Als sie die Stadt verließen, war ihre Armee um dreißigtausend Soldaten verstärkt worden, von denen die Hälfte Panzerreiter waren, die besten, die der Osten besaß. Eine prächtige bunte Truppe. Noch lange Zeit danach erinnerte sich Kleopatra an den Eindruck, den diese schier endlose Truppenkette hinterließ, als sie durch die Weite kroch, die armenischen Reiter in leuchtenden Uniformen, die Hände glitzernd von den Ringen, die sie sogar an den Daumen trugen, das Bronzegeklirr an den Pferdedecken. Wie sie Antonius zujubelten, als er auf dem kastanienbraunen Pferd an ihnen vorbeiritt.
Später dann kam es ihr vor wie der reinste Hohn.
Antonius' Behausung bestand aus einem einfachen Zelt aus Ziegenhaut, die über ein Gerüst aus Eichenholz gespannt worden war. Im Innern standen ein schlichtes Lager, ein paar Schemel, ein Klapptisch mit ausgebreiteten Karten, die an den Enden mit Steinen beschwert worden waren, und Krüge mit Wasser, das man aus hölzernen Bechern trank. Die Laterne, die an der Decke hing, bot nur ein schwaches Licht. Von draußen drangen Lagerlaute zu ihnen, das Wiehern eines Esels, die Flüche der Soldaten. Die Luft war getränkt vom rauchigen Fettgeruch der Feuerstellen.
Antonius legte die Hand ehrfürchtig auf die Karten. »Das sind Caesars Pläne«, sagte er zu Kleopatra. »Sie garantieren uns den Erfolg. Sie haben mich immer angetrieben. Die Unterlagen des größten Strategen der Welt! Er hat sie auf dem Höhepunkt seiner Laufbahn entworfen. Den Namen hat er dem Bübchen vermacht, doch mir hinterließ er das wahre Erbe: den Schlachtplan für Parthien.«
Seine Augen glitzerten, sein Gesicht glühte vor Begeisterung. Richtig, dachte Kleopatra, Antonius hat sich damals Caesars Papiere besorgt. Die Pläne müssen darunter gewesen sein. Er hat sie heimlich aufbewahrt.
Antonius wandte seine Aufmerksamkeit wieder den Karten zu. »Wir greifen von Norden an, nicht vom Westen wie Crassus. Wir sind glänzend gerüstet und haben Belagerungsmaschinen. Genau wie der alte Knabe es vorhatte.«
Es war Antonius' Traum, wie es Caesars Traum gewesen war. Auch er hatte geglaubt, daß Parthien sein Schicksal war. Nur für die Macht interessierte sich Antonius nicht wie jener. Er wollte den Ruhm, den Triumph. Gewiß zog es ihn auch deshalb nach Parthien statt nach Rom, denn nach Bürgerkriegen wurden keine Triumphe gefeiert.
»Ich werde zu Isis beten und sie um ihren Schutz für dich bitten«, flüsterte Kleopatra.
»Ich brauche Isis nicht«, antwortete Antonius. »Ich habe Cäsar. Er steht hinter mir.«
Vielleicht hat er recht, dachte Kleopatra. Wenn er die Schätze Parthiens erbeutet, ist meine Zukunft sicher. Dann habe ich endlich den großen Sieg, Caesars Erbe, das mir so lange versagt geblieben ist. Vielleicht ist das wirklich Caesars Plan gewesen. Es hätte ihm ähnlich gesehen, die Stärksten für sich kämpfen zu lassen und Antonius letztmalig zu prüfen, ehe er ihm seinen Traum erfüllte.
Am Tag darauf sah Kleopatra zu, wie die Armee den Fluß überquerte und sich auf das Gebirge zubewegte, auf Gebiete, die seit Alexander kaum mehr von Karten erfaßt worden waren. Sie wäre gern mit ihnen gezogen, doch sie mußte zurück nach Ägypten, zurück zu ihren Pflichten. Zudem gab es einen weiteren Grund, der ihr die Begleitung der Truppen unmöglich machte.
Der lange Winter in Antiochia hatte Kleopatra viel eingetragen, denn ihr Land war so sicher wie nie zuvor, und durch den Vertrag, den sie Antonius abgerungen hatte, hatte sie nahezu alle Gebiete zurückgewonnen, die ihre Vorfahren verloren hatten. Damit hatte sie sich als eine der größten unter den Ptolemaiern erwiesen, denn in nur fünfzehn Jahren hatte sie Ägypten wieder zur Macht verholfen. Und sie besaß noch etwas von Antonius, doch das war in keinem Vertrag erwähnt.
Sie erwartete wieder ein Kind.
