Ihre Finger spielten in den Kinnhaaren ihres lieben Herrn. Sie lobte sein ernster gewordenes Gesicht. Lange betrachtete sie es, zweifelnd, überlegend, bevor sie das Folgende aussprach: «Du führst in dieser Provinz ein kleines Leben. Ich will es mit dir teilen, mein Herr und Gebieter, und werde glücklich sein. Eines Tages sollst du dich aber erinnern, daß du für größere Geschicke ausersehen bist — und sollst mein Haus retten», schloß sie zu seinem großen Erstaunen. Ihre Mutter und Brüder hielten ihn bis jetzt für ihren Feind, der sie aus der Macht drängen wollte, noch bevor er sie beerbte. Die Vereinigung der Körper hatte die Prinzessin von Valois schneller belehrt als jede andere Art, auf die ein Mensch den anderen prüft. Sie traute ihm, solange sie bei ihm war: nachher nicht mehr. Wie konnte sie. Ihr kam es zu, das Aussterben ihres Hauses zu rächen an seinem Erben und Henri nochmals zu verraten, bevor sie endlich von ihrem ganzen Stamm allein übrigblieb. Sie blieb kinderlos wie ihre Brüder. Die letzte Prinzessin von Valois bemühte sich zeit ihres Lebens um das Gleichmaß der Glücklichen, Gesicherten. In Wirklichkeit ging nichts sie an, was nach ihr kam: daher war sie von Grund auf unruhig. Mit ihr sollte mehr enden als nur sie; vergebens suchte sie Gleichmaß.
In der Stadt Auch wurde das eheliche Idyll einmal stürmisch unterbrochen. Nicht umsonst zog Madame Catherine ihre Edelfräulein mit umher. In eine von ihnen verliebte sich ein älterer Hugenott, der voll Verwundungen war, sogar im Mund hatte er welche, er konnte kaum sprechen — und um eines Mädchens willen lieferte er seinen festen Platz den Katholiken aus. Henri ließ zuerst mit achtungsvollen Worten seine liebe Schwiegermutter wissen, was er von ihren kleinen Bosheiten hielt. Sich selbst rechnete er zu den Dienern des Königs, die alte Übeltäterin vielmehr zu denen, die ihm Böses zufügten. Dies laut zu sagen, war eine Genugtuung. Da die Alte sich aber stellte, als wäre es das erste, was sie hörte von dem Verrat des Kommandanten, nahm Henri höflich Abschied, ritt aus und nahm sich eine andere kleine Stadt als Pfand. So neckten diese beiden einander, bis sie schließlich übereinkamen, der Rat der Reformierten sollte in Nérac tagen.
Inzwischen war es Dezember geworden, die Blätter flogen im Wind: nicht mehr die rechte Jahreszeit für schöne Einzüge. Königin Marguerite von Navarra ritt dennoch einen weißen Zelter, der das gewöhnliche Pferd der Märchenprinzessinnen ist. Rechts und links von ihr tänzelten ein goldgelbes und ein braunes, mit der jungen Catherine von Bourbon und ihrem Bruder Henri, der sich in großen Staat geworfen hatte zu Ehren seiner Gemahlin. Die alte Madame Catherine war nicht geeignet, vom Volk in der Nähe betrachtet zu werden, besonders nicht unter diesem hellen Himmel; sie sah hinter einem Fenster zu. Die unvergleichliche Margot, strahlend von Ruhe und Sicherheit, hörte drei junge Mädchen etwas aufsagen. Sie stellten Musen dar und führten, der Königin zu Ehren, ein Gespräch, das der Dichter Du Bartas ihnen in den Mund legte. Die erste redete im Dialekt des Landes, die zweite in der Schriftsprache, die dritte benutzte die Ausdrucksweise der alten. Margot verstand das Lateinische und das Französische, vom Gascognischen entging ihr manches. Sie fühlte aber, was das versammelte Volk von ihr erwartete: wickelte sich ihre reich bestickte Schleife vom Hals und schenkte sie der einheimischen Muse. Schon hatte sie die Herzen gewonnen, und auch das ihre schlug davon höher.
