Er sah ihr verdrossen entgegen. »Jeder will immer irgend etwas von mir.«
»Das kommt dir nur so vor, weil du dich mit Nichtstun begnügen willst.«
»Ich warte lediglich darauf, daß meine Armee wieder kampfbereit ist. Dann kümmere ich mich um Armenien.«
»Warum damit die Zeit verschwenden?«
»Weil ich das nicht so stehenlassen kann! Vierzigtausend Mann vernichtet! Und das wegen Artavasdes, diesem Verräter! Es vergeht kein Augenblick, an dem ich nicht daran denke.«
»Der Feldzug gegen Parthien war von vornherein ein Fehler.«
»Parthien ist mein Schicksal.«
»Wieso glaubst du das?«
»Ich weiß es«, entgegnete er.
Er kommt nicht davon los, dachte Kleopatra. Parthien war Caesars Traum gewesen. Antonius hat ihn einfach übernommen - ein treuer Gefolgsmann bis zum bitteren Ende. Er hat sich ein Ziel gesetzt, und nun verfolgt er es stur und ohne nachzudenken, anstatt sich den neuen Gegebenheiten anzupassen.
Caesars Geist herrschte noch immer in diesem Raum. Er hatte auf demselben Diwan gesessen, auf dem jetzt Antonius lag, jedoch nicht nackt und halb betrunken, sondern in kriegerischem Gewand, mit dem vertrauten Gesichtsausdruck, als amüsiere ihn die Welt unablässig. Dort hatte er sie in jener Nacht genommen, als Apollodoros sie in der Teppichrolle zu ihm gebracht hatte.
Wenn er doch nur hier wäre! Er würde das Richtige tun.
»Die Ratschläge, die man mir ständig gibt, reichen für zehn Leben«, hörte sie Antonius sagen. »Erst Ahenobarbus, dann Canidius, und jetzt auch noch du. Aber mein Entschluß steht fest: Ich werde nach Armenien ziehen und Artavasdes strafen. Eher ruhe ich nicht.«
»Tu mit ihm, was du willst. Doch Parthien mußt du vergessen.«
Kleopatra ging wieder in ihr Bett zurück, während Antonius blieb, wo er war, und dem Weinkrug sein Elend klagte, bis ihn in den frühen Morgenstunden Sklaven in seine Gemächer trugen, wo er seinen Rausch ausschlief.
2
DER MONAT MARTIUS NACH DEM RÖMISCHEN KALENDER IM JAHRE 34 VOR CHRISTI GEBURT
Auf dem Palatin in Rom
Octavian lag auf seiner Ruhebank ausgestreckt, nahm mit seiner Frau die Abendmahlzeit ein und studierte dabei einen Bericht, den ihm einer seiner Offiziere überbracht hatte. Ab und zu kratzte er an dem Eiterbläschen auf seiner Wange.
»Jetzt hat er es also geschafft.«
Livia nahm sich noch ein kleines Stück von der gebratenen Meeräsche auf dem Tisch. »Geht es um deinen Freund Antonius?«
»Er hat einen Gewaltmarsch zurückgelegt und ist in Armenien eingefallen. Er hat die Festung Artaxata besetzt und den König gefangengenommen. Das Land ist jetzt römische Provinz, und Antonius verkündet es als großen Sieg.«
»Bestimmt will er jetzt einen Triumphzug haben«, sagte Livia verächtlich.
»Bestimmt.«
Wie sollte man so einen Menschen verstehen? dachte Octavian. Wie konnte sich jemand so töricht verhalten? Zuerst die Angelegenheit mit Sextus Pompejus, der nach Armenien geflohen war, drei Legionen ausgehoben und auf das beste Auftragsangebot gewartet hatte. Er war kurz davor gewesen, den Parthern den Zuschlag zu geben, als ihn einer von Antonius' Generälen ergriff und hinrichten ließ. Es war dieser Dummkopf gewesen - dieser Munatius Plancus.
Natürlich hatte man Sextus loswerden müssen - ein gräßlicher Störenfried! -, doch weshalb sich Antonius die Hände damit schmutzig gemacht hatte, blieb Octavian ein Rätsel. Der römische Pöbel hatte Sextus geliebt und nach seinem Tod natürlich zum Helden erhoben, zum wahren Kämpfer der Republik, zum edlen Römer, dem letzten seiner Art. Und der böse Antonius war nun schuld an dessen Tod! War dieser Mensch denn wirklich bar jeder List und Tücke?
Und dann noch diese Brut, die er mit seiner ägyptischen Mätresse gezeugt hatte! Das Mädchen war in Selene umbenannt worden, der Zwillingsbruder hieß neuerdings Helios
- der Mond und die Sonne! Titel, die den parthischen Königen gehörten! Antonius mußte tatsächlich von allen guten Geistern verlassen und von Parthien besessen sein.
