»Was ist geschehen?« fragte sie schließlich.
»Wir wurden von Artavasdes, dem Armenier, verraten.«
Danach schilderte er ihr im einzelnen, was vorgefallen war. Die Kriegsmaschinen und schweren Gepäckfuhrwerke hatten das Vorwärtskommen durch die Berge verlangsamt, so daß er gezwungen gewesen war, die Streitmacht aufzuteilen. Artavasdes hatte das Ende des Heers schützen sollen, zusammen mit zwei Legionen unter Oppius Statianus. Antonius war mit den anderen Truppen vorausgeeilt. Doch Artavasdes und seine Reiter hatten Statianus im Stich gelassen und waren nach Armenien zurückgekehrt. Nach ihrem Verschwinden waren die Parther über Statianus' Truppen hergefallen, hatten die Soldaten niedergemetzelt, die Kriegsmaschinen zerstört und die Standarten geraubt.
Inzwischen hatte Antonius die parthische Grenzstadt Phraata erreicht, doch weil ihm die Katapulte fehlten, hatte er sie nicht einnehmen können. Da sich der Winter mit gewaltigen Schritten genähert hatte, war er zum Rückzug gezwungen gewesen, der von der parthischen Reiterei immer wieder gestört wurde. Allein in siebenundzwanzig Tagen war es zu achtzehn Verteidigungsschlachten gekommen, erst danach konnte er den Bergen entrinnen, doch er hatte ein Drittel seiner Armee verloren, vierzigtausend Mann, die an ihren Wunden, an der Kälte oder an Seuchen starben. Von seinen sechzigtausend Veteranen lebten noch achtzehntausend.
Als sie in Syrien ankamen, hatten sie weder nach Tyros noch nach Sidon marschieren können, da die Gefahr bestand, daß die Parther ihnen bereits den Weg abgeschnitten hatten. Deshalb waren sie hierher gezogen.
Als Antonius seine Geschichte beendet hatte, erhob er sich, trat an den Zelteingang und starrte hinaus in die rauchverhangene Luft. Seine Verzweiflung schien ihn niederzudrücken wie eine unsichtbare Hand.
So ist das also gewesen, dachte Kleopatra. Caesars Pläne zu nichts zerfallen! Nur weil Antonius ungeduldig - oder unfähig
- gewesen war. War es auch Caesars Plan gewesen, die Streitmacht aufzuteilen? Zeugte es von militärischem Geschick, auf Vasallentreue zu bauen und sich nicht abzusichern, indem man Geiseln als Faustpfand mit sich nahm? Solche Fehler wären Julius nicht unterlaufen. Antonius war mit eigenen Plänen vorgeprescht und hatte Caesars Vermächtnis vertan.
»Du hast alles zunichte gemacht, Marcus«, sagte Kleopatra. Sie sah, wie sich sein Rücken versteifte.
»Nun bist du hier gelandet, ißt verschimmeltes Brot, mußt den Schmutz vom Wasser schöpfen, ehe du es trinkst, und verkriechst dich zum Schlaf an einen verlassenen Strand. Caesar an deiner Stelle wäre schon in Indien eingezogen.«
Er fuhr zu ihr herum. »Du kannst dir deine Worte sparen!«
»Ich wiederhole nur, was du dir ohnehin schon sagst, denn im Moment vergräbst du dich in Selbstmitleid. Was geschehen ist, ist nicht zu ändern. Ich habe dich vor Parthien gewarnt. Die Zeichen standen von Anfang an schlecht.«
»Wenn Artavasdes nicht gewesen wäre, hätten wir gesiegt. Die Parther müssen von unseren Plänen erfahren haben. Er hat uns nicht nur verlassen, sondern wird uns auch verraten haben.«
Und wenn es das nicht wäre, dachte Kleopatra, fiele dir eine andere Ausrede ein. In Wahrheit war es ein sinnloser Krieg mit einem unvermeidlichen Ausgang. Ich wüßte gern, was Octavian jetzt tut. Wahrscheinlich liegt er auf der Ruhebank, verschlingt genüßlich ein paar Leckereien und befingert einen seiner Knaben.
»Wie alt bist du jetzt, Marcus? Sechs- oder siebenundvierzig? Von nun an geht die Reise abwärts und führt zum Boot am Ufer des Styx.«
»Ich bin noch nicht am Ende«, knurrte er.