Madame Catherine betrachtete alles scharf in dieser ländlichen Hauptstadt. Ihr alter Zaunkönig machte aus sich, was er konnte, empfing sie und ihr Gefolge soweit seine Mittel reichten, tischte ihnen alles mögliche auf. Wenigstens zeigte er, daß er sich freute. Noch abfälliger beurteilte sie die Abgeordneten auf der Tagung, als diese endlich zusammentrat. Alle fand Madame Catherine wie Pastoren aussehend oder wie gewisse Vögel, die sie hierorts nicht beim Namen nannte. Verhandelt wurde zum Schein über gemischte Gerichtshöfe mit reformierten Beisitzern und über die Verzeihung begangener Ausschreitungen. Der wirkliche Gegenstand war, wie immer, die befestigten Plätze der Hugenotten. Diese forderten unmäßig viele, die alte Königin aber hätte ihnen am liebsten alle fortgenommen. Sie übte vor ihren Damen eine Rede mit lauter Bibelstellen ein und dachte die guten Leute zu überlisten in der Sprache, die ihnen geläufig war. Ihr eigenes Aussehen und ihr Ruf widerlegten indessen alles, was sie im Munde führte: das entging ihr erstaunlicherweise.
Sie glaubten ihr in sämtlichen Sitzungen kein Wort und behielten eherne Stirnen, bis sie ihnen mit Hängen drohte. Die Königin Marguerite mußte weinen; ihr inniger Wunsch, geliebt zu werden, wurde gefährdet durch ihre schreckliche Mutter, die man vielfach auch komisch fand — und dies gewöhnlich, wenn sie aus der Tür in die Landschaft trat. Im Saal der Tagung nahm sie einen erhöhten Thron ein, das ging noch an. Draußen wurde sie zu einem kleinen Fleck auf der hellen Gegend, ging krumm an ihrem Stock, die gelben Wangen schaukelten; und wer der Bartholomäusnacht gedachte — er hatte vielleicht nicht gelacht seitdem — , der lachte infolge des Gegensatzes jetzt. Auch ihre Ehrenfräulein verzerrten sie im Grunde nur. Hier ist nicht Schloß Louvre, die Sonne scheint zumeist unverschleiert auf beide Ufer der Baïse und den Park La Garenne. Hier wird offen und harmlos Krieg geführt und geliebt. Die alte Frau aber rechnet auf die geheimen Abgründe des Geschlechts. Das Alter geht mit dem Laster eine falsche Verbindung ein und macht sich zum Gespött.
Die Sittenstrengsten der Hugenotten haben es damals Henri nicht verübelt, daß er sich mit mehreren der willigen Fräulein einließ. Seine Margot litt im Augenblick nicht sehr darunter, sie war in Anspruch genommen von ihrer neuen Rolle: Landesmutter und höheres Wesen. Die Hauptsache blieb, daß Henri selbst nur einfach nahm, was angeboten wurde, aber den Schönheiten eine Nase drehte, wenn sie ihn fortlocken wollten an den Hof von Frankreich. Hierauf war es abgesehn mit der Reise, der Tagung und dem Besuch der hohen Gäste: nur hierauf, er hatte es gleich geahnt. Zuletzt mußte seine Schwiegermutter persönlich ihm mit ihren Gründen aufwarten. Sie hielt ihm vor, daß ihr Sohn, der König, in seinem Louvre jetzt ganz allein stände. Sein Bruder d’Alençon wäre gegen ihn im Aufruhr, die Guise und ihre Liga unterwühlten seinen Thron. Aber nicht weniger wäre zu fürchten ein Prinz von Geblüt, der sich dem Hof entfremdete und allmählich zu stark wurde in seiner Provinz. Ob Henri gar nicht daran dächte, er könnte ermordet werden? Dies war der letzte Trumpf seiner lieben Schwiegermutter: sie drohte ihm mit Mördern.
Er ließ sich dennoch nicht in ihre mütterlichen Arme fallen, sondern antwortete, daß ihm bei Hof noch keine Versprechung wäre gehalten worden. Als Gouverneur dächte er von hier aus weiter den Frieden zu verbreiten im Königreich, dessen Dienst er einzig im Sinn hätte. Darauf nahmen sie bald Abschied voneinander, und zwar mit derselben, häufig überfließenden Liebe wie am Anfang des Besuches. Er hatte aber gewährt den ganzen Winter bis in den schönen Monat Mai. Ihre beiden Kinder begleiteten die gute Mutter eine Strecke, bis sie allein weiterzog — über schlechte Wege, durch bergiges Land, im Bereich einer unzuverlässigen Bevölkerung. An einem Ort wurde die alte Königin empfangen von rosenstreuenden Mädchen, aus einem anderen mußte sie schleunigst entweichen vor der allgemeinen Abneigung. Sie zog einfach ihren schwarzen Filz ins Gesicht, auch sie war tapfer, alle sind tapfer; unbeirrt stieg sie vom Pferd auf ihren Karren um und predigte im Holpern und Stolpern nichts als Frieden: aber welchen meinte die Mutter der sterbenden Söhne?