»Vielleicht sollte ich die Nachricht unterschlagen«, sagte Octavian.
Livia zog eine Augenbraue in die Höhe. »Wozu die Mühe? Gib den Sieg ruhig im Senat bekannt und ernenne Armenien zur römischen Provinz, als sei es dein Verdienst gewesen. Im Grunde mußt du gar nichts tun, Antonius erledigt alles für dich.«
Welch ein kluges Mädchen, dachte Octavian. Die vorbildliche Ehefrau, die ihren Mann unterstützt. Natürlich hat sie recht. Ich werde den Ruhm für mich beanspruchen und Antonius unberücksichtigt lassen. Solange er nicht nach Rom zurückkommt, gibt es nichts zu befürchten. Soll er doch im Osten tun und lassen, was er will, von einer Schlacht in die nächste taumeln und sich in den Armen seiner Hure wälzen. Ihm konnte das alles recht sein. Er suchte keinen Krieg mit Antonius - zumindest jetzt noch nicht. Die Armee war noch nicht gefestigt und neigte zur Meuterei, solange ihm Gelder und Länder fehlten, um sie zu bezahlen. Festina lente, dachte er. Eile mit Weile.
In Antiochia
Selene hatte sich wie ein verwundeter Soldat über Antonius geworfen, Speicheltröpfchen rannen ihr über die Wange und benetzten seinen Arm. Helios hatte seine Ohren gepackt und versuchte, ihn auf den Boden zurückzuzerren. Antonius lachte schallend, schnappte sich den Jungen und lud ihn sich auf die Schultern. Die Kinder kreischten vor Vergnügen.
Kleopatra sah zu, wie Antonius sich mit den Kindern auf dem Pantherfell balgte. Ein plötzliches Gefühl von Zärtlichkeit stieg in ihr auf. Für so etwas ist er wie geschaffen, dachte sie. Wenn das Schicksal gnädiger gewesen wäre, hätte es ihn zu einem Schreiner gemacht oder zu einem Schiffsbauer. In dieser Rolle wäre er glücklich geworden, mit einer netten Frau und Kindern zum Herumtollen, gelegentlichen Tempelbesuchen, um sich eine heterai zu kaufen, genug Geld, um sich billigen Wein zu besorgen und sich ab und zu eine Schlägerei in einer Spelunke am Hafen zu leisten. Mardian hatte unrecht gehabt - Antonius selbst war kein Rätsel, vielmehr war ihm das Leben ein Rätsel geblieben. Und die Göttin Fortuna war grausam gewesen und hatte ihn mit einer Rolle versehen, mit der er nichts anzufangen wußte, hatte ihm eine Bürde auferlegt, die er nicht tragen konnte.
Es tat Kleopatra leid, das Trio zu stören, doch ihre Nachricht drängte. Sie klatschte in die Hände. »Kinder!« rief sie. »Ruhe jetzt! Ich muß mit eurem Vater reden.«
Selene und Helios hielten abrupt inne und starrten sie an. Auf ihren Gesichtern malte sich Enttäuschung ab. Sie halten mich zwar für eine gute Mutter, dachte Kleopatra, aber sie finden mich nicht lustig. Nicht wie Antonius, diesen Riesen, der ein ebensolcher Kindskopf ist wie sie.
Antonius schaute sie erwartungsvoll an. »Neuigkeiten aus Rom?« erkundigte er sich.
Sie bedauerte das, was sie ihm sagen mußte, doch es gab auch einen Teil in ihr, der darüber frohlockte. Was hätte sie wohl gemacht, wenn die Römer ihm einen Triumph gewährt hätten? Doch mit Octavian an der Macht war die Aussicht von Anfang an gering gewesen.
»Der Sieg in Armenien ist im Senat verkündet worden. Das Land ist als römische Provinz annektiert worden.«
»Und?«
»Das ist alles.«
»Keinen Triumph?«
»Keinen Triumph.«
Selene krabbelte auf seinen Schoß und versuchte, ihm eine ihrer nackten Zehen in den Mund zu stecken, während sie kichernd auf seine Beine sabberte. Antonius packte sie sanft und setzte sie ab. Dann löste er Helios' Arme von seinem Hals und stand auf. Er gab den Sklaven ein Zeichen, die Kinder nach draußen zu bringen und sie dort zu beschäftigen.
Die Kinder verließen ihn ungern, doch ohne zu murren, da sie seine veränderte Stimmung spürten.
»Keinen Triumph?« wiederholte Antonius ungläubig.
Er ist immer noch so treuherzig, daß er glaubt, er bekäme stets, was ihm zusteht, dachte Kleopatra. Wie kann ein Mensch so lange leben und dabei so wenig begreifen? »Haben sie keine Feiern angesetzt, keinen Umzug, um meinen Sieg zu würdigen?«