«Will gar nicht sichtbar werden», maulte er, «außer, wenn ich mehr anfassen darf als nur den Saum.»
Dennoch schlappte er heran auf seinen Sandalen; aber noch bevor er nach ihrem durchsichtigen Gewand hatte greifen können, sagte sie dies halblaut, dabei fürchterlich: «Jakob! Du sollst den König töten.»
So stumpf das Wesen war, es taumelte, das Gesicht verfiel, lange kam nichts, endlich aber nur Angstgestöhn. Während seines Schweigens gingen die Schrecken der Verdammnis, sichtbar wie Flammen, hervor aus dem Munde der höllischen Dame. Unter ihrem Schleier bemerkte er auf einmal den Pferdefuß, und wie deutlich!
«Gehorche mir, Jakob, dann ist dein Glück gemacht. Wenn du den König tötest, hast du drei Wünsche frei. Du kannst den Kardinalshut verlangen. Reich sollst du sein. Das dritte gewähr ich dir selbst» — wobei sie auf flacher Hand ihre Reize darbot. Gleichzeitig ging sie mit ihrer Stimme zum Girren über, berückte ihn ganz unmäßig, sah ihn zittern wie Espenlaub, seinen Speichel triefen, und in diesem Zustand erfuhr der Blöde von ihr, daß ein König so gut wie ein Mensch ist. Stirbt auch nur einmal und ist dann immer tot. «Dich aber können sie suchen, du bist unsichtbar. Jakob, wo bist du?»
«Hei, bei dir!» antwortete er glucksend vor Zufriedenheit, dann jetzt hatte er begriffen und machte sich keine Sorgen mehr.
«Wenn du den König getötet hast und Kardinal bist. Zu mir darf nur ein Kardinal kommen.» Dies im Gegenteil kühl und herablassend, während sie eine schnelle Musterung über ihn hielt. ‹Viel zu fett ist der Trampel, um behend den Valois abzustechen. Muß fasten, und seiner Erleuchtung wegen soll er Pulver in das Essen bekommen, obwohl er auch so schon alles sieht und hört, was man will. In seinem Kloster werden sie ihm feurige Teufel vormachen, für den Fall, daß der Esel jemals die Hinterfüße versteift. Aber das tut er nicht, ich hab ihn.› Dabei zog sie an der Klingel. «Fort mit dem Stänker, und auslüften!» Da sie zum Fenster trat, halbnackt wie sie war, stürmte drunten nach ihrem Anblick zusammen viel hochgesinnte Jugend. Sie ließ sich in Ruhe bewundern, das Fenster reichte bis auf den Boden. Übergroß durch die Leidenschaft ihres Stolzes sah sie dem Himmel in sein Sonnenauge, und es blendete sie nicht. «Ich — wag es.»
Nacht mit dem Mörder
Als der letzte Valois aus seinem Schloss Louvre flüchtete, dachte er an seinen Vetter Navarra und wünschte ihn herbei. ‹Wenn ich ihn hier hätte, sollte Paris wohl etwas kleiner werden, so viele würden wir köpfen. Diese Stadt ist zu groß, man muß ihr Blut abzapfen. Ich, der einzige König, der sie immer bewohnt und mit seinem Hof bereichert hat. Die öffentliche Hinrichtung des Guise soll ein Volksfest werden.› Heiß und erbittert, konnte der arme König dennoch in Muße seine Gedanken verfolgen. Guise hatte ihm einen Ausgang heimlich offengelassen, er flüchtete mit Zustimmung seines Feindes, der ihn los war und in der Hauptstadt das Regiment ergriff. Vor der Karosse des Königs gingen seine Garden, im Schritt fuhr er nach seinem nächsten Aufenthalt, seine Gedanken aber verließen niemals ganz den Vetter Navarra. ‹Hätte ich ihm Joyeuse und meine schönste Armee entgegengeschickt, nicht, damit er sie schlug, sondern vereint hätten sie gegen Paris ziehen müssen, mich zu befreien!›
Bei einiger Vertiefung in den Gedanken erkannte er die Unmöglichkeit. ‹Seine katholische Armee hätte dem Befehl nicht gehorcht. Gelangte andererseits der protestantische Vetter bis nach Paris — dann wär’s um meinen Thron geschehen›, entschied Valois, obwohl er zweifelte. Er war nur zu unglücklich, um grade jetzt sein Mißtrauen aufzugeben. Er hielt daran fest, als an seiner einzigen Stärke. ‹Auch um mein Leben wär’s geschehen›, behauptete er aus Trotz.
