Die Frau ließ Kleopatra nicht aus den Augen. Sie war nicht im entferntesten so eingeschüchtert, wie Kleopatra es gern gesehen hätte. Aber warum auch? Das Zelt einer Wüstenkönigin ist schließlich nicht der Palast von Lochias. »Bei wie vielen Männern hast du gelegen?« »Ich habe sie nicht gezählt. Ein Mann ist wie der andere.« »Hunderte?« »Freilich.«
»Charmion hat mir gesagt, daß du in Alexandria einst einen ordentlichen Preis fordern konntest. Daß du einen besonderen Ruf genossen hast.«
Die Frau lächelte nur - ein derart aufreizendes Lächeln, daß es wahrscheinlich sogar Mardian in Wallung versetzt hätte.
»Ich selbst bin auf diese Art noch keinem Mann begegnet.« Kleopatra hielt inne, doch Rachels Gesichtsausdruck ließ sich nicht deuten. »Ich möchte deine Geheimnisse erfahren.«
»Ich kann sie Euch binnen einer Stunde erzählen, Majestät. Aber...« »Aber?«
»Die Umsetzung erfordert mehr als schlichtes Erklären. Wenn Ihr versteht, worauf ich hinaus will.«
»Ich verstehe sehr gut. Aus diesem Grund habe ich Charmion erlaubt, großzügig zu sein. Und ich werde noch großzügiger sein. Ich möchte, daß du es mir vorführst.« Rachel legte den Kopf schräg. »Es Euch vorführen, Majestät?« »Du hast dich doch hoffentlich nicht ganz aus deinem Gewerbe zurückgezogen?«
»Nicht ganz. Ich bin jetzt eine verheiratete Frau und gehe den Pflichten lediglich seltener nach als zuvor.«
»Kann man dich überreden, dein früheres Gewerbe noch einmal für eine Stunde aufzunehmen?«
»Zwei Stunden, Majestät«, verbesserte Rachel sie liebenswürdig. »Und es würde an Eurer Überredungskraft liegen.«
Kleopatra hielt ihr ein Paar Ohrringe hin: sündhaft teure Perlen aus dem Roten Meer.
»Ist der Betreffende so unansehnlich?« erkundigte sich Rachel.
»Ganz und gar nicht. Wenn die Dinge anders lägen, würde ich wünschen, daß er mich unterweist. Aber das ist nicht möglich.«
Rachel griff nach den Ohrringen und barg sie in der Hand. »Ich werde es Euch vorführen, Majestät. Wenn Ihr es denn wirklich so wollt.«
Die Öllampe warf flackernde Schattenbilder an die Seidenwände des Zeltes. Die blinde Sklavin, die in der Ecke kauerte, bewegte die Fransenschabracke, um die Luft zu kühlen, die heiß und klebrig war wie Melasse. Der Luftzug blähte die zarten Vorhänge, die den Raum zum Schutz vor Insekten teilten.
Kleopatra saß hinter einem dieser Vorhänge, verborgen im Schatten, auf einem Sessel mit hoher, gerader Rückenlehne. Das Zeltinnere war so beleuchtet, daß sie ungesehen hineinschauen konnte. Auf ihrem Schoß lagen Stylus und Wachstafel. Sie war entschlossen, die folgende Lektion ebenso sorgfältig zu erfassen, wie sie einst die Rhetorik von Mardian und die Geometrie und Mathematik von den Lehrern des Museion gelernt hatte.
Sie sah, wie sich die Vorhänge des Eingangs teilten. Apollodoros. Es gäbe eine Zulage für ihn, hatte man ihm gesagt. Ein Geschenk der Königin.
Kleopatra spürte, wie sich ihre Bauchmuskeln zusammenzogen, und plötzlich hatte sie Schwierigkeiten zu atmen. Wie seltsam, dachte sie, daß ich so reagiere. Schließlich dient das Ganze nicht meinem Vergnügen, sondern lediglich der Anschauung. Sonst stünde ich doch ganz ohne Waffen vor Caesar, und das ist unmöglich.
Rachel hatte sich in einer Ecke des Zeltes auf einem einfachen Lager ausgestreckt. Sie trug eine knappe Tunika mit Fransenbesatz, unter der ihre langen, muskulösen, ölglänzenden Schenkel sichtbar waren. Auf die Lippen hatte sie einen dunklen bläulichen Puder aufgetragen, der sie voller und schwerer erscheinen ließ, und die Augenwinkel waren mit leuchtendem Zinnoberrot betont. Die Brüste waren von einem durchsichtigen Gazeschleier bedeckt, die Brustwarzen mit Karmin gefärbt - blutrote Schwellungen.
Apollodoros trat zu ihr. Auch er trug lediglich eine kurze weiße Tunika. Rachel erhob sich träge von ihrem Lager. Sie wechselten ein paar gemurmelte Sätze. Kleopatra lächelte still vor sich hin. Der Sizilianer war in erster Linie Kaufmann -wahrscheinlich wollte er sicherstellen, daß er für das Ganze nichts zu zahlen hatte.
