Dies kaum erfahren, vergaß Henri seine Mörder, seine Muse, und mit der Romantik die Angst. Er zog in den Krieg. Wie? König und Liga, alle entfesselt gegen ihn allein, und treiben mit Umzügen und Geheul eine Unzucht des Geistes, die er seiner Natur nach verachtete wie keinen Sacremore. Unrecht tun und töten will das Leben; aber es will nicht, daß man deshalb heuchelt und die Vernunft abtut. Er zog in den Krieg nach der Bretagne, weit hinauf durch das Königreich, dessen Vertreter ihn inzwischen feierlich absetzten und verstießen. Er schlug sich mit königlichen Truppen und mit denen der Liga, was ihm diesmal für gleich galt, denn er war erbittert. Auf gradem Weg zum Thron — und mußte nochmals untertauchen, wie am Anfang, als Unbekannter. Der große Sieg von Coutras — jetzt wieder Sümpfe, kleine Städte und Hinterhalte, ein armer Edelmann fällt, hundert Feinde lassen sich fangen, Hagel, Sturm, wir nehmen ein Seeschloß. War unsere Kanone früher angekommen! Dumme Sache, zu tun haben gegen Meer und Winde!
Im Eifer des Gefechtes vergaß er dennoch seinen Überdruß und Zorn; freute sich, da zu sein, zu atmen, obwohl sie es ihm nicht gönnten, und Boden zu gewinnen, wenn auch unmerklich. Eines Mittags unter einem Baum allein, außer Atem von der heftigen Bewegung, grade dem Tode entronnen, macht er sich an sein Mahl; etwas verloren sieht er umher. Das Land ist weit, entweicht bis in den Himmel, schweigt und läßt sich überbrüllen vom Meer. Es will ihn nicht, es kennt ihn nicht einmal, und wäre nicht sein tiefinnerer guter Mut, er könnte fürchten, daß für ihn immer aufs neue alles von vorn beginnt wie hier. Dieselben Bilder kehren wieder unendlich: Sümpfe und Hinterhalte, hundert Gefangene, vornüber fällt ein armer Edelmann, es stürmt, hagelt, und das Seeschloß muß ich haben, wär unsere Kanone nur schon zur Stelle! Auf seiner Hand, die schwarz vom Pulver ist, liegt seine Mahlzeit, eine Brotkruste und ein Apfel.
Er hat Hunger und läßt sich gar nichts verdrießen. Er ist hergelangt auf der Lebensreise — einst war das Gebirge besonnt, er lachte und ging durch glückliche Bäche. Noch jung kam er in die Schule des Unglücks, lernte denken, bis vor den Wendungen des Geistes sein Mund anfing sich zu krümmen, oder doch manchmal. Heimgekehrt unternahm er alle gewöhnlichen Mühen des Lebens, wie jeder mit hungrigen Organen und einer Haut, die leicht zu durchlöchern ist. Von kleiner Art waren zuerst die Mühen: setz dich nur ganz daran, ihre Art wird größer. Jetzt ist er berühmt, wird gehaßt, ersehnt, gefürchtet — erfährt auch, wie die Mühen des Lebens zurückfallen können auf vorige Stufen; und unter einem Baum, im Stehen, verzehrt er seine Mahlzeit.
Zu derselben Stunde empfing der König von Frankreich den Gesandten Mendoza. Dieser hatte Nachricht vom Sieg der Armada und ließ sie sofort im Druck verbreiten. Dann fuhr er von Paris nach Chartres; sein erstes war, in der ehrwürdigen Kathedrale der Heiligen Jungfrau zu danken. Nachher begab er sich zum König, der damals gerade den bischöflichen Palast bewohnte! «Victoria!» sagte der Gesandte erhaben, sobald er jemanden erblickte — trat ein beim König und zeigte ihm seinen Brief. Da hielt ihm der König einen neueren entgegen: die Engländer hatten die Armada beschossen, hatten fünfzehn der Schiffe versenkt und fünftausend Mann getötet. An eine Landung in England war nicht mehr zu denken.
Mendoza versuchte alles abzuleugnen, und was dennoch wahr wäre, sollte ihn nicht hindern, erhaben zu bleiben. Fünfzehn Schiffe untergegangen — aber die Armada zählte hundertundfünfzig, lauter Riesen, lauter Türme aus Holz. Fünftausend Tote — darum war die Landungsarmee kaum merklich schwächer geworden, nicht zu reden von den nahenden Verstärkungen.
Nur daß diese in Wirklichkeit nicht nahten, sondern in Holland blockiert waren. Der König von Frankreich bewunderte höflich die schwimmenden Türme, die Don Philipp mit größter Umsicht hatte erbauen lassen. Leider brachte ihre Höhe den Nachteil mit, daß ihre Kanonen nur in die Ferne zielen konnten, und noch bedauerlicher hatte Admiral Drake den wunden Punkt der prächtigen Flotte schnell erfaßt. War aus dem Hafen von Plymouth vorgeschossen mit seinen Kähnen bis unter die Leiber der Riesen und hatte sie durchlöchert. Wie unrecht, der Himmel selbst ergriff die falsche Partei, Stürme treiben noch jetzt, während wir sprechen, die spanischen Schiffe auseinander, manche bis ins Eismeer, dort zerschellen sie.
