Der König antwortete ihr nicht. Er zuckte schon die Schulter, zur Umkehr nach seinem Zimmer. Da aber alle Türen offengeblieben waren, sah er durch die entferntesten herbeistürzen den Herzog von Guise. Dem König wurde unwohl; dennoch floh er nicht, sondern stampfte auf und rief nach der Wache, so männlich stark er konnte. Von allen Seiten drangen Leute, endlich zeigte sich auch Marschall Joyeuse. Was Guise betrifft, war er außer Atem und versuchte sich in Beteuerungen seiner Treue. Er hatte seine Soldaten auf das Volk einhauen lassen, dies behauptete er kühn. Er gab sich als den großen Diener. Der König warf dazwischen:
«Auffallend viele Fässer kommen auf dem Fluß an. Das Volk soll wohl immer lustig gemacht werden wie heute? Und mit leeren Fässern baut man Barrikaden!» Valois sprach drohend, niemand kannte den Schwächling wieder. Die Fässer konnten allerdings für den Bau von Barrikaden dienen; Guise wußte es am besten, aber weniger als je schien die Zeit ihm günstig, wenn er Valois ansah. Natürlich war der Herzog beherrschter als seine Schwester, auch klüger als der Kardinal von Lothringen, der das Vorrecht, den König abzuscheren, für sich als einen Kirchenfürsten beanspruchte. Seine Schwester, die infolge der Erwähnung der Fässer schon wieder ihre Schere schwenkte, wurde von dem Herzog streng angelassen. Übrigens begann ihre zu oft wiederholte Gebärde einfach lächerlich zu werden, besonders angesichts der Haltung des Königs, die nachgerade majestätisch war.
«Madame», rief der Herzog. «Ihr Eifer für die heilige Kirche verwirrt Sie. Wir sind Diener des Königs, der gegen die Protestanten ins Feld ziehen wird: die Steuern erhebt er schon, das ist das erste. Nun droht uns der Einfall der Deutschen in das Königreich, die Hugenotten haben sie wieder einmal gerufen.» Zum König gewendet: «Sire! Ich biete Ihnen mein Schwert an und bürge für den Untergang aller Ihrer Feinde.»
Das letzte betonte er, wiederholte besonders: aller. «Aller Ihrer Feinde, Sire!» Damit nötigte Guise seinen Valois, endlich zu hören, wessen Untergang er ihm zuschwor. «Des Königs von Navarra», sagte er ausdrücklich und verfolgte auf dem verhaßten Gesicht die Wirkung. Diese war ein Aufleuchten der Stirn und ein fest geschlossener Mund. Hier wußte Guise Bescheid. Er nahm Abschied und führte seine Schwester bei der Hand hinaus. «Mach nicht die Furie!» pfiff er ihr bös in den Nacken.
Henri Valois träumte ihnen nach. ‹Henri Guise, wie war ich doch einst gespannt auf dich. Ich, dein Gefangener, du trätest mit der Hetzpeitsche bei mir ein. Eine etwas ungesunde Versuchung, wie ich zugebe, aber sie liegt weit hinter mir. Hüte dich vor mir, Henri Guise! Ich hab einen Freund.› Er blickte dem Rücken des abgehenden Feindes nach und dachte an seinen Freund mit Bewunderung, ähnlich wie eine Frau ihn sich zurückgerufen hätte. ‹Navarra, war ich in diesem Auftritt fest genug? Hatte ich deine Festigkeit?›
Noch immer ging der Rücken des Feindes ab. Der arme König schlug auf einmal in seine eigene Natur um, nachdem er so lange versucht hatte, die des neuen Freundes nachzuahmen. «Joyeuse!» zischte er. «Befrei mich von dem da!» Worauf der junge Marschall erbleichte und sich stumm nach der Wand kehrte. Noch hatte der König keinen Beweis gekannt für den Verrat des Günstlings: halber Verrat, widerwärtiger als der ganze, jetzt enthüllte er sich. Der König ging fort, und in seinem Zimmer brach er zusammen, weil er viel und stürmisch gefühlt hatte: zu stürmisch für seine Natur, für eine Abendstunde zuviel.
Da sie hörten, der Tyrann wäre krank, sagten alle ihn tot, und auf den Straßen wurde getanzt vor Freude. Bald sollte es ein Ende haben mit den Kometen, der Pest und den anderen Übeln, die ein schlechter Herrscher verschuldet, vor allem die Steuern. Das Volk und die ehrbaren Leute mußten entsetzlich zahlen, damit die heilige Liga ein für alle Male fertig würde mit den Hugenotten. Die Unbeliebtheit infolge der Kriegskosten überließ sie dem Valois. Der Arme wehrte sich, wie er konnte. Erstens verhandelte er nochmals mit Navarra wegen seines Übertritts, worauf sie gemeinsam fertig geworden wären mit der Furie Liga. Hierbei hätte auch Navarra einigen Schaden genommen, und einziger Herr im Königreich wäre endlich der König gewesen.