5
Auf dem Palatin in Rom
Er sieht aus wie eine schwitzende Schweineschwarte, dachte Octavia. Wie er da sitzt! Selbstgefällig mit seinem Purpurmantel, die schwarze Lockenperücke sorgfältig auf den kahlen Kopf drapiert. Ein Windstoß, und die Pracht wäre dahin. Entsetzlich, diese reichen alten Männer mit ihren Eitelkeiten. Der Senator zupfte sich eine der Locken zurecht. Auf seinem kreisrunden Gesicht hatten sich Schweißbäche gebildet. Jeder in der Republik schien in diesen Sommertagen aus irgendeinem Grund zu schwitzen.
»Habt Ihr Neuigkeiten vom Imperator?« erkundigte er sich nun.
Gewiß waren auch ihm die Gerüchte zu Ohren gekommen, nach denen Antonius in Antiochia die peregrina geheiratet hatte. Eine Barbarenhochzeit, die nach römischem Recht ohne Gültigkeit war, obgleich jeder in Rom davon sprach. Doch hier auf dem Palatin bin immer noch ich seine Frau, dachte Octavia. Und wenn Antonius mich für das Werkzeug meines Bruders hält, werde ich ihm das Gegenteil beweisen. Wahrscheinlich unterschätzt er mich. Das hat er von Anfang an getan.
»Ich habe nichts mehr gehört, seit er den Euphrat überschritten hat.«
»Nach seiner Rückkehr werden wir ihm einen glorreichen Triumph gewähren.«
Rom hatte einen Helden bitter nötig, denn zur Zeit herrschte der Pöbel im Land. Octavian wurde von allen Seiten belagert. Seine Zukunft lag in der Hand seines mürrischen Freundes Agrippa, der den Winter damit verbracht hatte, im Hafen von Misenum neue Ruderer auszubilden.
Octavians Flotte war einem Sturm in der Straße von Messina zum Opfer gefallen. Viele der untergegangenen Schiffe zählten zu denen, die Antonius in Tarent zurückgelassen hatte. Das Flaggschiff war gestrandet, und beinahe wäre ihr Bruder dabei ertrunken. Es war bereits das zweite Mal, daß er als Schiffbrüchiger endete. Er tat allmählich gut daran, sich vom Wasser fernzuhalten.
Inzwischen hieß es, daß Agrippa Octavian eine neue Flotte bauen ließ, mit größeren Schiffen als zuvor. Schwimmende Festungen wurden sie genannt. Doch man hatte Octavian dafür angeprangert, denn Sextus' Piraten auf den kleinen, wendigen Liburnen behielten im Kampf die Oberhand. Octavian schaffte es einfach nicht, sich gegen Sextus durchzusetzen. Dabei war ein Sieg auf dem Meer dringend vonnöten. Doch wie sollte das angehen, wenn einem Neptuns Sohn gegenüberstand? Wußte ein Mann wie Agrippa überhaupt, worauf es ankam?
Octavian hatte jetzt Maecenas nach Rom entsandt, um die Lage zu entschärfen, und Octavia fragte sich, was er sich dabei gedacht hatte. Ob Maecenas die Aufständischen mit seinem Lockenstab erstechen sollte? Das einzige, was ihren Bruder retten könnte, wäre ein Sieg in Sizilien. Wenigstens hatte er es jetzt geschafft, dort endlich Truppen an Land zu setzen. Einundzwanzig Legionen, ein Riesenheer, und bislang treu ergeben. Auch das war Caesars Vermächtnis.
»Ihr solltet den edlen Antonius wissen lassen, daß er meine ganze Unterstützung hat«, hörte Octavia den Senator sagen.
»Ich werde ihm die Botschaft übermitteln«, erwiderte sie. »Er wird sich darüber freuen.«
In den vergangenen Monaten war die Kette der Besucher in ihrem Haus so gut wie nie abgerissen. Ein römischer Würdenträger folgte dem nächsten - unterwürfige Gestalten, die befürchteten, daß sich das Blatt wenden könnte. Wenn Antonius in Parthien siegte, wollten sie sicher sein, daß ihnen der neue Alexander gewogen war. Wahrscheinlich sind ihnen auch die Proskriptionen noch lebhaft in Erinnerung, dachte Octavia. Viele von ihnen hatten Cicero persönlich gekannt, und keiner sehnte sich nach einem ähnlichen Schicksal, wenn er den Kopf aus der Sänfte streckte.
Im großen und ganzen ging man offenbar davon aus, daß Octavian am Ende war - auch dieser eitle alte Mann, der vor noch nicht allzu langer Zeit vor ihrem Bruder gekrochen war.