Der König von Navarra war überall sichtbar, obwohl selbst nur im grauen Leder und Eisen; ihm selbst entging nichts, besonders keine Bewegung des Herzogs von Joyeuse. Die beiden ließen einander Zeit, bevor es vollends ernst wurde. Am Ende soll einer von beiden vor Gott treten, indes der andere das Feld behauptet. Jedes der Geschicke ist groß; deswegen achten sie einander und gewähren einander den Vorteil, der noch zu gewinnen ist, bevor es vollends ernst wird. Joyeuse vollführt schwierige Manöver mit seiner allzu glänzenden Reiterei, ohne daß jemand ihn stört. Währenddessen kann Navarra schnell seine letzten Feldschlangen über den Fluß holen. Auch sprach er seine beiden Vettern an, um sie an ihr gleiches Blut zu erinnern. Es waren Condé und Bourbon Soissons, der Geliebte seiner Schwester Catherine.
Als Henri schon glaubte, er wäre bereit, trat vor ihn hin Philipp Mornay mit zwei Pastoren. Ohne Umschweife, da die Schlacht und vielleicht das Opfer des Lebens warteten, warf Mornay seinem Herrn vor, daß er noch wieder in La Rochelle eine Liebschaft gehabt hatte, und diese lastete im letzten Augenblick auf der Tugend der Hugenotten. Henri gab seinen Fehler den Pastoren zu. Er sagte: «Vor Gott kann man sich nicht genug demütigen, und Menschen nie genug trotzen.» Worauf er davonsprengte, denn er erblickte einen Überläufer — ein Anführer, der sich mit seinem Trupp unentschlossen zwischen Hügeln bewegte, in einem vorläufigen Abstand von beiden Armeen. «Fervaques!» rief Henri schon von weitem. «Wenn wir siegen, kommen Sie zu uns!»
Sofort wendete er, ohne sich erst zu überzeugen, was auf seinen Anruf geschähe. Die Leute des graden und schlichten Soldaten nötigten ihn aber, sich zu entschließen, denn sie folgten dem König von Navarra. Henri sah am Stand der Sonne, daß es neun Uhr war, und seit zwei Stunden manövrierten die beiden Heere, jedes vor den Augen des andern. Im Oktober ist dies keine vorgeschrittene Zeit; das Licht fiel schräg aus Wolken, die niedrig, langsam hinzogen über die Ebene, so daß anschaulich zu bemerken war: auch große Heere mitsamt den Feldherrn werden klein, sie werden sehr gering unter den sehr großen Wolken; und hinter diesen ist ein Himmel — kann sein, er will uns gar nicht kennen.
Henri reckte sich auf seinem Tier, er rief in die tiefen Reihen der Seinen hin, den Augenblick, bevor er mit ihnen den Feind angreifen wollte: «Gefährten, es geht um den Ruhm Gottes!» So rief er grade wegen des niederen Himmels. «Unsere Ehre will, daß wir siegen, oder wenigstens müssen wir das ewige Leben retten. Vor uns liegt der Weg. Los im Namen Gottes, für den wir kämpfen.» Während er dies in die Reihen rief, besann er für sich die Befehle, die sogleich folgen sollten.
Es kam anders, und das protestantische Heer, ohne Geheiß noch Verständigung, kniete hin und betete: das ganze Heer. Es betete laut wie Getöse, Donnerschlag, oder Glokken, an denen man reißt, Psalm 118: «Danket dem Herrn, denn er ist freundlich, und seine Güte währet ewiglich.»
Da wurde das Herz Henris erhoben vom freudigen Erschrecken, und er erkannte wieder, was ihm einst am Meeresstrande voraus verkündet worden war: Ein ganzes Heer kniet hin, und anstatt anzugreifen betet es. So überzeugt ist es von seiner Bestimmung, zu siegen. Auch er, die Stirn erhoben, die Hände auf der Brust gefaltet, sprach mit: «Alle Heiden umgeben mich; aber im Namen des Herrn will ich sie zerhauen. Dies ist der Tag, den der Herr macht; lasset uns freuen und fröhlich darinnen sein!»
Wahrhaftig war Henri fröhlich, er war fröhlich wie nie. Der Tag, den der Herr macht, ist der, an dem wir reiten und dreinschlagen, ohne Sorg und Zweifel. Der halbe Schnurrbart wird heute nicht weiß durch Verrat, Ungewißheit, Trauer. Der Tag, den der Herr macht, ist ohne Zweifel, denn dort steht der Feind. Heute sind wir stark im Glauben, denn wir haben nicht die Wahl und müssen siegen. Das ist der fröhliche Tag.
