»Ja, schon gut«, unterbrach ihn Octavian. Noch mehr von diesem Geschwätz, und ihm wäre übel geworden. Er wußte längst über Plancus Bescheid. Ein nichtswürdiger, treuloser Mann! Aber was soll's, sagte er sich, Treue war noch nie seine Stärke gewesen. In Perusia hatte er auf Fulvias Seite gestanden, dann seine Gesandtenrolle benutzt, um der Belagerung auszuweichen, und sich in Athen abermals Fulvia angeschlossen. Später hatte ihn Antonius als Statthalter von Syrien eingesetzt, bis offenkundig wurde, daß es zu Plancus' Vorlieben gehörte, neun- oder zehnjährige Mädchen zu entehren. Sicher, dachte Octavian, keiner von uns ist vollkommen, doch an bestimmte Regeln muß der Mensch sich halten. Er selbst hatte sich immerhin auferlegt, daß seine Mädchen bereits behaart sein mußten, damit er nicht von der Gesellschaft geächtet wurde.
Natürlich kannte Octavian auch den wahren Grund für Plancus' Fahnenwechsel, da es derselbe war, der ihn schon in Perusia dazu bewogen hatte. Die Ratte riecht das Feuer, dachte er, denn inzwischen hat sich herumgesprochen, daß Antonius' Scheidung von Octavia ein großer Fehler gewesen war.
»Ein weiterer Grund, Antonius zu verlassen, bestand natürlich auch in seinem Testament«, erklärte Plancus.
Octavian richtete sich ruckartig auf. »Seinem Testament?«
»Er hat alles der Hexe und ihren Kindern vermacht und angeordnet, daß man ihn in Alexandria begräbt.«
In Alexandria? Bei allen Göttern, Antonius hatte tatsächlich den Verstand verloren! Kein Römer dieser Welt, nicht einmal der elendste aller Verbrecher, wollte jenseits der Heimat begraben sein. Wenn er dieses Dokument in die Hände bekäme, würde Antonius keinen einzigen römischen Freund mehr haben.
»Wo befindet sich dieses Testament?«
»Es ist in der Obhut der Priester des Isistempels im Brucheion... «
»Und Ihr hattet nicht Verstand genug, es zu stehlen?« fuhr Octavian Plancus an, der ihn daraufhin entgeistert anstarrte. Wie enttäuschend! dachte Octavian, ihm fehlt der Sinn für das Nächstliegende.
»Wenn der Inhalt bekannt wird...«, setzte Plancus abermals an.
»... ist es doch nur ein Gerücht«, unterbrach ihn Octavian verärgert. »Ein Gerücht reicht nicht aus. Ich muß das Dokument in den Händen haben!«
Plancus verstummte.
»Geht!« befahl ihm Octavian verstimmt und winkte ihn in Richtung Tür. Plancus entfernte sich eiligst.
Livia Drusilla tauchte hinter dem Vorhang auf, von wo aus sie das Gespräch belauscht hatte.
»Was hältst du davon?« fragte Octavian.
»Du brauchst das Testament.«
»Es aus Alexandria zu stehlen dürfte nicht ganz einfach sein.«
»Es muß doch nicht das richtige Testament sein, sondern nur wie ein solches erscheinen.«
Octavian schaute sie bewundernd an und gratulierte sich abermals zu seiner Wahl. Livia Drusilla war die vollkommene Ehefrau: Sie war verschlagen, schlau, ihm ergeben, und sie konnte zudem noch spinnen und nähen.
Octavian lächelte. »Du hast wie immer recht. Genau das ist die Lösung. Ich muß nur noch überlegen, wie ich das am besten bewerkstellige.«
Unter hochgeborenen Römern war es Brauch, ihr Testament im Tempel der Vestalinnen auf dem Forum Romanum zu hinterlegen, wo es bis zum Tod des Verfassers aufbewahrt wurde. Dort war es sicherer als an jedem anderen Ort, denn die vestalischen Jungfrauen waren unantastbar, und dem Zuwiderhandelnden drohte ein schrecklicher Tod als Strafe.
Daher erschütterte es die Römer zutiefst, als sie erfuhren, daß der Tempel entweiht und beraubt worden war. Die Priesterinnen, so hieß es, seien von Unbekannten überwältigt worden.
In Rom gab es kein anderes Thema mehr, und alle Stimmen waren sich einig, daß dies ein Frevel ohnegleichen war.
Als sich später Octavian im Senat erhob, um zu verkünden, daß er auf rätselhafte Weise in den Besitz des Testaments von Marcus Antonius gekommen sei, weitete sich das Entsetzen aus, da man erkannte, daß die Schandtat zu seinen Lasten ging.
In den Reihen der Senatoren entstand daraufhin ein Tumult, denn selbst bei dem Sohn des göttlichen Caesar würde auf derartige Machenschaften die gerechte Strafe folgen.
