Kleopatra starrte ihn an. Ich hatte ihn gewarnt, war alles, was sie denken konnte. Soviel also zu Caesars Vermächtnis.
»Wie schlimm ist es?« brachte sie schließlich hervor.
Dellius schluckte krampfhaft. »Zwanzigtausend von uns -haben es zurückgeschafft.«
Um sie herum wurden entsetzte Rufe laut. Zwanzigtausend Überlebende! Das bedeutete den Verlust von vierzigtausend Soldaten - mehr, als Crassus verloren hatte. Wie um alles in der Welt hatte das passieren können?
»Ich komme«, sagte Kleopatra. »Sagt ihm, daß ich komme.«
7
Leuke Kome in Syrien
Nicht viel war von dem Traum übriggeblieben.
Reihen von Kranken und Verwundeten, die auf dem nackten Erdboden lagen oder sich auf den Holzpritschen krümmten, mit stinkenden, durchweichten Bandagen, unter dünnen, abgewetzten Decken. An manchen Stellen hatte man Zeltdächer errichtet, die den Elendsten unter ihnen kargen Schutz gewährten. Der Rauch der Lagerfeuer zog über sie hinweg und verlor sich über den Feldern. Die Männer wimmerten im Fieberwahn oder schrien vor Schmerzen. Seine unbesiegbare Armee. Caesars Legionen. Als Antonius durch die Reihen ging, erkannten sie seinen Purpurmantel, und viele riefen ihn beim Namen. Er blieb bei jedem stehen, flüsterte Trostworte und schämte sich angesichts der Dankbarkeit, die ihm dafür zuteil wurde. Diese Männer hatten ein besseres Schicksal verdient. Er hatte sie ins Verderben gelockt.
Er wußte nicht, wie viele von ihnen er noch verlieren würde. Manche würden es bis nach Hause schaffen und fortan nutzlos sein, ohne Gliedmaßen oder auch blind. Andere würden hier an den kahlen Hängen sterben, der Kälte oder den Wunden erliegen. Wie glorreich sie ausgesehen hatten, als sie Antiochia verließen! Die stolzeste Armee des Ostens! hatte er vor Kleopatra geprahlt. Und nun war nur noch ein Haufen zerlumpter Skelette übrig.
Antonius fröstelte unter seinem Mantel. Er trug drei Tuniken übereinander und hatte sich wollene Lappen um die Beine gewickelt, doch der Wind fraß sich durch bis auf die Knochen. Eine Stunde lang wanderte Antonius durch den Gestank von Tod und Verwesung. Die Männer stammelten seinen Namen, als sei er ihr Wohltäter. Antonius... Imperator. Sie liebten ihn immer noch, selbst nach dem Leid, das er ihnen beschert hatte. Endlich fand er den Mann, den er gesucht hatte. Den kindgroßen Körper mit dem riesigen Kopf. Er lag unter einer blutgetränkten Decke. Antonius kniete sich neben ihm nieder und berührte ihn an der Schulter. Der Mann schlug die Augen auf. »Sisyphus«, sagte Antonius.
Der Zwerg versuchte zu lächeln. »Die Parther sind gute Schützen«, flüsterte er, »wenn sie selbst so kleine Ziele wie mich treffen können.«
Vom Himmel nieselte eiskalter Regen. Das schwache Rauschen umgab sie wie ein Flüstern.
Antonius hob die Decke hoch. Der Feldarzt hatte den Arm des Zwerges unter dem Ellbogen abgenommen. Der Stumpf steckte in schmutzigen Bandagen.
»Wie geht es dir, alter Freund?«
»Ein einarmiger Zwerg! Jetzt könnt Ihr mit Fug und Recht behaupten, daß Euch die kurioseste Kreatur auf der Welt gehört.«
»Du wirst schon wieder. Wir schaffen dich hier raus.«
Die Augen des kleinen Mannes glänzten fiebrig. »Mein Leben war auch bisher nicht einfach. Es wird mir nicht fehlen, wenn es erlischt.«
»So darfst du nicht reden. Was glaubst du, wie viele Gelage wir beide noch vor uns haben.«
Sisyphus schloß die Augen und ergab sich dem Schicksal, das die Götter für ihn bereithielten. »Sagt mir, warum wir das alles taten?«
»Für Rom, mein Freund.«
»Nein, Antonius, wir taten es für Euch. Was glaubt Ihr? Ist es das wert gewesen?«
Quintus Dellius entdeckte Antonius auf der Mole. Er blickte auf den grauen Ozean, wo der Wind weiße Schaumkronen dem Strand entgegen trieb. Der lange Purpurmantel bauschte sich und schlug ihm um die Beine.
