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Infolgedessen entstand ein Auflauf, Geschrei für und wider, und den Leutnant mußten sie fortzerren, weil er seinen Gegner durchaus nicht aufgeben wollte. «Wenn er der König von Navarra ist, bin ich der König von Polen!» Zuletzt wurde aber ein Haufe gaffender Bedienter gewaltsam zerteilt, und Henri bemerkte, wer das tat: sein eigener d’Armagnac, den kannten sie schon. Der überzeugte sie von der Wahrheit, wenn auch nur mit seiner größten Suada. Die Versicherungen der gemeinen Leute beruhigten dann die Herren, und ein scheuer Abstand bildete sich um den künftigen Schwager des Königs von Frankreich. D’Armagnac geleitete ihn, während an seiner anderen Seite der junge Offizier blieb, aus Besorgnis wegen der Folgen. Am Fuß einer Treppe sagte er zur Rechtfertigung seines Eifers: «Keinen Monat ist es her, daß hier mein Hauptmann lag mit durchstochener Kehle. Mein Vorgänger aber, ein Herr von Ligneroles, fiel sich auf dieser Treppe zu Tode, niemand weiß, wieso.»

Um seine schweren Verstöße womöglich in Vergessenheit zu bringen, verriet er und flüsterte: «Grade darüber wohnt die Königin Madame Catherine.» Erschrocken über seine eigenen Worte, hielt er an und wagte sich keinen Schritt weiter.

D’Armagnac führte Henri auf sein Zimmer. Der Edelmann als Diener war seinem Herrn vorausgeeilt, schon hatte er alles hergerichtet, auch einen Bottich halb voll Wasser, so groß, daß ein König, der kein Riese war, darin sitzen konnte. Aber Anzüge lagen ausgebreitet, der junge Herr aus der Provinz hatte solche nie getragen. Seide mit blitzender Stickerei, der schönste ganz in Weiß, das war sein Hochzeitskleid. Er begriff, daß darüber noch die Augen seiner Mutter gewacht hatten, und sogleich füllten seine sich wieder mit Tränen.

Die Königin Jeanne hatte ihm kein Trauergewand machen lassen: dies bewies ihrem Sohn, daß sie ihren Tod nicht erwartet hatte, vielmehr jäh von ihm betroffen war. Es war nicht Krankheit gewesen, sondern Gift: die Gewißheit schien ihm endgültig, und in diesem Augenblick war sie ihm auch willkommen. Er sollte vor die Mörderin seiner Mutter treten!

Die böse Fee

Er hatte sich bei der alten Königin anmelden lassen, und als er bereit war, holten zwei Edelleute ihn ab. Er wanderte mit ihnen weit durch den Palast, ohne daß sie sprachen, und er begriff, daß sie aus Vorsicht schwiegen. Er, der ihnen sonst genug Fragen gestellt hätte, war verbissen in seinen einzigen Gedanken, und der hieß Haß. Zuletzt öffneten sie ihm das Empfangszimmer der Königin, verbeugten sich ehrerbietig und ließen ihn allein. Neben jeder der Türen wachten breitbeinig je zwei Schweizer, aber die beiden vor der inneren Tür hielten ihre Hellebarden gekreuzt. Alle vier konnten aus Stein sein, und ihre hellen Augen zielten ins Leere. Sie sahen den Fremden weder, noch verstanden sie ihn. Er hätte laut ausrufen können: Meine Mutter hat Gift bekommen!

Da er warten mußte, fiel es ihm ein, hinter einem Fenstervorhang zu verschwinden. Wenn die Giftmischerin eintrat, sollte sie nicht wissen, daß er da war, und er nahm sich vor, ihre Mienen zu überraschen. Nun lag aber im Fenster die Mittagssonne, und jenseits eines wohlgepflegten Gartens erschien ihm der helle Fluß mit allem, wovon er draußen schon Abschied genommen hatte, das unwissende laute Volk, hochschwankendes Heu, ächzende Karren und Kähne. Auch fiel ihm ins Auge die lange besonnte Front, die mit diesem Zimmer endete: sie war herrlich, und man mußte sagen, ein Wunder. Hergehoben aus ersehnten Welten durch Zauber schien dieses Bauwerk. Das ehrbare Paris enthielt an einigen Stellen etwas, das seinen Bürgern nicht ähnlich sah. Dies hier übertraf den Hof von Frankreich, es holte ihn hervor aus dem Brunnenschacht des Louvre, wo der Rest eines Turmes vermodernd auf begrabenen Jahrhunderten stand. Genug, hier war die glänzende Vorderseite vor sehr finsteren Altertümern. Dies erblicken — und Henri von Navarra hatte begriffen, daß die Herrin des Palastes wohl die alte Giftmischerin, aber zugleich eine Fee war. Allerdings soll man sich hüten vor den Fallen des Bösen, und derartiges kann auch eine schöne Fassade sein. ‹Blendwerk der Sinne!› dachte der junge Protestant, oder eine Tote dachte es durch das lebende Gehirn ihres Sohnes. Die Königin Jeanne war bekannt gewesen mit diesem Zimmer, hier hatte sie verhandelt in den Geschäften der Religion und ihres Sohnes, hatte gekämpft, sich erschöpft und vielleicht war ihr hier ein Glas Wasser gereicht worden, in das die Hand der alten Fee etwas gemischt hatte.

