Er hatte bisher zu Pferd gesessen, sonst nichts, aber es war viel. Dem Feind entgegenreiten, völlig schuldlos, rein und neu, während jener voller Sünden ist und bestraft werden soll. Das ist seine Sache, um so schlimmer für ihn, wir sind den ganzen Tag, fünfzehn Stunden, in Bewegung, ohne abzusitzen, herrlich, unermüdlich, und fühlen den Körper nicht. Der Wind nahm ihn auf, er flog, die Augen wurden immer heller und schärfer, er sah so weit wie nie vorher, weil er jetzt einen Feind hatte. Aber der war plötzlich nicht mehr nur im Wind und in der Ferne. Er kündete sich an, eine Kugel kam geflogen. Der Nachhall des Schusses ist schwach, die Kugel aber liegt wirklich am Boden, schwer und aus Stein.
Am Beginn jedes Gefechtes hatte Henri Furcht, er mußte sich damit abfinden. «Wenn wir keine Furcht kennten», sagte ihm ein Pastor, «könnten wir sie auch nicht überwinden zur Ehre Gottes.» Henri beherrschte seine Erregung und stellte sich auf denselben Platz, wo der erste gefallen war. Das hatte auch sein Vater Antoine getan und war getroffen worden. Ihn traf keine Kugel, seine Furcht war fort, und er ritt mit den Seinen, um die feindliche Artillerie zu umgehen. Wenn es gelang, das waren noch Streiche!
Jetzt war sein Onkel Condé nicht mehr da, dem unbesorgten Jungen wurde auf einmal Ernst und Verantwortung aufgeladen. Seine Mutter Jeanne eilte herbei, sie selbst stellte ihn den Truppen als Führer vor, der Kavallerie zuerst und dann der Infanterie. Henri schwor bei seiner Seele, seiner Ehre und seinem Leben, er werde die gute Sache nie verlassen, und ihm wurde zugejubelt. Dafür mußte er, anstatt nur durch den Wind zu reiten, auch im Rat sitzen. Das wäre ermüdend gewesen, wenn es nicht die guten Witze gegeben hätte. Ein Brief an den Herzog von Anjou machte ihm viel Vergnügen. So hieß jetzt der zweite noch lebende Sohn Katharinas, früher nur Monsieur genannt, auch ein Henri, einer der drei Henris aus der Schulzeit in Paris. Jetzt standen sie gegeneinander im Feld.
Dieser Henri hatte ihm hochmütig und belehrend geschrieben über seine Pflicht und Schuldigkeit gegen das Königreich. Das wäre noch hingegangen, aber der gesuchte Ton — entweder ein Sekretär, der ein Fremder sein muß, hat das mühselig stilisiert, oder Henri Monsieur, wenn er es selbst ist, weiß sich nicht mehr zu lassen vor lauter Geziertheit und Überzüchtung, wie seine Schwester Margot! Der Prinz von Navarra verhöhnte in seiner Antwort die ganze feine Familie. Der Schreiber hätte sich ausgedrückt wie ein Ausländer, die landläufige Sprache des gemeinen Mannes kenne er nicht. Na, und die gute Sache ist doch natürlich dort, wo man richtig Französisch spricht!
Henri berief sich auf die Sprache und den Stil. Damit verriet er etwas, das ihm nicht bewußt wurde: er selbst kam von anderswo, und seine ersten Laute waren nicht ganz diese gewesen. Inzwischen hatte er die Redeweise des Hofes, der Schule, endlich aber die der Soldaten und des Volkes erlernt, und das war seine liebste. «Das Französische ist die Sprache meiner Wahl», sollte er später ausrufen, als er schon wieder wußte, wie es um ihn stand. Jetzt wollte er vielmehr glauben, daß es seine erste und einzige gewesen wäre. Er schlief mit seinen Leuten im Heu, wenn es grade so kam, zog auch die Kleider nicht aus, wusch sich nicht viel öfter als sie, roch und fluchte wie sie. Einen gewissen Vokal bildete er noch immer anders als sie, aber das wollte er nicht merken, hatte auch vergessen, wie damals auf dem Schulhof die beiden anderen Henris sich anstießen und ihn belächelten, weil er dem Wort Löffel einen falschen Artikel beigab. Noch immer gebrauchte er den falschen.
Manchmal erkannte er klar die Fehler in der Kriegführung, die Coligny machte. Das war, wenn die Lust zu leben und zu reiten den Jungen nicht völlig hinriß. Gewöhnlich schien es ihm wichtiger, sich zu schlagen, als die Schlacht zu gewinnen, denn lang und fröhlich war das Leben. Vor dem Admiral, einem alten Mann, mußte man Ehrfurcht haben, denn er hatte den Krieg erlernt; und erst die Niederlagen, die Siege und die Jahre, alles zusammen ergibt das Wissen. Dem Kriegsgott in Person, mit der Maske eines tragischen Denkmals, vertraute Henri keine Zweifel an, besprach sie nur mit seinem Vetter Condé, dem Sohn des gefallenen Prinzen von Geblüt, den Coligny geopfert hatte.
