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Damals war er achtzehn. Mit vierzig, schon ergrautem Bart, weise und schlau, sollte er es endlich erkämpft haben.

Die Schwester

In diesem Augenblick sagte sein Vetter Condé: «Wir sind angelangt.» Die Wache des fürstlichen Hauses umringte auch schon die Pferde und führte sie über den Vorhof. Henri mit seinem Vetter erstieg die breite Treppe, aber Condé ließ ihn vorausgehen, oder Henri lief ihm weg, denn droben wartete eine Gestalt. Du! Nur du! schlug sein Herz im Sturm, da konnte er nicht sprechen. Sie lagen einander in der Armen, und er küßte zweimal die Wangen seiner Schwester, die waren naß von Tränen wie seine eigenen. Die Geschwister schwiegen von ihrer lieben Mutter. Sooft einer das Gesicht des anderen ganz wiedergefunden hatte, küßte er dies Gesicht von ehemals und je. Sie blieben stumm, und von allen umliegenden Türen sahen bewaffnete Diener ihnen zu.

Aus einem der Zimmer trat die alte Prinzessin Condé, umarmte Henri und sprach ein Gebet. Hierauf bemerkte sie, er wäre bestaubt und müde, und ließ Wein bringen. Er wollte sich nicht aufhalten, er hatte es eilig, in den Louvre zu kommen und vor die Königin zu treten — erfuhr aber von seinem Vetter, daß der Kardinal, sein Onkel, und die anderen Herren, die ihn in der Vorstadt empfangen hatten, nicht mehr warteten. Sie hatten sich zerstreut mit ihrem Gefolge. Vorher hatten sie darauf bestanden, daß der starke Haufe der Hugenotten sich auflösen sollte. Fünfzig bewaffnete Edelleute waren dem König von Navarra erlaubt worden, statt dessen kam er mit achthundert. Condé sagte:

«Das war genug, um Paris zu besetzen. Sie haben aus Furcht ihre Häuser geschlossen. Einen Augenblick hat der Hof vor dir gezittert. Woran hast du gedacht?»

Henri erwiderte: «Daran nicht. Aber wenn es richtig gewesen wäre, das zu tun, wäre es mir auch eingefallen. Zu etwas anderem! Ich kann es nicht erwarten, die Königin von Frankreich zu sehen.»

Seine liebe Schwester bat leise und tapfer: «Nimm mich mit! Ich gehöre zu dir, und uns ist dasselbe bestimmt.»

«Natürlich!» rief er. Heiter und zuversichtlich zeigte er sich der unschuldigen Catherine. «Und das wird sein, daß wir beide heiraten. Dein Bruder Henri besorgt dir einen schönen Mann, kleine Schwester!» Umarmte sie und lief fort.

Das Königsschloss

Drunten füllten von seiner verringerten Truppe doch noch mehr als hundert den Hof und die Straße. Er ließ dreißig von ihnen zurück als Wache für seine Schwester. Mit dem Rest ritt er zum Schloß. Zuletzt eine Brücke über den Fluß, «Handwerkerbrücke», hier hat er noch den Anblick eines reichen, neuen Königsschlosses. Dann aber, am Ende der Straße, die «Österreich» heißt, verändert sich das Bild desselben Baues in einen nicht geheuren Ort, Festung oder Gefängnis, soviel sich auf einmal überblicken läßt von den schwarzen Mauern, gedrungenen Türmen, kegelförmigen Dächern, breiten, tiefen Gräben voll von Brackwasser, das stinkt. Dort hinein zu wollen macht Herzklopfen und kostet noch mehr Überwindung, wenn man aus weitem Land und hohem Himmel kommt. Aber er will es, und eigentlich, was auch daraus werden mag, erfreut ihn das Abenteuer. Ihm sagt sein freier Sinn, daß er fest ist gegen Zauber. Die alte Hexe, von der er schon als Kind geträumt hat, hockt noch immer in ihrem Spinnennetz. Seine arme Mutter hat sich darin verfangen. Um so weniger soll es ihm selbst geschehen!