Ungeachtet des Aufruhrs begann Octavian, das Testament zu verlesen, und schon nach kürzester Zeit verblaßte die schnöde Tat vor dem Inhalt der Schrift.
Antonius hatte Kleopatras Sohn Caesarion zu Caesars rechtmäßigem Erben erklärt.
Antonius bezeichnete Kleopatra als seine Gemahlin, wenngleich das Gesetz Römern die Heirat mit Fremden verbot.
Antonius versah nur die Kinder, die er mit der ägyptischen Königin gezeugt hatte, mit Schenkungen, die Kinder, die er mit Fulvia und der duldsamen Octavia gezeugt hatte, berücksichtigte er nicht.
Und Antonius verfügte, daß er im königlichen Mausoleum der Ptolemaier in Alexandria begraben sein wollte.
Als Octavian zu Ende gelesen hatte, waren sich die Senatoren einig, daß die Mittel zur Erlangung des Testaments gerechtfertigt gewesen seien.
Antonius, Konsul, Triumvir und Imperator, hatte mit diesem Dokument seine privilegierte Position in der Welt verloren - er hatte aufgehört, ein Römer zu sein.
Nicht einem der Anwesenden kam der Verdacht, daß das Testament gar nicht unter den gestohlenen Schriftstücken hätte gewesen sein können, denn es war nicht denkbar, daß ein Mensch ein so furchtbares Verbrechen nur aus List auf sich lud.
Und da sich die Senatoren ein derartiges Ausmaß an Tücke nicht ausmalen konnten, war es nur naheliegend, daß sie Antonius seines Amtes als Konsul enthoben, wenngleich sie ihn erst kürzlich in diesem Amt bestätigt hatten.
Und wenn schon die Senatoren keinen Argwohn hegten, dann tat es erst recht nicht der römische Pöbel, der in derselben Nacht zum Palatin stürmte, um mit anfeuernden Rufen Octavians Leibwache zu unterstützen, als diese Antonius' Haus bis auf die Grundmauern niederbrannte.
14
Octavian erhob sich bedächtig. Das hohe Haus des römischen Senats war bis auf den letzten Platz gefüllt, denn jedermann wußte, daß an diesem Tag Schicksalhaftes entschieden würde.
Octavian wartete, bis sich das Husten und Füßescharren gelegt hatte.
»Erlauchte Senatoren! Wir stehen vor einer Bedrohung, wie Rom sie seit Hannibals Tagen nicht mehr gekannt hat. Dabei geht es nicht um einen Bürgerkrieg, wie etwa in dem Streit zwischen meinem Vater und Pompejus oder in den nachfolgenden Auseinandersetzungen mit Pompejus' Söhnen, sondern es geht um die ureigenste Bedrohung dieser Stadt.
Eines jedoch muß ich voranstellen: Mein Angriff zielt nicht auf Marcus Antonius, sondern auf die Frau, die sein Handeln bestimmt und die auch das unsere bestimmen wird, wenn wir die Waffen nicht erheben...«
Die Flammen der Fackeln zuckten am den Wänden. Die ersten Winterstürme fegten über Patras hinweg, und durch den Golf trieben graue Regenschwaden. Im Hafen unter der Festung schwankten die Schiffe auf hohen Wellenbergen, die Kais lagen verlassen, die Segel waren eingerollt und verstaut.
Die Glut in den Holzkohlebecken leuchtete auf, als ein Windstoß durch die Türritzen stob. Kleopatra hatte sich in einen Pelzmantel verkrochen und wärmte sich mit heißem Würzwein.
»Wo ist der edle Antonius?«
»Er hat sich noch nicht erhoben, Majestät«, sagte Mardian.
»Es ist bereits Mittagszeit.«
»Er hat in der letzten Nacht mit einigen der Soldaten getrunken.«
Kleopatra schüttelte den Kopf. »Ein vorbildlicher Feldherr!«
Mardian senkte die Stimme. »Es ist noch nicht zu spät zur Umkehr, Majestät.«
»Doch, Mardian, das ist es. Es ist viel zu spät.«
»... Als Römer und Beherrscher des größten und besten Teiles der Welt von einer Ägypterin - von einer Frau -unterdrückt zu werden, ist unser und unserer Väter nicht würdig. Sollen wir uns von Fremden schmähen lassen? Von Alexandrinern, die sich von einer Frau beherrschen lassen? Müssen wir nicht hadern, wenn römische Soldaten dieser Frau als Leibwache dienen? Müssen wir nicht aufstöhnen, wenn ihr römische Generäle und Senatoren schmeicheln? Möchten wir nicht weinen, wenn ein römischer Konsul und Imperator seine Kinder als Sonne und Mond bezeichnet, sich den Titel >Dionysos< verleiht und römische Länder verschenkt, als wären sie sein eigen?«