Sie waren einig in dem Punkt, der allein die Jugend zusammenführt: der Alte hat seine Zeit gehabt. Ihm gelingt nichts mehr — und wenn wir es schon besprechen: was ist ihm im Grunde jemals zum Vorteil ausgeschlagen? Versündigen wir uns nicht! Er hat Frankreich, wie alle Alten sich erinnern, gerettet einst in Flandern — wie hieß die Stadt? Die Guise hatten den Krieg damals gewollt gegen Philipp von Spanien, unseren angestammten Feind. Es sind alte Geschichten, vor unserer Zeit geschehen, wer kennt sie noch genau? Der Herr Admiral hatte abgeraten von dem Feldzug, im letzten Augenblick verhütete er dann die Niederlage, persönlich schloß er sich in die unbefestigte Stadt ein; aber wer wird belohnt? Nicht er, sondern die Guise, die Schuldigen an dem Krieg. Das ist noch schlimmer, als wenn er jenen Platz — ah! Saint-Quentin hieß das Nest — lieber gleich den Spaniern übergeben hätte. Wer keinen Erfolg hat –
Was wahr ist, soll es bleiben: er nahm zu seiner Zeit Boulogne den Engländern fort. Das weiß man noch. Er hat eine französische Flotte befehligt, und als ich von den Steinen in La Rochelle hinüberblickte nach der Neuen Welt, mußte ich denken, daß als erster von allen Franzosen Herr Admiral Coligny es unternommen hatte, eine französische Kolonie zu gründen. Vierzehn Emigranten mit zwei Pastoren segelten nach Brasilien, und natürlich wurde nichts daraus. Es ging ihm wie mit dem meisten anderen: er tat das Beste und verlor. Wer nun einmal erfolglos ist –
Er hat doch oft gesiegt — ja; aber es waren Siege gegen den König von Frankreich, den er immer nur versöhnen wollte mit seinen protestantischen Untertanen und nur befreien wollte aus den Händen der Guise. Daher mußte der Herr Admiral jedesmal faule Verträge schließen, und der Krieg fing von vorn an. Seine Mäßigung wollte beweisen, daß er zuletzt doch kein Aufrührer gegen den König sei — und doch hat er Karl den Neunten sogar gefangennehmen wollen, und der vergißt ihm nie, daß er hat fliehen müssen. Entweder ist man in Gottes Namen ein Aufrührer gegen den König oder man führt nicht erst Heere nach Paris — und läßt sich nicht an der Nase herumführen, anstatt die Hauptstadt des Königreiches einzunehmen, zu plündern und den ganzen Hof glatt niederzumachen! Statt dessen erscheint, sooft es für den Hof schlecht steht, ein königliches Edikt, das die Glaubensfreiheit den Protestanten zusichert, aber schon tags darauf wird es gebrochen. Und hielte man es selbst ein, wieviel ist für unsere Glaubensbrüder denn gewonnen? Zwanzig Meilen muß ein Hugenotte reiten oder laufen, wenn er zum Gottesdienst wilclass="underline" so wenig Bethäuser sind ihnen erlaubt. Ich mag das nicht, wenn einer vergebens siegt.
Natürlich ist er ein ausgezeichneter Feldherr und Glaubensheld. Wir von der Religion sind eine Minderheit, und fürchten sie uns dennoch, so fürchten sie den Herrn Admiral, und schicken sie uns Unterhändler, dann fragen uns diese: Wißt ihr wohl auch, daß ihr keine Bedeutung hättet für den Hof, außer durch den Herrn Admiral? Nun aber sieh ihn dir an, was ihm selbst an Gewinnen übrigbleibt nach einem Leben der wohlgemeinten Anstrengungen. Bis zu seinem alten Sieg von Saint-Quentin, der ihm so übel bekam, und seinen Feinden, den Guise, so gut, soll er ein mächtiger Günstling gewesen sein. Der verstorbene König lebte, er liebte Coligny, machte ihn reich, noch hatte Madame Catherine nichts zu sagen, und ihr Sohn Karl war ein Kind. Das waren seine Glanztage, wir waren nicht dabei. Jetzt sind auch wir dabei, was aber geschieht eben jetzt, da wir sprechen? Sie versteigern in Paris seine Möbel, die sie fortgeschafft haben aus seinem Schloß Châtillon, und das ist von ihnen angezündet. Sie haben ihn verurteilt, als Aufrührer und Verschwörer gegen den König und seinen Staat gehängt und erdrosselt zu werden auf dem Greveplatz. Sein Besitz ist eingezogen, seine Kinder sind für gemein und ehrlos erklärt, und wer ihn ausliefert lebend oder tot, bekommt fünfzigtausend Taler. Wir Jungen müssen uns wirklich vor Augen halten: der Herr Admiral hat dies alles erwählt um des wahren Glaubens willen und hat sich erniedrigt zum Ruhm Gottes. Denn sonst wäre es unverzeihlich!