»Es freut mich, das zu hören. Es kam mir vor, als hättest du schon aufgegeben.«
»Ich werde mir Parthien holen.«
»Vergiß doch Parthien!« zischte Kleopatra wütend. »Hast du die Neuigkeiten nicht vernommen? Weißt du nichts von Octavians Erfolgen?«
»Von seinem Sieg über Sextus? Ich habe davon gehört. Es war Agrippas Sieg, nicht seiner.«
»Ein Unterschied, der den Römern leider entgangen ist. Lepidus gibt es nicht mehr als Triumvir. Er befindet sich an einem warmen Plätzchen, auf einem Landgut, das weit von Rom entfernt ist.«
»Octavian hatte kein Recht, ihn zu verstoßen, ohne mein Einverständnis einzuholen.«
»Eine Vorschrift, die er geflissentlich übersah.«
Antonius ging zu seinem Sessel und ließ sich schwer darauf niedersinken. »Das Blatt wird sich auch wieder wenden.«
»Erst wenn du bereit bist, etwas dafür zu tun.«
Er stützte den Kopf in die Hände und saß lange Zeit still wie eine Statue. »Ich bin so froh, daß du gekommen bist«, sagte er endlich.
»Ich wünschte nur, du nähmest meinen Rat so bereitwillig an wie mein Gold.«
»Ich zahle dir alles zurück«, erwiderte Antonius, doch seine Augen blitzten zornig. Güte wird nie verziehen, hatte Mardian Kleopatra einmal erklärt. Die Menschen hassen nichts so sehr wie Schulden, sei es in Form von Geldern oder Gefälligkeit. Doch hatte sie eine Wahl, wo sie Antonius unterstützen mußte, um sich selbst zu retten? Sie mußte dafür sorgen, daß er wieder auf die Beine kam, daß er die Hand mit dem Schwert gegen den wahren Feind richtete, statt sie sich von diesem abschlagen zu lassen.
8
Sie lagen in Antonius' Zelt und lauschten dem stürmischen Wellenrauschen, dem Heulen des Windes, der sich gegen die Zeltwände warf und die Öllampe, die von der Decke hing, quietschend hin und her schaukeln ließ. Dazwischen erklang das Gestöhn der Verwundeten und Sterbenden.
Das Lager war hart und schmal, ihre Körper schlüpfrig und verklebt. Antonius' Umarmung war heftig gewesen, ungeduldig, beinahe wütend. Kleopatra hatte ihn gewähren lassen. Hinterher hatte er sich so fest an sie geklammert wie nie.
»Es ist noch nicht alles verloren«, flüsterte sie und strich ihm über die Haare. »Du hast mich. Du hast die Kinder. Du hast Alexandria und den Reichtum des Ostens. Du kannst eine neue und bessere Armee aufstellen, und ich besitze die größte Flotte der Welt.« Sein Kopf lag an ihrer Brust. Sie küßte seine Stirn. »Doch Parthien mußt du vergessen.«
»Ich hätte gewinnen können«, murmelte er. »Ohne den Armenier hätte ich gewonnen.«
»Ich werde deine Soldaten mit nach Ägypten nehmen. Dort können sie sich wieder stärken, und du kannst sie neu ausrüsten. Quintus Dellius schickst du nach Rom. Er wird dort deinen Sieg verkünden und vor dem Senat erklären, daß du in Parthien Schätze erbeutet hast und einen neuen Angriff planst. Wer weiß denn schon, was wirklich geschah? Denke daran, daß jedermann glaubt, Caesar habe Britannien erobert. Mir hat er anvertraut, daß er lediglich gestrandet ist und ein paar Kelten schlug, die sein Lager überfielen.«
»Der Tag wird kommen, an dem ich durch Babylon reite«, sagte Antonius.
»Vergiß Babylon! Parthien ist zu groß, zu weit entfernt von den anderen Ländern der Welt. Als Alexander dort einzog, bestand es nur aus wenigen Stämmen mit ihren Reiterscharen. Jetzt ist es dicht bevölkert und reich. Dein wahrer Feind lebt in Rom, Antonius.«
Kleopatra schlang die Arme um ihn und preßte sich an ihn. Von nun an, dachte sie, werde ich die Rolle des Mannes einnehmen. Ihm würde sie die Zügel nicht länger überlassen, denn er war kein Caesar, kein Stratege. Ein mutiger, starker Soldat, das ganz gewiß, doch seine Körperkraft hatte getäuscht, hatte dazu geführt, daß jedermann ihn überschätzte.
»Das Schlimmste liegt nun hinter uns«, verkündete Antonius während seiner Lagebesprechung am folgenden Morgen. Er hatte sich mit seinem Stab um den Tisch versammelt, auf dem die Karten und Pläne ausgebreitet lagen. »Wir müssen unsere Kräfte wieder sammeln. Dann rächen wir uns an Armenien. Danach machen wir Pläne für einen neuen Angriff auf Parthien.«
Antonius' Generäle warfen sich verstohlene Blicke zu. Keiner von ihnen hatte Lust, denselben Weg noch einmal zu gehen.