Henri fuhr herum. Er hatte nichts gehört drinnen, inzwischen war Katharina von Medici hereingewatschelt bis in die Mitte. Nur ihren Umriß erkannte er, da er vom Licht geblendet war, sie dagegen hatte den jungen Mann gefunden und musterte ihn. Ihre Hände — versteckten sie sich in den Falten des Kleides? Sie war in Schwarz und begann mit ihrer abgenutzten Stimme zu ihm zu sprechen. ‹Sie aber lebt!› bedachte der erbitterte Sohn der Toten. Mit Haß hörte er sie ihren großen Schmerz um ihre gute Freundin Jeanne beteuern und daß sie sich freute, weil sie ihn endlich hier hatte. Das glaubte er ihr, nahm sich aber vor, es solle ihr schlecht bekommen. Inzwischen hatten seine Augen sich an das schwächere Licht gewöhnt. Wirklich, sie versteckte ihre Hände! Da geschah es ihr auch noch, daß sie die Hand Gottes in ihre Rede zog. Der Sohn der Toten hielt seine Zunge mit den Zähnen fest, er hätte sonst gefordert: Lassen Sie mal Ihre Hände sehen, Madame! Aber sie tat es! Holte die kleinen fetten Gliedmaßen, die er sehen wollte, aus ihrem Rock hervor und legte sie auf den Tisch, hinter den sie sich setzte.

Henri machte im Zorn ein paar Schritte, sie waren schnell und unüberlegt. Die alte Königin hatte vor sich den breiten und wuchtigen Tisch, hinter sich vier kräftige Schweizer mit langen Spießen. Sie konnte leicht ruhig bleiben, ihre Sprache behäbig.

«Wie Sie mir leid tun, Sie junger Mensch! Achtzehn Jahre, nicht wahr, und schon eine Doppelwaise. Sie sollen in mir eine zweite Mutter finden, die Ihre Schritte leitet, denn die Schritte der Jugend sind oft vorschnell. Ich weiß, daß Sie es mir danken werden, junger Mensch, Ihr Wesen ist lebhaft und natürlich. Wir beide verdienen, daß wir einander verstehn.»

Das war grausig. Auf dem Tisch ahnte man unsichtbar ein vergiftetes Glas, die Fingerchen der Alten schlichen zu ihm hin, während aus ihr der Abgrund redete. Es war ein Bann, man mußte ihn brechen! Gewisse Worte und Zeichen hätten wahrscheinlich bewirkt, daß das bleifarbene Gesicht mit den hängenden Wangen zerplatzte und in Luft zerging. Henri indessen fand in diesem auf die Spitze gestellten Augenblick etwas anderes als solche Kunststücke: er entdeckte in seinem Empfinden, daß die Mörderin seiner Mutter erbarmungswürdig war — wie im Brunnenschacht des Louvre der Turmrest, der auf den begrabenen Jahrhunderten übrig ist. Dennoch wird er bald fortgeräumt. Vielleicht tut sie es zuletzt selbst. Sie oder ihr Geschlecht mußten auch schon die schöne Front des Schlosses errichten in der Mittagssonne. Sie für ihre Person sitzt noch da als die böse und närrische Vergangenheit. Das schlechte, aber auch Überalterte ist endlich zum Lachen, mag es sogar fortfahren zu morden. Trotz seinen verspäteten Untaten erbarmt es uns seiner Ohnmacht, seines Verfalls!

Hell und zuversichtlich rief der junge Henri: «Wie wahr Sie gesprochen haben, Madame! Ich werde Ihnen einmal danken, das ist gewiß. Möchten meine Handlungen immer dieselbe Natürlichkeit zeigen wie die Ihren! Mein Bemühen wird sein, einer so großen Königin zu gefallen.»

Diese übertriebene Ironie mußte sie unbedingt bemerken: er ließ es darauf ankommen. Ihre glanzlosen schwarzen Augen suchten auch wirklich, spitz geworden, in seiner Miene, die nichts zeigte als Jugendmut. Henri sagte weiter unter ihren spähenden Blicken: «Von Ihnen, Madame, hoffe ich über das Ende der Königin, meiner armen Mutter, etwas mehr zu hören, als andere mir berichten können. Sie hatte das Glück, Ihnen nahezustehen, und in allen ihren Briefen war meine arme Mutter über Sie, Madame, des Ruhmes voll.»