«Du aber, woher nimmst du deine große Festigkeit, Henri Navarra? Nicht aus deinem Glauben: woher dann, das will ich wissen.» So drängte Valois, aus großer Besorgnis, wie in aller Welt es zu machen wäre, daß man widerstand und einen geraden Weg ging.
«Sire!» begann Henri und änderte den Ton. «Ich will dafür eintreten, daß der geschuldete Gehorsam Ihnen erwiesen wird; will herfahren über alle, die sich gegen Sie verschwören, und was ich bin und habe, soll dienen, zu tun nach Ihrem Befehl. Nichts liegt mir so sehr am Herzen wie die Erhaltung der Krone. Nach Ihnen, Sire, steh ich ihr am nächsten.»
So spricht nur die Wahrheit. Als Henri sich auf das Knie ließ, wurde er weder aufgehalten noch tat er es zum bloßen Schein. Er kam empor, als der König sich erhob. Er fühlte voraus, daß jetzt das große Wort würde gesprochen werden: das mußte er stehend anhören. Der König sprach wie für eine Versammlung:
«Heut erkenne ich den König von Navarra an als meinen alleinigen, einzigen Erben.»
Hiermit zu Ende, griff er sich an das Herz und wich um einen Schritt, beinahe war es Taumeln. Er hatte zu seinem Nachfolger über dieses katholische Königreich einen Protestanten ernannt. Er hatte den Haß der Liga gegen seine Person herausgefordert bis zum Mord. Er hatte die tapferste Handlung seines Lebens getan.
Der König richtete dann das Wort an den Bürgermeister von Bordeaux, um ihm anzuempfehlen, er sollte das Gehörte wohl aufbewahren für den Fall, daß ihm selbst ein Unglück zustieße, bevor er seinen Entschluß wiederholen konnte zu seinem Hof und seinem Parlament.
Herr Michel de Montaigne sagte: «Ja. Ich verspreche es» — und führte diesmal keine Alten an. Er hatte sie ganz vergessen über allem, was diese Stunde mit dem König und seinem Erben ihn neu gelehrt hatte. Vielmehr war ihm sein schon besessenes Wissen bestätigt worden auf eine Weise, daß es neu wurde.
Eine Versuchung
In Paris, einige Tage später, saß der König vor seinem Feuer, sah hinein und schien nicht zu hören, was die Herren redeten. Seine Lieblinge Joyeuse und Epernon waren nicht zugegen. Anstatt den Guise zu töten, hatten sie sich mit ihm verständigt, solange der König umherreiste. Zugegen war der dicke Mayenne, genannt Herzog Du Maine, der Bruder des Herzogs von Guise. Schon seit dem Morgen rang der König um die Kraft, vor einem Lothringen laut auszusprechen, was er in Bordeaux beschlossen und verkündet hatte. Die letzte Frist war vorbei; nur noch eine Stunde, und ihre eigenen Boten konnten den Guise die Nachricht bringen. Die Edelleute im Zimmer nannten den Namen des königlichen Bruders, sie beschrieben seine Krankheit und die sonderbare Art zu sterben, die jetzt schon das drittemal bemerkt worden war, an diesem wie auch an seinen beiden vorangegangenen Brüdern. Die Herren verhielten sich so, obwohl sie vermuten konnten, daß dem König selbst das gleiche Ende bevorstände. Aber für die einen war er schon nicht mehr da, trotz sichtbarer Gegenwart. Die anderen führten absichtlich dies Gespräch, wegen ihres Bedürfnisses, dem Herzog Du Maine den Hof zu machen. Auf einmal wendete der König den Kopf aus dem Feuerschein. Er wagte eine seiner knabenhaften Bewegungen, was aus Furcht geschah, und mit einer Leichtigkeit, die ihn entschuldigen sollte, sagte er: «Ihr beschäftigt euch mit den Toten.»
Er musterte alle, nur den Dicken vermied er, so vordringlich sein Bauch war. «Ich denke an die Lebenden. Heute erkenne ich den König von Navarra an als meinen alleinigen, einzigen Erben. Er ist ein gut veranlagter Fürst, den ich von Natur —» Alles in demselben Atemzug, und hörte auch gar nicht auf: damit der eine gefährliche Satz, der von dem Erben, womöglich abgeschwächt oder sogar überhört würde. So kam es durchaus nicht. Es wurde gemurrt. Ein seidenglänzender Bauch schob sich gegen den König. Dieser schwatzte um so beiläufiger. «Von Natur hab ich ihn immer gern gehabt, weiß auch, daß er mich mag. Er ist leicht eingeschnappt. Witze reißt er gern, im Grunde aber taugt er etwas. Ich habe mich vergewissert, daß wir von verwandtem Temperament sind und miteinander auskommen werden.»
