Solange in der Provinz nur Unordnung herrschte, hatte es der Königinmutter nichts ausgemacht. Jetzt erfuhr sie aus besonderen Berichten, wenn nicht durch Biron, daß die Städte, eine nach der anderen, sich dem Gouverneur unterwarfen.
Das war nicht nach ihrem Sinn. Sie beschloß, in eigener Person dort unten zu erscheinen, damit nicht noch mehr Unglück geschähe.
Madame Catherine sah ein, daß sie dem Schwiegersohn wenigstens die Frau mitbringen mußte. Die beiden Königinnen reisten vom zweiten bis zum achtzehnten August, da waren sie in Bordeaux, unter dem Schutz des Marschalls Biron. Sie hatten bei sich ein Heer von Edelleuten, Sekretären, Soldaten, nicht zu vergessen die gewohnten Edelfräulein und schönen Frauen des Hofes, darunter Charlotte de Sauves. Diese war eingeladen gegen den Willen der Königin von Navarra, aber auf Befehl ihrer Mutter.
Der Ortswechsel des bunten Zuges vollzog sich, wie immer, mit einer Großartigkeit, die unterbrochen wurde durch allerlei Schrecken. Im Süden, nahe dem Ozean, erwartete man Überfälle durch Hugenotten; einige Male hielt auf freiem Felde alles an, die Wagen, die Reiter und das Fußvolk. Die Bewaffneten umringten die Karossen der Königinnen. War der falsche Alarm überstanden, ging es weiter mit hü und hott. Dafür sonnte man sich im eigenen Glanz an jeder größeren Haltestelle. In der Stadt Cognac hatte Margot einen der Erfolge ihres Lebens: die ehrbaren Frauen staunten ob ihrer Kleiderpracht, bestürzt und fassungslos. Ein Stern ging auf über dieser fernen Provinz, zum Schaden des Hofes von Paris, der von Schönheit verwaist und jetzt der Sonne bar war: so schwärmte einer der Mitreisenden, ein Herr de Brantôme. Für ihn selbst wäre es besser gewesen, große, wohlgestaltete Glieder zu haben, wie die Herren Guise, Bussy, La Mole. Darauf gab Margot mehr als auf Begeisterung. Reden konnte sie selbst; bei dem Einzug in Bordeaux, der ein Triumph wurde, antwortete sie mit Majestät und Anmut allen, die sie begrüßt hatten. Dies war besonders Biron.
Außer seinen anderen Stellungen bekleidete der Marschall das Amt eines Bürgermeisters von Bordeaux, Hauptstadt der Provinz; und gerade sie hatte den Gouverneur bis jetzt nicht empfangen. Henri weigerte sich einfach, den Königinnen dorthin entgegenzukommen. Es mußte verhandelt werden, das dauerte fast sieben Wochen. Dann hatte Henri erreicht, daß die Beteiligten sich trafen in dem einsamen Haus Casteras, demselben, wo Biron geschlagen worden, und die ganze Gegend war noch voll davon. Der Marschall wagte sich dort nicht zu zeigen. Henri erschien mit hundertfünfzig berittenen Edelleuten, ihr Anblick erregte bei der alten Königin ebensoviel Besorgnis als Bewunderung. Um so liebevoller versicherte sie den Schwiegersohn ihrer Gefühle, die friedlich wären. Sie ging so weit, ihn den Erben des Thrones zu nennen — nach ihrem Sohne d’Alençon natürlich; aber sie und er wußten, was von dem zu halten war.
Sie sind dann in denselben Wagen gestiegen, der entflohene Gefangene, die Mörderin seiner Mutter und seiner Freunde. Sie haben nicht aufgehört, von Liebe überzufließen bis zu ihrer Ankunft in dem Ort La Réole, wo sie endlich den Mund schließen und sich trennen durften. Henri ging in ein anderes Haus mit Margot. Er hat nicht wieder gesprochen, hat nur in den Schein der Kerzen gestarrt, ungeformte Laute ausgestoßen und ganz vergessen, daß hinter seinem Rücken eine der schönsten Frauen sich entkleidete. Plötzlich bemerkt er ein ersticktes Schluchzen, wendet den Kopf und findet die Vorhänge des Bettes zugezogen. Er hat dorthin einen Schritt getan, hat ihn sogleich zurückgenommen, und übernachtet hat er in einem Sessel. Ihm wurde erst wohler, als er den Zusammenstoß mit Biron hinter sich hatte.