Ein Spanier lachte nicht, sonst hätte der Gesandte lachen müssen über die kindischen Angriffe der Stürme oder Englands gegen die Weltmacht. Er schwieg und verachtete. Der König unterbrach ihn darin nicht; sie standen voreinander in dem steinernen Saal, jeder seinen Hut auf dem Kopf. Dreist wurden zuerst ein paar Herren vom Hof. «Die Königin von England triumphiert!» sagte Crillon laut genug. Ein anderer setzte hinzu: «Elisabeth hat sich ihrem Volk gezeigt auf weißem Pferd.»
«Ein großes Volk», sagte Oberst Ornano fest.
«Ein glückliches Volk, ist gerettet, ist frei, und liebt seine strahlende Königin. Fünfundvierzig Jahre vermögen nichts gegen die Schönheit einer Königin, die gesiegt hat.»
Biron, der alte Feind Henris von Navarra, sagte an dieser Stelle: «Ein einiges Volk. Wir sollten einig sein.» Sogleich ging durch die Versammlung eine Bewegung, und weitergegeben wurde ein Name, zuerst noch heimlich.
Der König verließ den Saal, hinter ihm der Gesandte. Der König durchschritt die gewölbten Gänge: sein Auftreten war majestätisch, wie Valois es vermochte. Bei einem rückwärtigen Fenster blieb er stehen und zeigte hinunter in den Hof. Der Gesandte erkannte ungefähr dreihundert türkische Sträflinge, wie spanische Schiffe sie mitführten als Rudersklaven. Er fragte, woher sie wären. «Von einem gestrandeten Schiff der Armada», erwiderte der König. Der Gesandte verlangte ihre Auslieferung. Anstatt einer Antwort stellte der König sich unter das Fenster in ganzer Gestalt. Die Sklaven fielen auf die Knie und riefen hinauf: «Misericordia!» Der König betrachtete sie und wandte sich ab. «Darüber muß beraten werden.»
Herren seines Hofes erlaubten sich, auszusprechen: «Beraten ist schon. In Frankreich gibt es keine Sklaverei. Wer französischen Boden betritt, ist frei. Unser König wird seinem Verbündeten, dem Sultan, die Leute zurückgeben.»
Der König tat, als hörte er dies nicht, mit besonderer Auszeichnung geleitete er den Gesandten zur Treppe; dieser indessen mußte in all seinem Stolz noch mehreres hinunterschlucken. Vor und hinter ihm erwähnte man die Gefangenen aus vielen Nationen, die Spanien gezwungen hatte, auf seiner Flotte zu rudern: auch Franzosen waren dem allgemeinen Joch verfallen. «Soldaten und unsere Landsleute! Wir alle, was will denn Spanien aus uns machen? Dasselbe wie aus den Völkern der Erde: Sklaven.» Das erstemal, daß solche Worte vernehmlich wurden am Hof von Frankreich, war der Tag, an dem die Nachricht bekannt wurde vom Untergang der Armada.
Der Gesandte war schon fortgefahren, aber der König zog sich nicht zurück; er schien zu warten, niemand wußte worauf, viele glaubten ihn in seine frühere Leere versunken. Daher ließen sie sich noch freieren Lauf und wiederholten heftiger, daß alle in diesem Königreich einmütig ihre Freiheit verteidigen müßten nach dem Vorbild Englands. Dieses Land war dem furchtbarsten Schicksal entgangen: alle Folterwerkzeuge der Inquisition fuhren auf den spanischen Schiffen mit. Der katholische Hof von Frankreich hatte auch Protestanten, sowohl erklärte als versteckte, und wer weiß, welcher von ihnen sich einfallen ließ zu sagen: «Gedankenfreiheit, an ihr liegt alles: sie verbürgt unser Recht und unsere Einheit.» Anstatt ihn zum Schweigen zu bringen, gaben sie einander einen Namen weiter, denselben wie vorher, nur jetzt schon kühner; und Biron, nochmals Biron, richtete das Wort an den König.
«Sire! Der König von Navarra: er ist besser, als ich dachte. Ganz selten sieht ein Mensch sein Unrecht ein. Für meinen Teil erkenn ich es.»
In diesem Augenblick kam Guise an: Mendoza schickte ihn, damit er den König zur Unterwerfung zwänge. Er war auch bereit, er drohte sofort mit den dreißigtausend Spaniern, die in Flandern ständen. Eine Stimme: «Und wo steht der König von Navarra?» Guise erwartete vergebens, daß Valois einschritt. Wenigstens hätte er selbst es tun müssen, aber Entmutigung folgt dem angesammelten Überdruß, und man gibt nach. Eine Stimme: «Sire! Rufen Sie den König von Navarra!»