«Hier, wo ich befehle, ist nichts verdorben», erwiderte Henri einfach. Der König kam zurück auf die Hauptsache.
«Sie kennen meine Bedingung und Ihre Pflicht. Fürchten Sie meinen Zorn nicht?»
Der Übertritt, nur der Übertritt: Henri verstand den König aufs Wort. Sonst mochte es drunter und drüber gehen im Königreich, wenn der Erbe der Krone nur katholisch wurde.
«Sire!» sagte Henri fest. «Darin äußert sich nicht Ihr eigener Sinn. Sie sind weiser als Ihre Worte.»
«Es ist nicht auszuhalten», klagte der König gereizt, «daß Sie einmal auf der Tischkante sitzen und gleich darauf am Ende des Zimmers ein Buch aus der Reihe ziehen. Ich hasse die Bewegung, sie stört die Linien.»
Henri antwortete mit einem Vers des Horaz: «Vitam que subdio — Kein Dach soll er haben als nur den Himmel, und soll in ewiger Unruhe leben!» Wobei er Herrn de Montaigne ansah, und der verneigte sich vor beiden Königen ohne Unterschied. Dann stand er wieder bei der Tür, wie eine Wache.
Der König von Frankreich begann von neuem. «Wegen eines solchen schönen Lebens Ihre ganze Hartnäckigkeit?»
«Sind Sie in Ihrem Schloß Louvre denn gücklicher?» fragte Henri dagegen. «Sire!» betonte er mit Nachdruck. «Ich will aussprechen, was Ihnen schon bewußt sein muß, daß ich ungeachtet vieles erlittenen Unrechtes Sie doch nicht hasse, denn Sie waren in den Händen anderer wie Wachs. Ich hasse die anderen, Sie aber sind mein Herr und Gebieter. Ihr Thron hat von jeher den berechtigten Erben getragen, kein Ungeweihter hat ihn eingenommen, und dies durch siebenhundertfünf zig Jahre, seit Karl dem Großen.»
Die Rede hielt Henri absichtlich, inzwischen sollte der König sich durchringen zu der Erklärung, um derentwillen er herbeigejagt war. Er will den Guise zum Trotz seinen Vetter Henri als Erben der Krone einsetzen. Was kann er anderes vorhaben nach dem Tod seines Bruders und seit dem furchtbaren Verlauf des Begräbnisses, wie der Reitende ihn mir gemeldet hat. ‹Valois, ob ich katholisch bin oder türkisch, du mußt!› So dachte Vetter Henri, während er den König das Gesicht wechseln sah und darin verfolgte die künstliche Starrheit, das unfreiwillige Zucken, endlich aber den unaufhaltsamen Ausbruch. Entschieden wurde dieser in auffallender Weise durch die Erwähnung Karls des Großen. Der König, noch soeben grau, lief plötzlich violett an, wie Karl der Neunte in der Zeit seiner Breite und Lautheit. Er fuhr aus dem Sessel, stand und rang mit seiner Stimme. Endlich gehorchte sie ihm.
«Die Schurken!» Er brachte nochmals und verständlicher hervor: «Der Schurke Guise! Jetzt behauptet er abzustammen von Karl dem Großen. Das fehlte noch, das war noch übrig. Das läßt er schreiben und verbreiten unter meinem Volk. Er soll der einzige echte Nachkomme sein, alle Kapetinger auf diesem Thron waren nur falsche Nachkommen. So viel ist nicht zu ertragen, Navarra! Ein Betrüger von jenseits der Grenze und ganz geringer Herkunft verglichen mit unserer, wagt es, nennt uns Bastarde, sich selbst aber den wahren Erben der Krone Frankreich!»
«Dahin ist es gekommen, weil Sie zu lange gefügig waren», warf Henri ein und gebrauchte den Ton dessen, der jemand zur Besinnung ruft. Der König war von ihr allzuweit entfernt. Seine Zunge hastete wütend, er verschluckte Worte.
«Ich habe mich seinem Zugriff entzogen und bin gejagt mit verhängten Zügeln. Aber dort gelassen hab ich meine Marschälle Joyeuse und Epernon.» — ‹Fünfundzwanzigjährige Marschälle», dachte Henri, ‹und wie sind sie es geworden.›
«Die werden tun, was sie für gut finden, um mich von dem Guise zu erretten. Wenn ich zurückkomme, vielleicht lebt er schon nicht mehr.»
