Выбрать главу

Solange der korsische Oberst Ornano dies berichtete, sah der König nicht ihn an, er hielt den Blick auf seiner Mutter, die ihn fühlte, denn er war schwer. Sie murmelte dumpf vor sich hin: «Guise ist der Stab meines Alters» — dies aber, um sich in all ihrer Dummheit zu behaupten und diese zu schützen sogar gegen sich selbst: weil sie einen lichten Augenblick hätte haben können. Ihr Gesicht war völlig erdfarben geworden, Erde vom Friedhof, und dorthin schien sie zurückkehren zu wollen, als sie abging, ungleich mit dem Stock aufklopfte, schlurrte, tappte, Zickzack machte, immer tiefer in sich selbst verfiel; der Kopf saß zuletzt nur noch in Höhe der Knie.

Der korsische Oberst erklärte seine Meinung, weil er versichert war, der König dächte nicht anders. Der Herzog müßte erdolcht werden. Ein Geistlicher, der auch zugegen war, rechtfertigte die Meinung mit dem passenden Bibelwort. Mehrere entschlossene Männer äußerten sich, und der König widersprach nicht: sein Schweigen schien ihnen so gut wie Zustimmung. Untereinander beredeten sie, was man noch in der Hand hätte von der bewaffneten Macht des Königs, und ob nach vollbrachter Tat der Schrecken der Gegenseite anhalten würde, bis man Verstärkungen bekäme. Da erschien schon wieder die Mutter des Königs: mit ihr wahrhaftig Guise. Kein schöner Guise, kein stolzer Held. Auf dem Weg zum Zimmer des Königs waren seine gnädigen Anreden nicht erwidert worden, und der Feldmeister der Garde, Crillon, hatte sich den Hut um so fester aufgesetzt. Daran erkannte der Herzog, was ihm bevorstand. Bleich und fassungslos langte er an. Aber ihn begleitete die alte Frau: der König unterließ, das Zeichen zu geben für die Dolche, weil die alte Frau dabei war. In Schloß Louvre hatte er von seinem ganzen Hause, das tot oder gegen ihn empört war, nur sie allein, die ihn bis hierhin gebracht hatte. Darum fürchtete er sie wie das Schicksal. Kein Gedanke, in ihrem Beisein, gegen ihren Willen, den rettenden Dolchen zu winken. Er fuhr den Herzog kurz an und drehte ihm den Rücken.

Guise ließ sich auf eine Truhe fallen. Ein Auge tränte wegen der Nähe der großen Narbe, er schien zu weinen. Er hatte alles gesehen, die Furcht des Königs. Ebensoviel Furcht wie ich›, dachte Guise. Aber die verzerrten Züge des Königs hatte er richtig verstanden. Der Entschluß zu töten versagte nur für diesmal. In dem entferntesten Winkel war die alte Königin bemüht, ihren Sohn zu beruhigen: Guise machte, daß er fortkam. ‹Heil, ich lebe noch, und da ist auch gleich mein Volk, ist bis in den Hof des Louvre gedrungen, mich herauszuholen. Wieder der Held. Heil, und jetzt wird durchgegriffen.›

Das denkt man, nachdem man sich hat überraschen lassen. Im Ernst wollte ein Lothringen nicht Barrikaden errichten und dem König eine Schlacht liefern in seiner Hauptstadt: er hatte nur gearbeitet derart, daß es dahin kommen mußte. Als er vor dem Ziel zurückschrak und sich lieber schlafen gelegt hätte, besuchte ihn Mendoza, der Gesandte Don Philipps, und sprach zu ihm im Ton des Befehls. Sein wahrer Herr konnte den Herzog von Guise nötigen. Innerhalb von drei Tagen sollte Frankreich vom offenen Bürgerkrieg erfaßt sein, dies der Wille des Weltbeherrschers. Guise wurde nicht gewürdigt, den Grund zu erfahren, er war indessen mit Nachrichten bedient worden. Die Armada lag endlich fertig, um auszufahren gegen England. Diese Flotte wurde seit Jahren gerüstet, war auch ausgestattet mit jedem Bedarf für ganze Jahre, obwohl nicht mehr als vierzehn Tage zu berechnen gewesen wären für die Überfahrt. Unterwegs sollte sie die französischen Häfen in aller Sicherheit anlaufen können. Der Weltbeherrscher wollte niemandem begegnen von seinen französischen Feinden: er war von Natur genau und vorsichtig. Darum mußten innerhalb von drei Tagen in Paris die Fässer mit Sand aufgeschichtet werden. Aus seinem Louvre hatte der König sie schon längst den Fluß heraufschwimmen gesehen. Da er in seiner äußersten Not einige Schweizer und Deutsche zur Stadt einrücken ließ, hatte der Aufstand seinen letzten Vorwand. Die Fremden wurden hingemacht von der großen Überzahl, knieten und erhoben ihre Rosenkränze. Der König mußte bitten für seine Soldaten, so viele noch am Leben waren. Er bat den Herzog von Guise, wodurch dieser vollends den Mut verlor, den König zu töten; das hatte Mendoza von ihm verlangt.

