Aus dem Brucheionpalast blitzten ihnen Lichter entgegen. Dort war sie geboren worden, und dort hatte sie, bis auf das vergangene Jahr, ihr Leben verbracht. Jetzt erschien er ihr so kalt und bedrohlich wie eine feindliche Festung.
Der Teppich wurde hervorgeholt und auf Deck ausgerollt. Es war einer der schönsten, den Kleopatra je gesehen hatte, ein Geschenk, das eines Kaisers würdig war, nicht eines römischen Magistrats. Gewebt in Kappadokien, aus feinster Wolle, mit dem satten Scharlachrot und Blau aus den Farben von Tyrus. »Ihr müßt Euch auf den Teppich legen«, sagte Apollodoros. Kleopatra holte tief Luft. Nun, dachte sie, immerhin haben nur wenige Menschen auf der Welt das Privileg, bei lebendigem Leib mumifiziert zu werden. Sie spürte die Blicke der Seeleute auf sich. Ob sie wirklich damit durchkommen würde? »Beeilt Euch«, drängte Apollodoros.
Sich innerlich wappnend, legte sie sich auf den Teppich und kreuzte die Arme über der Brust. Noch ehe sie ein Zeichen geben konnte, waren bereits drei der Männer vorgesprungen und rollten sie ein. Erschöpft und schwach, wie sie sich nach der Seekrankheit fühlte, war das Gefühl, um die eigene Achse gedreht zu werden, schier unerträglich. Sie fing an zu schreien, doch alles, was sie hervorbrachte, wurde von dem dicken Teppich gedämpft.
Dann war es vollbracht. Sie war verschnürt, unfähig, auch nur eine Hand zu rühren. Sie stemmte sich gegen die Panikwelle, die sich ihrer bemächtigen wollte.
Es ist, als läge ich lebendig begraben, dachte sie. Der Geruch von Wolle und Staub legte sich ihr auf die Lunge.
Ich ersticke, ging es ihr durch den Kopf. Sie fühlte, wie sie hochgehoben und in das kleine Beiboot gelassen wurde. Wieder spürte sie das Auf und Ab der Wellen und bekämpfte die Übelkeit, die erneut in ihr hochstieg. Wenn du dich hier erbrichst, sagte sie sich, würdest du in der Tat sterben. Das konnte nicht der glorreiche Tod sein, den die Götter für sie vorgesehen hatten.
»Nur Mut, Majestät«, hörte sie die gedämpfte Stimme des Sizilianers. »Ich werde dafür sorgen, daß Ihr vor den großen Römer kommt.«
Sie konnte den eigenen Herzschlag vernehmen. Ich bekomme keine Luft! Sie zwang sich zur Ruhe. Atme langsam ein und aus, sonst wirst du ohnmächtig. Sei mutig, Kleopatra.
Es ist bald vorbei. Noch ehe die Sonne aufgeht, bist du entweder tot - oder du stehst vor Caesar.
Undeutlich drangen die Rufe der Fischer aus dem Hafen an ihr Ohr. Dann andere Stimmen, grimmig, der schwerfällige griechische Akzent nicht zu verkennen. Die makedonische Wache. Das Boot stieß gegen einen der Pylone und schrammte die Kaimauer. Apollodoros brüllte eine muntere Begrüßung. Offenbar kannte man ihn.
»Was bringst du da, Sizilianer?« hörte sie einen der Wachen fragen.
»Einen Teppich. Für den jungen König. Kostet mehr Geld, als du je auf einem Haufen sehen wirst, du fetter Esel. Soll ich ihn dir zeigen?«
Das Palaver ging noch eine Weile hin und her, dann merkte Kleopatra, wie sie aus dem Boot gewuchtet wurde. Die ruckartige Bewegung verdrehte ihr die Wirbelsäule, gleich anschließend wurde sie nach vorn geklappt.
Danach hievte man sie auf die Schultern der beiden Sklaven, die Apollodoros mit an Land gebracht hatte. Wenige Augenblicke später hörte sie, wie ein massives Eisenportal hinter ihr ins Schloß fiel. Sie waren im Palast.
Gedanken, denen sie zuvor keine Beachtung geschenkt hatte, drängten sich nun mit Macht in ihr Bewußtsein. Was ist, wenn Apollodoros mich verrät? Wie hoch ist der Wert meines Kopfes für einen einfachen Kaufmann? Mardian behauptet zwar, daß er zuverlässig ist, doch letztlich hat jeder seinen Preis. Und weiß ich denn überhaupt, ob ich Mardian trauen kann?