Der Herzog von Joyeuse sah, was drüben Merkwürdiges vorging, er rief: «Der König von Navarra hat Furcht!» Ihm antwortete Jean de Montalembert: «Herr, Sie und Ihre Höflinge haben sich noch nicht die Knie gerieben an den Hugenotten. Wenn die dort solche Gesichter aufsetzen, dann soll was kommen.» Worauf manche reichen Leute in silbernen Rüstungen sich erst recht belustigten. Denn sie hatten nichts erforscht, nichts begriffen.
Das da drüben ist das Heer der Armen. Das drüben ist das Heer der Verfolgten um der Gerechtigkeit willen. Es ist das Heer, bei dem zuweilen die Tugend vorkommt und einige Male das Wissen. Ihr König hat hohle Wangen seit diesem Feldzug, trägt auch nur den grauen Helm und Brustpanzer wie alle, und sein einziges Hemd ist an seinem Leibe noch feucht von der Wäsche. Er hatte alles, was er und sein kleines Land besaß, auf dieses Heer gewendet; so ist auch jeder der Seinen herbeigezogen mit dem, was ihm geblieben und seinem ganzen Glück. Diese Schlacht verloren, und alles wäre aus für sie, es muß fortgewandert werden in die Fremde. Da liegen sie, diesen Augenblick noch mit den Knien auf ihrem Heimatboden, rufen hinan, reißen an Tauen, die von Glocken aus den Wolken hängen: «Im Namen des Herrn will ich die Heiden zerhauen. Dies ist sein fröhlicher Tag.»
Nun geschah es, daß beim ersten Zusammenstoß die Ritter tief einbrachen in die Reihen der hugenottischen Arkebusiere. Sie jagten sogar einen Teil der Reiterei von Navarra vor sich her, bis in die Stadt Coutras, man fing schon an, das Gepäck zu plündern. «Sieg!» wurde gerufen, und Joyeuse fand es nicht zu früh, auch sein Fußvolk vorzuschicken. Da erfolgte die Überraschung. Die Protestanten beschossen mörderisch aus gedeckten Stellungen die Flanken des königlichen Heeres, das selbst nur schlecht zielte, seine Kanonen standen zu niedrig. Das Fußvolk flüchtet, die Reiterei wird eingedrückt. Handgemenge, der König von Navarra umarmt inmitten einen feindlichen Edelmann. «Ergib dich, Philister!» Dann ist er selbst wohl Simson — hätte den Philister aber lieber vom Pferd schießen sollen, denn fast verliert er für seinen Edelmut sein Leben.
Als der Herzog von Joyeuse seine Sache verloren sah, ritt er mit seinem jungen Bruder, Herrn de Saint-Sauveur, in das dichte Gewühl und kam darin um, wie er auch gewollt hatte. Er war nur ein Günstling gewesen, und angefangen hatte er wohl nicht ehrenhaft. Sein Stolz, als er so groß geworden war, lehrte ihn, in Ehren unterzugehen.
Kaum hatte er ausgeatmet, schon lief sein Heer auseinander. Die Hugenotten verfolgten es zwei oder drei Meilen weit: jeder seinen schönen Ritter, dem er die Taschen umdrehen wollte, ihn gefangennehmen und nur herausgeben für gutes Lösegeld. Auf dem Schlachtfeld zurück blieben zweitausend Tote, fast lauter Katholiken: sonst war es leer. Die Toten lagen zwischen ihren Pferden und Waffen, alles aufgeworfen zu Hügeln von selbst, ohne menschliches Vorbedenken, und so auch die anderen Hügel, die aus Sand und Gras sind. Zwischen Sand, Gras und den Toten bewegte sich eine einzelne gebückte Gestalt: späht in die Gesichter, taumelt vom Schmerz des Findens und Erkennens, späht gebückt im fallenden Abend, unter den niedrigen Wolken.
Im «Weißen Roß» zu Coutras wurde getafelt oben, aber unten trug der Tisch die Leichen des Herzogs von Joyeuse und seines Bruders. Der König von Navarra kehrte zurück, man wußte nicht, woher; in der Verwirrung des Sieges hatte noch niemand ihn vermißt. Seine eigene Wohnung fand er voll verwundeter Gefangener, ging in das Gasthaus: hier bemerkten einige, daß seine Augen gerötet waren. Zuerst beugte er noch das Knie vor den beiden Besiegten; dann verwandelte er sich durch eigenen Entschluß und eilte hinauf, um mit den Lachenden und Tafelnden den großen Sieg zu feiern. Einen so großen hatten die von der Religion nie vorher errungen, gewiß nicht zu den Zeiten des Herrn Admirals, wie seine alten Kampfgenossen auch zugaben. Da der König von Navarra eintrat, sprangen alle von den Bänken, stampften einmal stark auf und hielten dann den Atem an, damit es völlig still wurde.