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Als diese Worte gefallen waren, stand der Protestant Coligny von seinem Sitz auf. Er streckte die Arme hin, als empfange er den Herrn selbst. Henri aber umarmte ihn. Dann küßte er seiner lieben Mutter die Tränen vom Gesicht.

Der Rat blieb keineswegs so feierlich. Die drei kamen überein, daß alle Vorteile für sie in Paris lägen, anstatt in London. Henri fragte sogar, ob das englische Angebot auch nur ernst gemeint wäre. Vielleicht diente es eher dazu, die französische Heirat zu hintertreiben. Jeanne mußte viel Selbstgefühl überwinden, bevor sie diesen Gedanken zuließ. Die Klugheit und Verständigkeit ihres jungen Sohnes waren Trost für ihren Stolz. Henri meinte, daß er die glänzende Stellung eines Gemahls der Königin von England von Herzen gern seinem Vetter d’Anjou überließe. «Einer weniger!» setzte er unvermittelt hinzu; aber sie verstanden ihn durchaus. Jeanne bestätigte, daß man Madame Catherine nicht herausfordern dürfte, da sie ihren zweiten Sohn ja nun einmal nach England zu verheiraten gedächte. Hierauf wiederholte sie: «Einer weniger!» Sie sprach geradeaus in das Zimmer: «Vier waren es. Zwei werden nach Karl übrig sein. Karl ist aus einem allzu vornehmen Knaben ein dicker, gemeiner Mann geworden, obwohl er König heißt. Zuweilen aber blutet er.»

Bei diesem Wort reckten sowohl ihr junger als auch ihr alter Zuhörer den Kopf vor. Jeanne sah sie indessen nicht an: sie nickte wie eine Frau, die weiß, was sie sagt, wenn es sich um den Körper und seine Tätigkeit handelt. «Sie bluten», sagte Jeanne. «Ihr Blut fließt nicht, sondern breitet sich langsam auf der Haut aus. Alle vier Söhne des alten Königs haben das, und der erste ist schon daran gestorben.»

«Müssen auch die anderen sterben?» fragte Henri, kalt angerührt.

Coligny antwortete hart: «Die Valois verfolgen die Religion. Das ist ihre Strafe.»

«Sie haben es nicht, weil sie Valois sind», sprach Jeanne. «Sie haben es durch ihre Mutter, denn die war lange unfruchtbar.»

Die beiden Männer zogen die vorgestreckten Köpfe zurück: dies verstanden sie nicht mehr. Jeanne hatte die Zusammenhänge nur entdeckt, weil sie selbst so viele Nächte wach lag mit Atemnot und jenem unheimlichen Kitzel unter der Schädeldecke, rings um den Kopf. Da kein Arzt ihr den Grund zu erklären wußte, hatte sie erraten müssen, daß die menschlichen Geschicke sich nach dem Willen Gottes in den Leibern vollziehen, bevor sie sichtbar auftreten. Jeanne sollte leiden und früh dahingehn, nachdem sie einen auserwählten Sohn geboren hatte. Ihre Feindin Katharina dagegen verdiente es, alt zu werden und alle ihre spät empfangenen Söhne hinabsteigen zu sehen. Jeanne rechnete hierauf mit dem besten Gewissen und ohne Mitleid.

«So werde ich diesmal ihrem Gesandten den Bescheid geben, daß ich mich der Verbindung mit ihrem Hause nicht widersetzen will, wenn sie mir gewisse Bedingungen erfüllt.»

«Strenge, unveräußerliche Bedingungen», verlangte Coligny. «Der Hof soll sich gegen Spanien erklären. Seine Truppen sollen in Flandern einrücken, und ich will sie führen.»

«Die Prinzessin von Valois soll protestantisch werden», entschied Jeanne, und hierüber erstaunte Henri so heftig, daß er aufschrie. Margot und die Religion! Die Religion und die verliebte Margot! Er wußte nicht, wohin mit sich und seiner überwältigenden Lachlust. Schließlich verschwand er in einer tiefen Fensternische, ließ den Vorhang über sich fallen und keuchte in seine Hände hinein. Seine Mutter sagte gehoben:

«Mein Sohn dankt Gott, weil seine künftige Frau gerettet werden soll.» Das empfand Coligny als eine zu starke Zumutung an Gott. Er war nahe daran, es auszusprechen: die Prinzessin führte einen verwerflichen Lebenswandel. Sie unterhielt wohlbekannte Beziehungen zum Herzog von Guise. Als Christ hätte er sprechen sollen, als Weltmann aber schwieg er, und so warteten beide, bis Henri sich wieder zu ihnen gesetzt hatte. Dann belehrte Jeanne ihn allerdings gründlicher als vorher über die Gefahren des Unternehmens.