Henri hatte selbst die größte Furcht vor Gift, und dies schon zwei Monate, seit dem Tode seines Vetters Condé. Der Prinz von Condé war vergiftet worden: von seiner eigenen Frau, wie Henri glaubte. Sofort hielt er auch seine arme Margot dazu fähig, aus dem Gleichgewicht wie sie war, eine Beute ihres unsinnigen Hasses. Der eßlustige Henri, überall im Lande hatte er sich unbesorgt zu Gast geladen, plötzlich wurde bei ihm gekocht in der verschlossenen Küche, unter Aufsicht. Vetter Condé hatte eine ganze Nacht erbrochen. Am zweiten Morgen danach frühstückt er stehend, will Schach spielen, wieder ist ihm sehr übel, und er stirbt: schon wird die Haut schwarz. ‹Ich trauere um ihn wegen dessen, was er mir hätte sein sollen. Wie er war, das betrauere ich nicht.›
Vierundzwanzig Mörder wurden in dieser Zeit ausgeschickt gegen den König von Navarra. Was der arme Valois sich heimlich wünschte: sein Vetter möchte ihm zu Hilfe kommen, andere befürchteten es und wollten es abwenden. Man sagte ihn tot, wie gewöhnlich die tun, deren Vorteil es wäre, und einige sind sogar in der Lage, Genaues darüber zu wissen. Der Herzog von Guise hat sich bei dem König von Frankreich dringend erkundigt, ob es wahr ist. Der König konnte nur hoffen, daß sein Vetter Navarra lebte; nach dem Tode des Prinzen von Condé hatte er ihm Gesandte geschickt, besonders Herrn de Montmorency. Dies war wirklich der letzte seiner Versuche, den Übertritt zur katholischen Kirche zu erreichen bei dem einzigen überlebenden Haupt der Protestanten. Nachher war Henri der unanfechtbare Erbe der Krone. Niemand glaubte, daß seine Protestanten noch von ihm abfallen könnten seit dem Verschwinden des Mitbewerbers um ihre Führung. Doch: Henri kennt sie. Er weiß auch, daß er auf gradem Wege bleiben muß, solange das Abweichen nach Schwäche aussähe. Seine innere Festigkeit kann Untreue nicht brauchen und verwirft ein vorzeitiges Gelüst. Wenn das Königreich kämpfend erworben und zusammengebracht ist nach allen weiter bevorstehenden Mühen des Lebens, ergraut, von erprobter Macht und Gewalt: um ihretwillen wäre es durchaus nicht mehr nötig, dann, aus freien Stücken wird er zur Messe gehen. Vorher nicht. Um nur geduldet zu werden, niemals.
Der tapfere Henri aber fürchtete Gift und Messer, weil diese nicht erlauben, daß man sich wehrt, wie ein Soldat und wie das Gewissen sich wehren. ‹Das Messer ist noch schrecklicher als das Gift, es droht nicht nur beim Essen. Überall unter Menschen kann mir über den Rücken Kälte laufen, weil ich nicht sehe, was hinter mir einer aus dem Ärmel zieht. Ein kleines Messer ist bald versteckt, sehr leicht im weiten Ärmel eines Mönches. Zu mir kam aber ein feiner Edelmann, kannte die Sprache nicht, sogar Lateinisch nicht, und hatte sein Anliegen auf einem gerollten Pergament, das er aus dem Futteral zog: der Dolch glitt ihm dabei von selbst in die Hand. Ich mußte erstaunlich schnell zufassen und ihm das Gelenk umdrehn! Den Hauptmann Sacremore dagegen haben meine Leute abgefangen. Beweise sind da, es stimmt, er ist mir auf die Spur gesetzt. Sonst hätte ich es nicht geglaubt von einem so mutigen Offizier. Mörder sind feige — ich aber soll sie immerfort fürchten? Endlich will ich mit einem von ihnen Wein trinken und mich an seine Art und Anblick gewöhnen.›
Das war im Schloß zu Nérac. Am Abend schickte er alle fort, ließ den Gefangenen hereinbringen, ihm die Fesseln abnehmen, und blieb mit seinem Mörder allein, zwischen beiden nur der Tisch.