«Er ist ein Protestant», äußerte Mayenne mit hoher Stimme.
«Ich wünsche mich in mein Arbeitszimmer zu begeben», sagte der König und erhob sich. Sie machten ihm Platz. Die Tür, durch die er hinausging, blieb offen, man sah fortwährend seinen Rücken, da wurde Mayenne ganz laut. «Einen Hugenotten als Erben, das soll dir schlecht bekommen, Valois. Hat einer nichts mehr zu verlieren und will noch Kronen verschenken!»
Der König hörte alles, indes er durch das nächste Zimmer langsam wandelte, um nicht sichtbar zu flüchten. Grade darum schlossen sie die Tür nicht. Manche beugten sich hinaus, damit sie vor den anderen erführen, was er etwa Gefährliches tat. Die Vorsichtigsten liefen ihm nach. Mayenne tobte: «Der Papst muß ran!»
«Wir lassen den Valois exkommunizieren!» pfiff er in der Fistel. Im Gegensatz hierzu pfiff er: «Eine Tonsur schneiden wir ihm und sperren ihn ins Kloster.»
Sie verneigten sich vor dem Dicken tiefer als sonst und nannten ihn «Herrn des Glaubens», welchen Titel der Dicke sich beigelegt hatte, um beim Volk und den ehrbaren Leuten etwas vorauszuhaben vor seinem Bruder Guise. Die Herren von Lothringen hielten allerdings zusammen, solange sie noch nicht gesiegt hatten. Nachher hoffte jeder, den anderen um die Früchte zu bringen. Mayenne beriet sich nicht mit seinem Bruder, der übrigens nicht in der Stadt war, sondern mit der Herzogin von Montpensier, ihrer Schwester, und alsbald schickte die Liga das Volk auf die Straße. Dort wurde es von Rednern bearbeitet, las Plakate, schrieb selbst seine aufgeregten Eindrücke an die Wände der Häuser. Der Valois hat verspielt, ganz gleich, was er tut. Läßt er sich von Navarra nicht helfen, ist er verloren. Nimmt er die Hilfe an, erst recht: denn wir sagen, daß er selbst ein Hugenott ist. Mönch soll er werden, war von jeher nichts weiter. Das schrieben sie an die Wände und schrien es einander in den Mund hinein.
Alles ging vor sich, solange der Herzog von Guise auf der Jagd war. Er hatte absichtlich die Stadt verlassen. Während seines Rückweges erfuhr er das erste, konnte aber so schnell nicht reiten, um zu verhindern, daß seine Schwester vom Balkon ihres Palastes herab Ansprachen hielt und die Studenten aufreizte. Als er ankam, hatte sie den einen ihrer leidenschaftlichen Auftritte hinter sich und war mitten in dem nächsten, dieser mit dem König.
Die Herzogin von Montpensier in ihrer Sänfte, mit ihren langen starken Gliedmaßen, kam in den Louvre gefahren, als bräche ihr Reich schon an. Die Wachen stoben auseinander, so sah sie aus, die Haare bis über die herrische Nase, grausame Augen und eine Hetzpeitsche — aber überall Edelsteine, auch auf der Peitsche. Sie rief nach dem König, und da seine Diener vor ihr geflüchtet waren, trat er endlich allein aus seinem Zimmer.
«Madame, ich könnte Sie in die Bastille werfen lassen.» Bevor sie es erwartet hatte, entriß er ihr die Peitsche, diese flog in den Winkel.
«Ich habe noch die Schere», kreischte die Furie und zeigte sie ihm. Die Schere war aus Gold und hing an ihrem Gürtel. «Die hat ihre Bestimmung!» sagte sie ihm mit Mordblicken.
Er wußte, welche Bestimmung: ihm die Tonsur zu schneiden. Er sagte: «Frau Liga ist eine noch bösere Dame als Sie, Madame. Auch sie wird mir die Tonsur nicht schneiden.»
Sie lachte wahnsinnig. «Sire! Sie können keine Frau zufriedenstellen. Frankreich hat Ihnen nie gehört, Madame Liga nicht und ich ebensowenig.» Da sie ihm hierbei vor der Nase umherfuchtelte mit ihrer Schere, griff er plötzlich zu, und ebenso schnell hielt er zwischen seinen Fingern eine abgeschnittene Locke ihres schönen, wilden Kopfes. Während sie vor Schrecken still war, sagte er: «Madame, Ihre Locke behalte ich zum Andenken an Ihren Besuch.»
«Woher nehmen Sie den Mut?» fragte die Herzogin, fing an zur Besinnung zu kommen und den König zu erblicken. Bisher hatte sie trotz seiner leiblichen Gegenwart wüst von ihm geträumt. «Was ist Ihnen begegnet?» fragte sie.