Valois begriff im Grunde nicht, warum sein Freund sich sperrte gegen die leichte Gefälligkeit, den Glauben zu wechseln. Da er eine Sache innig wünschte, entging ihm, was sie den anderen gekostet hätte: seine Selbstachtung, das Vertrauen seiner treuen Anhänger. Dem Verräter an seiner Partei hätte die andere, der er zulief, nicht geglaubt, schlecht gedient; ja, Valois selbst hätte ihn alsbald behandelt wie einen Herabgesunkenen. Schon jetzt bot er ihm für seinen Übertritt hauptsächlich Geld an, was nichts Ungewöhnliches ist, da die Gesinnungen ihren Preis haben. Nicht käuflich bleibt dagegen die Tugend, deren Sitz das Wissen ist. Diese nun überwog im Rat zu Nérac. «Rüsten wir uns, wird der König uns achten. Achtet er uns, wird er uns rufen. Vereint mit ihm werden wir unseren Feinden die Köpfe einschlagen.»
«Ich bin dabei!» rief Henri.
Ein letztes Mal schickte Valois ihm seinen zweiten Günstling, Epernon, von dem er noch erwartete, bedient, sogar geliebt zu werden. Joyeuse war ihm schon damals nichts mehr, er, den er sein Kind genannt und dem er ein Herzogtum zugewendet hatte samt einer Schwester der Königin. Es gibt schwache Personen, die sich nicht anklammern: im Gegenteil, schnell und unwiderruflich ziehen sie sich zurück. Wenn er selbst wollte, der Sünder kann sein Vergehen nicht gutmachen. Sie haben ihn schon geopfert, während er noch nichts ahnt. Joyeuse geht heiter und glänzend umher, voll Stolz auf die prachtvolle Armee, die täglich anschwillt, mehr edle Namen, berühmte Wappen, teure Pferde und Panzer aus echtem Silber als jemals in einem königlichen Heer, aber führen soll es der Fünfundzwanzigjährige, ein Auserwählter des Glückes.
Der König lächelte ihm zu und denkt: ‹Blähe dich — noch diese Weile. Navarra ist stärker als ihr: ich weiß es aus erster Hand, denn seine gute Frau, meine Schwester, verrät ihn mir bereitwillig. Ich muß ihr helfen mit Geld und Soldaten gegen ihren lieben Herrn, den sie haßt mit einem Haß, nur ich kann ihn verstehen. Wir sind von demselben Blut. Ich tue gut daran, Navarra in Atem zu halten — aber auch die Liga. Abwechselnd gegen beide schicke ich meine Truppen, dieselben Marschälle sogar, einmal Matignon, einmal Mayenne. Am liebsten schickte ich Guise, damit er sich von Navarra schlagen läßt; aber der ist leider schlau. Er geht lieber und vertreibt die Deutschen, ihn soll der Teufel holen. Wenigstens kann er Navarra nicht an den Leib: ich will nicht, daß meinem Freund Navarra etwas zustößt. Aber ich will ebensowenig, daß er mein Heer vernichtet. Die Dinge verwirren sich mir: das ist ihre Schuld, nicht meine.›
So dachte der arme König und schickte seine Marschälle abwechselnd gegen die Liga und gegen Vetter Navarra. Diesem wäre er lieber beigestanden als entgegengetreten, aber grade in dieser verwirrten Lage mußte er zulassen, daß Navarra exkommuniziert wurde. Seltsame Begebenheit für einen Protestanten; Henri antwortete auf Maueranschlägen in Rom, der Stadt des Papstes, der ihn dafür bewunderte, und die Christenheit sprach von ihm. Dagegen hätte der arme König die Liga eher schwächen als stärken gewollt, aber mit ihr, er wußte selbst nicht wie, schloß er einen neuen Vertrag. Als Henri in seinem Nérac davon hörte, saß er ganz allein die Nacht auf.
Er bedachte tief, was jetzt nahe war und so sicher bevorstand wie der Morgen. Es war der Krieg, der wirkliche Krieg um das Dasein, keine munteren, vorläufigen Handlungen mehr, sondern die letzte im vollen Ernst. Den Kopf in die Hand gestützt, bei den herabbrennenden Kerzen erblickte er das Ganze nochmals, ließ vorbeiziehen seine fröhlichen kleinen Siege, bald vergessenen Niederlagen, die langen Ritte, bösen Städtchen, widerstrebenden Menschen und was ihn oftmals müde und mager gemacht hatte, zehn Jahre der Arbeiten und Mühen.