Hier bemerkte der unglückliche Valois dennoch, daß er zuviel sagte — vor Vetter Navarra und im Beisein eines anderen, mit den zu klugen Augen: ein Verräter. Wo ist mein Dolch! Dieser Gedanke ist dem armen König vom Gesicht zu lesen: es wird so häßlich, so schwarz. Die Furcht mitsamt der Eile zu töten, nur damit einer fort ist — das Blut seiner Mutter, die lange Erziehung im Louvre, alles zusammen verwandelt das Gesicht des letzten Valois diesmal bis auf die niederste Stufe. Herr Michel de Montaigne, obwohl nicht ohne Bangen vor dem Dolch, bedauert den König tief, da nichts einen Mann so wehrlos macht wie das Aussetzen der Vernunft. Sonst nur ein bescheidener Edelmann der königlichen Kammer, hier tritt seine Überlegenheit ein, sogar gegen den König: denn er selbst verliert das Denken keinesfalls, auch nicht im Schlaf. Er erlaubte sich, einen Schritt vorzutreten und zu sprechen.
«Sire! Nie sollten wir die Hand gegen unsere Diener erheben, solange wir zornig sind. Das war ein Grundsatz Platons. Demzufolge sagte ein Lakedämonier namens Charillos zu einem Heloten, der frech wurde: ‹Bei den Göttern, wenn ich jetzt nicht Wut hätte, ich brächte dich um.›»
Herr Michel de Montaigne wußte genau, warum er grade dieses Beispiel anzog. Er erinnerte den König an den ungeheuren Abstand zwischen ihm und allen Menschen, ob ein einfacher Edelmann oder der Herzog von Guise. Herr und Knecht: der eine kann den anderen nicht beleidigen, und dieser sich nicht rächen. Wenn das erwähnte Beispiel schmeichelhaft war, es verletzte doch die Wahrheit kaum und unterstützte die Mäßigung; darum wurde es gebracht. Übrigens hatte es mehr Erfolg, als der Humanist sich wünschte. Der König wendete den Rumpf zur Seite, gegen die hohe Lehne seines Sessels drückte er die Stirn, und seinen Schultern war anzusehen, daß er weinte. Seine Trauer war lautlos diesmal — war nicht nur Schmerz, sondern schon seine Auflösung, war Ergebung und Erleichterung. Daher geschah es, daß er den beiden, die ihn doch töten konnten, den Rücken wendete, um stumm seine Tränen zu vergießen. Er fürchtete niemand.
Als er zurückkehrte aus der Haltung der Einsamkeit, hatte er gerötete Augen und den Ausdruck eines begierigen Kindes. «Vetter Navarra, weißt du wohl? Es sind zehn Jahre, daß wir uns nicht mehr gesehen hatten.»
«Seit ich euch aus den Fingern gerutscht bin? Wahrhaftig zehn Jahre?» fragte Henri schnell, und hatte es zurück wie sein Vetter, das Gesicht der Unschuld.
«Zehn Jahre wie ein Tag», sagte Vetter Valois. «Ich weiß nicht mehr, womit sie mir vergangen sind. Und dir?»
«Mit den Mühen des Lebens?» war die Antwort und stieg an in der Art des Zweifels. Henri schüttelte dabei den Kopf.
Vetter Valois griff nach seiner Hand, drückte sie dringlich, raunte ihm zu: «War alles nur Irrtum. Du verstehst doch? Irrtum, Verblendung, unglücklicher Zufall.» Denn so entschuldigt man ein verfehltes Leben, und dies ist der Augenblick des Erstaunens.
«Vetter Navarra! Hat es denn sein müssen? Denke nur das eine: ihr — ihr wäre die Bartholomäusnacht nicht eingefallen.»
Henri, auch mit Staunen, erinnerte sich: «Sie selbst hat gewußt, daß die Guise erst nach der Bartholomäusnacht könnten gefährlich werden. Sie werden das Königreich an Spanien verkaufen: so hat sie mir’s vorhergesagt. Aber sie mußte gegen ihr besseres Wissen handeln.» Was erst die richtige Dummheit ist, setzte er im stillen hinzu. «Ich gestehe dir», sagte er am Ohr des Vetters, «daß ich sie außerordentlich gehaßt habe, und zwar für mein eigenes Unglück wie auch für die großen und unnützen Hindernisse, die sie aufzurichten pflegte gegen das Glück dieses Landes.»
«Was hatte sie aus mir gemacht!» raunte Vetter Valois. «Ich verachtete sie dafür sehr.»
Hier hielten sie beide an, weil sie gewahr wurden, daß sie von Madame Catherine wie von einer Toten sprachen. Indessen ging das Unheil, das diese falsche Lebende aufgerichtet hatte, mit eigenen Füßen weiter. Die Vettern stießen wieder auf die Tatsache, daß sie Gegner waren und in feindlicher Weise beraten wurden. Gleich nach ihrem einträchtigen Geflüster warfen sie es einander vor.
«Ich will nichts weiter als deinen Übertritt, Navarra, damit ich dich zum Erben der Krone erklären kann.»
«Ich meinerseits böte dir ein Bündnis an, wenn ich nur wüßte, daß du fest bleibst, Henri Valois.»