Dann nickte er zufrieden und wollte nach Rachel greifen, doch sie entwand sich geschickt seinen Händen. Auf einem Klapptisch aus Zedernholz standen zwei silberne Pokale und eine Karaffe mit Wein. Daneben befand sich eine Sanduhr. Rachel drehte sie um, damit der Sand langsam in das untere Gehäuse rieseln konnte, schenkte Wein in einen der Pokale und trug ihn zu dem Sizilianer. Er blickte ihr mit Begehren entgegen, war sich aber offenbar nicht ganz im klaren, welche Rolle ihm zugedacht war.
Rachel nahm ihn bei der Hand, führte ihn zur Bettstatt, drückte ihn darauf nieder und hielt ihm den Pokal an die Lippen. Dann nahm sie seinen Kopf zwischen die Hände und küßte ihn auf den Mund. Apollodoros versuchte sie zu packen, doch sie entschlüpfte ihm und bedeutete ihm, geduldig zu sein. Dann kniete sie sich zwischen seine Beine und forderte ihn auf, die Kleider abzulegen.
Kleopatra merkte, wie fest ihre Finger den Stylus umklammert hielten. Ihr Mund fühlte sich trocken an, und zwischen den Schulterblättern hatte sich eine schmale Schweißspur gebildet, die ihr langsam die Wirbelsäule hinunterrann.
Apollodoros zog sich die Tunika über den Kopf. Sein Körper glich dem eines Gladiatoren - harte dicke Muskelstränge, Brust und Bauch mit dichtem Haarwuchs bedeckt. Sein Gesicht hatte sich gerötet und wirkte gequält. Kleopatra beugte sich dichter an den seidenen Trennschleier.
Als ob sie wüßte, was ihrer Schülerin durch den Kopf ging, rückte Rachel umsichtig zur Seite, und Kleopatra erkannte den Grund für den Aufruhr des Sizilianers. Die Jüdin hielt sein hochaufgerichtetes Glied zwischen ihren scharlachroten Fingernägeln. Kleopatra blies beide Backen auf, abgestoßen und fasziniert zugleich. Unmöglich, daß so ein kleines Ding so groß werden konnte. Würde es denn tatsächlich in eine derart zarte Frau passen, ohne sie zu zerreißen? Und jetzt? Was tat sie da?
Der königlichen Jungfrau entglitt die Wachstafel, deren Aufschlag glücklicherweise von dem weichen Teppich verschluckt wurde. Daß eine Frau so etwas mit Zunge und Mund tun würde!
Kleopatra war nicht sicher, ob sie selbst sich je dazu überwinden konnte. Apollodoros bäumte sich auf, als würde er gepeitscht. Seine Züge waren verzerrt, er schien geradezu unter Folter zu stehen. Aber er hatte Rachel bei den Haaren gepackt, so daß ihr Kopf nicht von der Stelle konnte.
Jetzt leuchtet mir ein, warum sie mir das nicht einfach erklären konnte. Rachels Hände und Zunge schienen überall gleichzeitig zu sein. Apollodoros stöhnte laut, seine Stimme klang so unheimlich wie die der Priester im Tempel, wenn sie zu ihren Gesängen ansetzten.
Mit einemmal erhob sich Rachel und trat an den kleinen Zederntisch. Sie nahm den Mund voll Wein und schaute in das Dunkel, in dem Kleopatra verborgen saß, geradeso als könne sie sie erkennen. Sie lächelte. Es bereitet der Hexe Freude, dachte Kleopatra. Wie jede große Schauspielerin liebt sie ihr Publikum.
Danach ging Rachel aufreizend langsam zu dem Lager zurück, auf dem Apollodoros ausgebreitet lag wie ein Opfer. Sie beugte sich über ihn und ließ den roten Wein in seinen Mund tröpfeln. Dann richtete sie sich auf und streifte die Tunika ab. Darunter war sie nackt.
Ihr Körper war sorgsam eingeölt und glänzte im Lichtschein, der die sanfte Wölbung ihrer Wirbelsäule und die runden Kurven ihrer Hüften betonte. Die Lippen des Sizilianers glitten über ihren Bauch und über die kleinen Brüste. Er nahm eine der harten roten Brustwarzen zwischen die Zähne, und sie stieß einen Schrei aus wie ein verwundeter Vogel.
Kleopatra hatte Mühe zu schlucken. Ihre Hände hatten zu zittern begonnen. Es war ihr, als entweihe sie einen Tempel, um Zeugin geheimer Handlungen zu sein. Es war ganz anders, als sie es sich vorgestellt hatte, ganz anders als das, was üblicherweise durch Anleitung gelernt werden konnte, wie beispielsweise der Ringkampf oder das Speerwerfen, das die Männer im Gymnasium übten. Sie hatte mit angesehen, wie sich Pferde und das Vieh bestiegen, und sie war davon ausgegangen, daß der Vorgang nur eine Frage der Technik sei. Nun jedoch wurde ihr klar, daß es um mehr ging, daß Unterwerfung und Leidenschaft eine Rolle spielten.