Der Marschall ließ nicht warten. Kaum hatten die Königinnen das Unglückshaus Casteras weit genug hinter sich gelassen, bei ihrem nächsten Aufenthalt stellte er sich ein. Henri erlaubte ihm nicht einmal, mit seinen Begrüßungen fertig zu werden, und fuhr ihn schon an. Im Zimmer waren die Königinnen sowie der Kardinal von Bourbon, Onkel Henris und eigens mitgebracht, um ihn vertraulich zu stimmen. Alle erstarrten bei diesem Auftreten des jungen Mannes, niemand faßte sich schnell genug, um seinen Ausbruch aufzuhalten. Mit dem ersten Wort nannte er Marschall Biron einen Verräter, dessen Kopf auf dem Greveplatz zu fallen verdiente. Dann folgten seine Anklagen, und er brachte sie nicht vor wie ein Eifersüchtiger, wahrhaftig nicht, sondern sprach namens des Königreiches, das er verteidigte, sprach schon vom Thron herab: die alte Königin wurde fahler davon anzusehn.
Als Biron antworten wollte, versagte ihm die Zunge. Die Adern an seinen Schläfen schienen nahe dem Zerspringen. Er knackte mit seinen Fingern. Sein rollender Blick fiel durch Zufall auf den alten Kardinal. Sofort rief Henri: «Man weiß, daß Sie jähzornig sind, Herr Marschall. Jähzorn ist eine gute Ausrede. Sollte es Ihnen indessen einfallen, meinen Onkel, den Kardinal, aus dem Fenster zu werfen, dann machen Sie sich auf etwas gefaßt. Nein. Gehen Sie lieber auf den Daumen um den Tisch: das wird Sie beruhigen.» Nicht mehr die Sprache des Thrones — nur der bekannte Schelm gab seinen Witz zum besten. Hierauf faßte Henri seine Margot bei der Hand, hob diese bis zur Höhe der Augen, und in anmutiger Gangart verließen sie zusammen das Zimmer.
Sie küßten sich hinter einer Tür wie Kinder. Margot sagte: «Jetzt weiß ich, wie Sie es gemeint haben, mein lieber Herr, und bin endlich wieder eine glückliche Frau.» In der nächsten Zeit stellte sich heraus, daß sie der Wiedervereinigung sehr bedurft hatte. «Eine Frau allein, teurer Henricus, was ist das? Mit dir war die Hälfte meines Verstandes entflohen aus Schloß Louvre. Ich habe mich in unsinnige Unternehmungen gestürzt und bin tief gedemütigt worden.» Er wußte, was sie meinte: ihre verunglückte Reise nach Flandern, der Zorn ihres königlichen Bruders, ihre Gefangenschaft. «Ja, mein Stolz hat gelitten. Als die Städte deines schönen Südens mich aufnahmen wie ein höheres Wesen, hatte ich Mühe, mich nicht selbst für eine reisende Komödiantin zu halten.»
Sie ging zu weit. Ihr Schmerz war so unbedacht, daß sie diesmal ihre Tränen über ihre geschminkten Wangen laufen ließ: Henri mußte sie vorsichtig entfernen mit seinen Lippen.
Ihre Aussprachen, Zärtlichkeiten und gemeinsamen Rührungen spielten in einer Reihe von Städten. Der bunte Zug der Königinnen besuchte noch viele Orte, Henri begleitete ihn nicht, er stieß zu ihm nur zwischen zwei Jagden. Dadurch vermied er manches peinliche Gespräch mit seiner Schwiegermutter über die Tagung der reformierten Abgeordneten. Die Glaubensfreiheit lag ihr am Herzen, wie sie sagte. Madame Catherine war herbeigereist, zu keinem anderen Zweck, als wegen einer Beratung mit den führenden Hugenotten zwecks Anwendung des letzten königlichen Erlasses über die Glaubensfreiheit. Henri wußte aber, daß solche Erlasse niemals wirklich in Kraft träten, und bevor die Konferenz aus wäre, begänne schon der nächste Religionskrieg. Mehrere seiner Freunde dachten anders, besonders Mornay. Daher ließ Henri sich darauf ein, den Ort der Konferenz mit auszusuchen. Indessen fiel seine Wahl jedesmal anders, als die seiner geliebten Schwiegermutter. Erst abends traf er bei den Reisenden ein, wo sie gerade haltmachten; zog sich alsbald zurück mit der Königin von Navarra, und da er sie beglückte, erzählte sie ihm vieles. Das erleichterte sie, für ihn aber war es gut zu wissen.
Sie entsetzte sich über die Gewalt im Königreich. Hier unten wäre Frieden — wenn sie zurückdächte! Das Königreich ging zugrunde an Gewalt, was angemaßte Herrschaft heißt. Nur noch die Liga befahl anstatt des Königs. «Mein königlicher Bruder haßt mich, aber er bleibt mein Bruder, ich bin die Prinzessin von Valois — und vergesse es nicht, je weniger er selbst darauf bedacht ist, König zu sein. Die Guise werden uns stürzen», brachte sie hervor mit zusammengebissenen Zähnen, war bleich und anzusehen wie Medea. Ihr Gatte hätte geschworen, daß sie mit dem Herzog von Guise niemals wieder schlafen würde — oder nur, damit sie ihm, wie Dalila dem Samson, den gelben Bart scheren könnte.