Die Hufe schlagen auf die Zugangsbrücke. Henri hat grade genug Zeit, des zurückgelassenen Flusses zu gedenken, das war die letzte Fröhlichkeit der Welt, helle Wolken, das Wasser blinkt zwischen Kähnen mit Heu, am Strande werden von schweren Gespannen die Lasten geschleppt unter Geschrei und Gelächter des gemeinen Volkes, das nichts weiß. Meine Mutter aber ist hier ermordet worden: ermordet — hier! Er ist gewärtig, von Raserei befallen zu werden. Sie steigt in ihm auf, sie macht ihn blind. Jemand berührt seine Schulter, einer der Freunde wohl, er hört ihn sagen: «Sie haben hinter uns das Tor geschlossen.»

Sofort war er kühl und klar. Er stellte fest, daß wirklich die Leute des Louvre den Zugang zu der Brücke schnell verrammelt hatten, bevor seine bewaffnete Deckung hindurch war. Die Seinen lärmten draußen. Er gebot Ruhe, herrschte die Torwächter an und mußte natürlich Ausreden hinnehmen. Nicht genug Platz für so viele protestantische Herren. «Dann macht ihn!» — «Keine Sorge, Herr König von Navarra! Platz wird sein im Louvre für alle Hugenotten, die sich einfinden wollen. Je mehr, desto besser!» Und die Bogenschützen oder Arkebusiere stellten sich breitbeinig auf die Ränder der Brücke, ihre Gewehre fest im Arm.

Henri musterte seine wenigen Genossen: dann setzte er sich an ihre Spitze und ritt weiter genau zwanzig Fuß weit, wie er berechnete; jetzt polterten die Hufe auf Holz, das war die Zugbrücke. Eine Tür — die Tür des Louvre, dunkel und massig zwischen zwei alten Türmen. Endlich ein Gewölbe, so niedrig, daß die Reiter absaßen und ihre Tiere führten. Die andere Hand legte sich von selbst um den Griff der Pistolen. Noch einmal zwanzig Fuß zählte Henri, ganz Spannung. Indessen gelangte er in einen Hof.

Dort war es zwar eng, aber offenbar friedlich, obwohl von Menschen überfüllt. Man sah nur Männer, mit und ohne Waffen, aus allen Ständen, bei verschiedenen Beschäftigungen. Höflinge würfelten oder stritten, Bürger gingen in Geschäften ein und aus bei den Ämtern, die im Erdgeschoß des ältesten Gebäudes lagen. Auch Köche und Bediente verließen ihre warme Arbeit, um sich an der Luft zu dehnen. Hier fröstelte jeden, sogar im Juli. Gegen die Mitte erkannte man noch die Grundmauer eines Turms: der dickste von allen, uralt hatte er hier gelastet und die Luft verdunkelt. Erst König Franz, der Großonkel Henris, hatte ihn abgerissen. Dennoch verirrte das Licht sich in diesen Hof nur wie auf den Grund eines Brunnens: er hieß auch der Brunnenschacht des Louvre.

Man blieb unbeachtet in dem bunten Gedränge. Henri und seine Begleiter fanden unter den Edelleuten zufällig keinen einzigen Bekannten. Dagegen wurden sie von Leibwächtern des Königs aufgehalten, als sie versuchten, hindurchzukommen mit ihren Pferden. «Zurück, ihr Herren! Allerdings! Umkehren und wieder über die Brücke müßt ihr, die Ställe sind draußen, und für Gascogner, die nicht einmal Knechte bei sich haben, wird bestimmt keine Ausnahme gemacht.»

So war der Empfang. Henri sagte nicht, wer er war, er verhinderte sogar die anderen daran und machte sich über den jungen Offizier der Leibwache nur lustig. Das dauerte, bis der Herr vom Leder zog: dann entwaffnete ihn der lange Du Bartas und rief etwas zu laut: «Dieser ist der König von Navarra!»