«Vergiß niemals, daß sie sich vor allem deiner versichern wollen. Es ist immer der Grundsatz Madame Catherines gewesen, ihre Feinde im Hause zu haben; und nach ihren Söhnen, die so leicht bluten, hast du den nächsten Anspruch auf die Krone Frankreichs. Ich weiß wohl, daß sie sich mit deiner Hilfe auch des Guise entledigen will, denn seine Familie scheint ihr bedrohlicher als die unsere», sagte sie mit dem Ton der Verachtung. «Aber das Wichtigste ist der Königin, dich an ihren Hof zu locken. Das werde ich indes verhindern, ich selbst werde statt deiner hinreisen, dann wollen wir einmal sehen, ob sie mit mir fertig wird.»

Coligny nickte grimmig. «Und ich folge Eurer Majestät auf dem Fuß. Alle unsere Forderungen müssen bewilligt werden, oder das protestantische Heer, mit dem Prinzen von Navarra an der Spitze, setzt sich gegen Paris in Bewegung. Darauf gibt es keine Gnade mehr!»

Dem jungen Henri schien es, als ob auch vorher nicht viel Gnade geübt worden wäre. Vor seinem Gesicht krümmten sich Bauern an Balken hängend, Feuer war angezündet unter ihren Füßen. Was ließ sich einwenden, wenn sogar seine geliebte Mutter aus Erfahrung wußte, daß dies das Gesetz der Welt war und daß der wahre Kampf um die Religion und das Königreich nicht anders aussah. Was verdienten auch Madame Catherine und ihre Katholiken, da sogar seine geliebte Mutter vor ihnen nicht sicher war?

«Mama!» rief er. «Du darfst nicht hinreisen! Sie werden dir etwas tun!» Er rief es wie ein ängstliches Kind. Jeanne zog ihn zu sich nieder, seinen Kopf bis in ihren Schoß, und so sprach sie — zu ihm, zu sich selbst und ihrem Herzen: ‹Eine Frau allein ist am sichersten. Gott muß ihr beistehen, da niemand es tut. Aber was bin ich vor Gott — jetzt noch? Einst: ungeheuer viel, das Gefäß. Es ist jetzt ausgeleert und darf zerbrechen.›

Sie glaubte es zu sprechen, hatte es in Wahrheit nur gedacht; aber mit diesen Worten war von Jeanne d’Albret das Opfer ihres Lebens gebracht.

Auch der Rat war zu Ende. Ihr Sohn und der Admiral verabschiedeten sich von ihr.

Eine Einzige ganz im Ernst

Draußen traf Henri seinen Vetter Condé und den jungen La Rochefoucauld, gleichfalls einer, vor dem er sich gehenließ. Ihnen sagte er:

«Nun also! Ich heirate die Schwester des Königs von Frankreich. Das ist auch der einzige Platz, der bei Hof noch frei ist. Sie haben schon einen Kanzler, Sekretär, Schatzmeister und Narren. Nur einen Hahnrei brauchen sie noch, der werd ich sein!»

Er lachte und sprang in die Luft, so hinreißend lustig, daß beide mittaten, trotz ihrer inneren Befremdung.

Jeanne kehrte nach ihrem Land Bearn zurück, es war Herbst, der Abgesandte Katharinas suchte sie nochmals heim, er hieß Biron, und sie sagte ihm nicht mehr nein; sie stellte nur Bedingungen, ihre ersten und vorläufigen. Mehreres, an Protestanten verübtes Unrecht war zu sühnen, im Süden eine Stadt zu räumen, in Paris ein lästerliches Kreuz zu entfernen. Sie erklärte gradeheraus, daß sie nicht betrogen werden wollte, wie so manche andere, die im guten Glauben zu Hof gereist wäre!

Herbst war es gewesen, wurde aber Winter, bevor sie sich recht in Bewegung setzte. Sie hatte Fieber bekommen, ihr Sohn war gestürzt; man konnte glauben, Jeanne würde durch diese Unfälle gewarnt, zu reisen. Dennoch kam es endlich dazu, daß Mutter und Sohn sich trennten: die Stadt hieß Agen, der Tag war der dreizehnte Januar, angebrochen war das Jahr zweiundsiebzig. Den blauen Lüften, dem besonnten Weg hätte niemand angesehen, daß dieser Abschied endgültig war. Die Pferde zogen an, schon rollte die lederne Kutsche, noch winkten und lächelten die bleiche Jeanne und ihre Tochter Kathrin. Der Sohn stand neben seinem Reittier, und sein Blick ging von einer zur anderen. Die Schatten unter den Augen der Mutter hatten sich ausgebreitet in letzter Zeit, so sah er, bis hinab über ihre Wangen. Ihr Lächeln wurde inzwischen starr, daraus erkannte er, daß sie sein Gesicht schon nicht mehr genau unterschied, wohl wegen der zunehmenden Entfernung und auch, weil Tränen in ihre Augen traten.