Ein neuerlicher Wortwechsel. Sie waren an einem der nächsten Kontrollpunkte angelangt. Nach dem, was sie mitbekam, handelte es sich nun um römische Wachen, doch was sie sagten, konnte sie nicht verstehen. Der Teppich hing von den Schultern der beiden Sklaven herab, ihre Nase wurde in das Gewebe gepreßt. Sie versuchte, den Kopf ein wenig zur Seite zu drehen, um Luft zu bekommen.
Wie aus weiter Ferne hörte sie das Knarren einer schweren Tür, die aufgeschwungen wurde, dann den Klang von Stimmen und Musik. Kleopatra wurde unsanft auf den Boden fallen gelassen und schlug hart mit dem Kopf. auf. Dann wurde ihr schwarz vor Augen, es gab keine Luft mehr zum Atmen.
»Was ist das?« erkundigte sich Caesar.
»Es ist für meinen Herrn Caesar«, antwortete Apollodoros. »Ein Geschenk der Königin von Ägypten.«
Caesar wandte sich an Decimus Brutus, einen seiner Hauptleute. »Etwas zu groß für einen Kopf, meinst du nicht? Vielleicht hat man uns dieses Mal den kompletten Leichnam geschickt. Ich frage mich, wer es sein könnte. Cicero etwa?«
Decimus legte ihm die Hand auf den Arm. »Seid vorsichtig, Imperator. Es könnte ein Meuchelmörder sein.«
»Dann mach du die Rolle auf.«
Decimus zog das Schwert und befahl Apollodoros und seinen Sklaven zurückzutreten. Er rollte den Teppich mit Fußtritten auf dem Marmorboden aus.
»Caesar!« rief er aus. »Er enthält in der Tat einen Körper.«
Caesars spöttischer Gesichtsausdruck verschwand. Mit einem Blick bedeutete er seiner Leibwache, die Schwerter zu ziehen. Drei von ihnen bauten sich hinter Apollodoros und seinen Sklaven auf.
Die Stille lastete bleiern im Raum. Dann versetzte Decimus Brutus dem Teppich einen letzten Tritt.
»Beim Barte Jupiters«, stieß Caesar hervor.
Kleopatra lag leblos vor ihnen, die Arme zu beiden Seiten herabgesunken. Apollodoros wollte einen Schritt auf sie zumachen, doch Decimus hielt ihn zurück. »Vielleicht verstellt sie sich.«
Apollodoros wirkte jedoch aufrichtig besorgt. »Ich fürchte, sie ist erstickt.«
»Wer ist das?« wollte Decimus wissen.
»Sie ist es, du Narr«, knurrte Caesar. Mit wenigen Schritten war er bei ihr und hatte sich heruntergebeugt. Sie sah so winzig aus wie ein verletztes Vögelchen. Er hob sie hoch, als sei sie eine Feder, und trug sie zu einem Diwan.
Kleopatra brauchte einige Minuten, um wieder zu wissen, wo sie war. Als sie die Augen aufschlug, sah sie zwei muskulöse Beine vor sich, die in schweren Ledergamaschen steckten. Sie hörte, wie eine Männerstimme in lateinischer Sprache sagte: »Sieht ganz süß aus, die Kleine.«
»Was meinst du, Decimus, ist sie wohl freiwillig gekommen, oder hat man sie als Appetithäppchen vorgeschickt? Du kennst diese ägyptischen Halunken. Sie würden die eigene Großmutter verkaufen.«
»Aber zuvor besteigen sie sie noch von hinten«, sagte der andere grinsend, woraufhin beide in schallendes Gelächter ausbrachen.
»Ich bin wach, meine Herren«, murmelte Kleopatra ebenfalls in lateinischer Sprache. »Und ich erlaube Ihnen nicht, so über meine Familie zu reden.«
Kleopatra hatte nicht vorgehabt, sich so rasch schon zu erkennen zu geben. Doch der, den man Decimus nannte, hatte ihre Worte vernommen und hörte auf zu lachen. Da hielt auch der andere - das mußte Caesar sein - im Lachen inne. Er wirkte allerdings immer noch erheitert. Keine Spur von Schuld oder Verlegenheit. »Habt Ihr verstanden, was wir gesagt haben?«
»Ich bin in Latein ein wenig aus der Übung... aber ich weiß, daß Ihr mit einem Satz nicht nur mein Land, sondern auch meine Großmutter beleidigt habt, und das war immerhin eine syrische Prinzessin, verwandt mit dem König von Parthien.«
»Das war ein schlechter Auftakt«, gab er zu. »Können wir noch einmal von vorn beginnen?«
»Dann aber in Griechisch«, erwiderte sie. »Das ist leichter für mich.« Sie wollte sich aufsetzen, doch um sie herum drehte sich immer noch alles. Seltsam, wo doch ihr Verstand so klar war wie ein Kristallsee.