Da nun keiner wagte, den anderen zu töten, weder Valois noch Guise, trat Schwanken ein, und überlassen blieben die Straßen tagelang den Mönchen, die beim Sturmgeläut ein Gemetzel predigten. Auch die Schwester des Guise, Furie der heiligen Liga, tat das ihre: zum Mord hetzte sie von ihrem Balkon herab die stürmische Schar der hochgesinnten Jugend. Sie sagte: «Jugend, meine Jugend, du bist immer hochgesinnt», was die künftigen Advokaten, Prediger oder Anstreicher ihr ohne weiteres glaubten. Dünnflüssiges Blut wird gern mit Gesinnung verwechselt. In Zeiten der allgemeinen Übereiltheit genießt junges Blut große Achtung. Die Herzogin von Montpensier verstand sich in ihrer wütenden Ausgelassenheit noch immer auf Gesichter; dort unten in dem Schwarm ihrer Verehrer bemerkte sie eins, dasselbe nicht zum erstenmal. Wer so aussah, war zu gebrauchen. Sie ließ den jungen Klosterschüler heraufholen.

Sie tat ein übriges und bereitete sich vor, legte ein Gewand aus Schleiern an ihren hochgewachsenen Körper, besprengte ihr Schlafzimmer mit Duftwasser. Rabenhaar, das schon gefärbt ist, hervorquellende Brüste, silberne Sterne über und über: sie prüfte sich und entschied, daß es genug war, trotz allen Verwüstungen des Gesichts durch Leidenschaften. ‹Sechsunddreißig Jahre — bei einem anderen könnte es leicht zu spät sein›, so dachte die große Dame. ‹Nicht aber bei einem bäuerischen Mönch von zwanzig Jahren, der das erstemal in seinem Leben das Bett einer Herzogin erblickt.› Sie fragte auch: ‹Was tun, und wie weit geh ich?› Gleichviel, antworteten ihre starken und vollen Schultern, die sich hoben und wieder senkten.

‹Ich will etwas und will es bis ans Ende. Das fehlt den Männern, sogar meinem angebeteten Guise, der nächstens den Thron von Frankreich besteigen soll. Ein einziger Streich ist nötig, vor dem aber erschrickt er. Seine Schwester nicht. Die würde zuletzt mit eigener Hand zustoßen. Meine Hand ist kräftig, meine Glieder nicht schwächer als die meines Bruders, die Schultern sind breit, ich könnte selbst der Held der Familie sein, bis auf die Kleinigkeiten, die mich zur Frau machen; und damit will ich’s schaffen.›

Sie winkte, ihre Dienerschaft lief herbei, führte den Mönch herzu, schob ihn in die Tür, die gleich wieder geschlossen wurde. Eine Göttin blieb im Gemach allein mit einem braunen Wesen von dort unten, das gewaltig stank. Das Duftwasser half nichts gegen den Geruch von Ungewaschenheit, und dieser verbreitete sich sofort: Aber die Dame hielt ihm stand. Sie sprach das Mönchlein an, das glupte mit Äuglein, schmatzte mit dicken Lippen, und in den zusammengesteckten Ärmel rückte der Bauernkerl die Hände: hätte sie gern hervorgeholt und Fleisch betastet. Keine Spur von Scheu, heute ist alles durcheinander, alle gelten gleichviel in der heiligen Liga. Man sehe nur auf der Straße hinter die Sandfässer: liegen übereinander Obersten und Ritter, die haben wir hinmachen dürfen. Ihre Weiber stehn uns frei. Hei. Hochherzige Jugend, sagt sie.

«Wie heißt du?» fragte die Herzogin in einem Ton, daß der Junge erschrak. «Wissen Sie doch», brummte er. «Haben mich selbst bei Namen genannt von oben. ‹Jakob, wo bist du?› riefen Sie. Na hier. Was soll’s jetzt sein.»

«Knie hin!» befahl die Herzogin stark. «Bete den Rosenkranz.» Ihre Herrschaft und Macht über ihn waren unbeschränkt, das erkannte sie an seinen irrsinnigen Worten. Sie ging in seinen Träumen um, schon seit den vorigen Malen, als sie vom Balkon herab geredet hatte. Kniend mußte er ihr beichten, sein gemeines und liederliches Schicksaclass="underline" die Fleischessünde, derentwegen er aus dem Kloster nach Paris geschickt worden war, um eine Tat zu vollführen. Sein Vorsteher hier prägte ihm ein: Fleischessünde — nur gut zu machen durch eine Tat. «Durch welche?» fragte die Herzogin. Das wußte er nicht. Die Mönche, die ihn erzogen, ließen die Sache selbst noch im Dunkeln. Die Mönche richten immerfort Königsmörder ab, zuletzt aber verwenden sie keinen. Dieser ist meiner. «Du gehörst mir», befahl sie. «Ich stell mit dir an, was ich will. Ich kann dich unsichtbar machen. Steh auf, dreh dich zur Wand.» Sie ging an das Ende des Zimmers und suchte. «Jakob, wo bist du?» Er hörte sie mehrmals fragen, ohne daß er sich meldete. ‹Da bin ich nun richtig unsichtbar, hei›, sprach er bei sich; sonst dachte er nichts. Sein Herz ging deshalb nicht schneller. «Jakob, komm und berühre meinen Saum, davon wirst du wieder sichtbar.»