»Imperator?«
»Wo ist sie, Dellius?«
»Sie sagte, sie würde kommen, mein Herr.«
»Wir haben kaum Wasser und keine Nahrung. Meine Armee stirbt langsam vor sich hin, die Männer können nicht marschieren. Wenn sie nicht kommt...«
»Nun, Ihr könntet Euch retten«, murmelte Dellius. Und mich dazu, dachte er, denn wenn Antonius nach Alexandria zöge, nähme er seine Feldherren mit. Solange sie jedoch blieben, litten sie wie die anderen Soldaten.
Antonius schüttelte den Kopf. »Ich lasse meine Armee nicht im Stich. Wenn Kleopatra nicht kommt, werden alle sterben. Dann gehe ich mit ihnen in den Tod.«
Dellius machte ein enttäuschtes Gesicht. Antonius wandte sich ab und schaute wieder über das Meer, suchte den Horizont nach Segeln ab, nach einem Zeichen, das Rettung verhieß.
Trostlos und grau. Eine Art Hafen, den man aus dem Felsen gehauen hatte, das Land dahinter ohne Konturen. Leuke Kome, das Weiße Dorf, wenngleich die zusammengewürfelten Häuser, die Kleopatra am Strand erkennen konnte, nichts anderes aufwiesen als schmutziges Grau. Dennoch war ihr selbst dieser Anblick nach der Seereise willkommen. Sie zitterte unter dem dicken, pelzgefütterten Mantel, obwohl ihre Wangen fiebrig brannten.
Kleopatras Flaggschiff führte die kleine Flotte in den Hafen. Unten in der Antonia stapelten sich Decken, Tuniken und Mäntel für zwanzigtausend Mann. Die Versorgungsschiffe waren mit Getreide beladen. Außerdem hatte sie Geld mitgebracht, dreihundert Talente Gold. Ich habe mich dir mehr als treu erwiesen, Marcus Antonius, dachte sie.
Im Näherkommen erblickte sie die kläglichen Lagerfeuer und die zerlumpten Überbleibsel jener Armee, die sie zuletzt beim Überqueren des Euphrats gesehen hatte. Eines stand für sie fest: Antonius mochte zwar Caesars Pläne an sich genommen haben, doch Caesars Verstand war damit nicht auf ihn übergegangen.
Canidius und Dellius begleiteten Kleopatra zu Antonius' Zelt. Er war offenbar zu stolz oder zu beschämt, um sie am Hafen zu begrüßen. Als sie durch das Lager ging, wurde Kleopatra das Ausmaß der Niederlage erst richtig bewußt. Oh, Antonius, dachte sie, was hast du nur getan?
Sein Zelt war besser ausgestattet als die Unterkünfte der Offiziere, denn auf dem Boden lagen Teppiche, und Antonius selbst hatte einen Sessel, auf dem er zusammengesunken hockte. Er stand auf, um sie willkommen zu heißen, vermied es dabei jedoch, ihr in die Augen zu sehen. Eine Schmach dieses Ausmaßes hatte er noch nie erlebt. Damals in Mutina war er einer Übermacht erlegen, die ihn von zwei Seiten bedrängte, war er ein Opfer politischer Ränkespiele gewesen. Dies hier jedoch war sein Feldzug gewesen, er hatte darauf hingearbeitet, Ort und Zeit des Kampfes bestimmt - und verloren.
»Antonius«, sagte sie.
Er schien um zehn Jahre gealtert zu sein. Sein Blick wirkte gehetzt, die Wangen waren eingefallen, das Gesicht gezeichnet von Entbehrung, Müdigkeit und Furcht. Nichts erinnerte mehr an den kraftstrotzenden Feuerkopf und Spaßmacher von früher.
»Ich wußte, daß du kommen würdest«, sagte er.
»Es stand wohl außer Frage.«
»Hast du uns Nahrung mitgebracht?«
»Die Schiffe sind mit allem beladen, was sich kurzfristig zusammenraffen ließ. Ich habe Getreide, warme Kleidung und Geld mitgebracht, genau wie du es verlangtest.«
Kleopatra ließ sich auf einem harten Schemel nieder. Antonius näherte sich ihr nicht, und sie konnte sich nicht überwinden, auf ihn zuzugehen. Sie starrten sich schweigend an. Der Wind blähte die Zeltbahnen auf und trug den Gestank des Lagers zu ihnen herein.
Antonius war Kleopatra immer wie ein Riese vorgekommen, doch jetzt erschien er ihr zusammengeschrumpft und klein. Doch es waren nicht nur Hunger und Erschöpfung, die diesen Eindruck bewirkten, es war der verlorene Glaube an sich selbst. Sie würde ihn aufrütteln müssen und stärken, denn ihrer beider Schicksal war nun unweigerlich verknüpft. Wenn Antonius unterging, würde sie ihm folgen.