeanne um der Ehre willen hinzu. ‹Aber die Hauptsache›, dachte sie sofort wieder, ‹bleibt der Dienst Gottes. Das ganze Leben meines lieben Sohnes wird aus einem Stück sein, und der Glaube fügt es zusammen.›
2
So lernte der junge Henri vor der Zeit die Bosheit der Menschen kennen. Er hatte schon etwas davon geahnt nach so vielen wirren Eindrücken seines zarten Alters, das eine ununterbrochene Kette dunkler unvorhergesehener Ereignisse war. Aber als er seinen munteren Fluch «Ventre Saint-Gris»* herausschmetterte — und das gar in dem Augenblicke, da ihm die ganze furchtbare Gefahr des Lebens unverhüllt vor Augen trat —, gab er damit dem Schicksal zu verstehen, daß er die Herausforderung annahm und daß er für alle Zeit sich seinen frühen Mut und seine angeborene heitere Laune bewahren werde.
An jenem Tage entwuchs er der Kindheit.
* Ein von Henri Quatre erfundener und nur von ihm selbst verwendeter und mit ihm in die Geschichte eingegangener Stoßseufzer. Die wörtliche Übersetzung «Heiliger Graubauch» besagt so gut wie nichts. Ein deutsches Äquivalent wäre vielleicht «Heiliger Strohsack».