Die römischen Soldaten an Bord des Ruderbootes hielten die Blicke abgewandt, als sie näher kamen, denn Demütigung und Schande waren für sie schlimmer als der Tod.
Kleopatra wußte, was Antonius vorhatte, doch als sie sah, daß er sie ohne ein Lebewohl verlassen wollte, schmolz etwas in ihr, und sie ging auf ihn zu. In Aktium, als es noch in seiner Macht gestanden hatte, ihr Schicksal zu ändern, war es sie leicht angekommen, zornig zu sein, doch jetzt empfand sie Mitleid mit ihm, wenngleich er sich sein Versagen selbst zuzuschreiben hatte.
Er war der Vater ihrer Kinder - und vollkommen erkalten würde ihr Herz ihm gegenüber nie.
»Marcus!«
Antonius wandte sich um. Der Anblick des Leids auf seinem Gesicht war schwer zu ertragen. »Tu es nicht!« murmelte Kleopatra. »Komm mit mir nach Alexandria.«
»Ich würde dich gefährden.«
»Octavian wird sich jetzt ohnehin an Caesarions Verfolgung machen. Du kannst ihn weder ermutigen noch daran hindern.«
Antonius schüttelte den Kopf. »Ich werde Alexandria nicht mehr wiedersehen.«
Kleopatra legte ihm die Hand auf den Arm. »Es muß nicht so zu Ende gehen.«
»Es ist der einzig ehrenhafte Ausweg.«
Ein guter Römer. Man öffnet sich die Adern oder stürzt sich in sein Schwert.
Er würde ihr fehlen. Trotz seiner Fehler würde Alexandria anders sein ohne ihn. Es war seine Stadt geworden, sie trug seinen Stempel so unauslöschlich wie die Münzen, die man damit geprägt hatte. Was sollte sie Helios und Selene sagen?
»Tu mir noch einen Gefallen«, bat Antonius. »Richte Artavasdes, wenn du in Alexandria bist. Er ist die Ursache all meines Übels. Er und das Schicksal, denn auch die schöne Dame Tyche hat mich zuletzt im Stich gelassen.«
Er stieg über die Strickleiter von der Isis hinab und sprang in das Ruderboot. Kleopatra stand am Heck und sah ihnen nach, wie sie zurück zum Ufer ruderten. Danach sah sie Antonius die verlassene Uferböschung hochsteigen - und dann war er aus ihrem Blickfeld verschwunden.
Alexandria glitzerte am Horizont - schneeweiße prächtige Paläste, die in der Sonne funkelten. Welch ein wohltuender Anblick nach den langen und grauen Monaten in Aktium und der dumpfen Verzweiflung nach der Niederlage!
Kleopatra befahl, die Isis mit Kränzen zu schmücken, die purpurroten Segel von den Salzkrusten zu befreien und eine begeisterte Menge zum Hafen zu schaffen, die ihr am folgenden Morgen zujubeln sollte. Sie müssen Blumen streuen, wenn wir in den Hafen laufen, hatte sie Mardian aufgetragen, es soll aussehen, als hätten wir gesiegt. Wir führen wieder ein Theaterstück auf, Mardian, das Leben ist ja doch nur Schauspielerei. Die Menschen glauben, was sie sehen. Wenn wir uns heimlich bei Nacht in den Hafen schleichen, rebellieren die Ägypter schon am nächsten Morgen, deshalb machen wir ihnen lieber etwas vor - mal sehen, wer es wagt, mich eine Lügnerin zu schimpfen.
Kleopatra traf sich bereits eine Stunde nach ihrer Ankunft im großen Audienzsaal mit ihrem dioiketes und den anderen Ministern. In einem kostbaren langen Kleid aus golddurchwirkter Seide und geschmückt mit einer breiten Halskette aus Karneol und Lapislazuli ließ sie sich auf ihrem Thron nieder. Dort verkündete sie, daß man Octavian in einem Seegefecht vernichtend geschlagen habe, daß sie, Kleopatra, sich in den Wintermonaten in Ägypten aufhalten wolle, um sich den Staatsgeschäften zu widmen, während die Flotte in Pelusium vor Anker läge und Antonius im Westen die Truppen kontrolliere. Sie erkannte die Verwirrung in den Blicken ihrer Minister, denn die Gerüchte über Aktium waren natürlich auch an ihre Ohren gedrungen. Nun, dachte Kleopatra, sollen sie die Wahrheit doch herausknobeln, dann haben sie wenigstens etwas zu tun.
Eine gute Nachricht gab es jedoch, denn ihre Minister teilten ihr mit, daß die Ernte des vergangenen Jahres die ertragreichste gewesen sei, so lange man denken könne, und die Schatzkisten zum Bersten voll seien. Prächtig, dachte Kleopatra, denn das war genau das, was sie jetzt brauchte. Das Projekt, das sie als nächstes vorhatte, war immerhin sehr kostspielig.
Nach der offiziellen Audienz zog sich Kleopatra mit Mardian in ihre Privatgemächer zurück. »Eine überwältigende Vorstellung«, lobte er sie.
Plötzlich glich sie einem jungen Mädchen, dem man ein Kompliment für seine Schönheit gemacht hatte. »Findest du wirklich?« fragte sie und lächelte verschmitzt.
»Selbst ich habe geglaubt, daß wir in Aktium siegreich waren, obwohl ich doch dabei war.«
»Nun, es gehört zu den Vorzügen meiner erhabenen Stellung, daß man mich nicht der Lüge bezichtigen darf. Doch nun erzähle mir, was deine Spitzel über die Stimmung im Volk berichten.«
Wie strahlend sie wirkt! dachte Mardian. Schwierigkeiten saugt sie auf und stärkt sich daran wie andere an der Muttermilch.
»In unserer Abwesenheit hat die übliche Anzahl von Ptolemaiern Anspruch auf den Thron erhoben«, berichtete er. Es war ein Phänomen, denn obgleich Caesar Ptolemaios' Leichnam damals in Rhakotis ausgestellt hatte, tauchten immer wieder neue Prätendenten auf, die vorgaben, Kleopatras verschollener Bruder zu sein, und in Krisensituationen versuchten, Aufstände anzuzetteln.
»Kümmere dich um die, die sich gegen mich erhoben haben, und sag mir, was der Pöbel von alldem hält«
»Die Schiffe, die im Hafen anlegen, bringen natürlich neue Gerüchte in unser Land. Es sind Gerüchte, die von Octavian ausgestreut wurden...« Mardian verstummte.
»Komm schon, Mardian! Sag mir, was es Schlimmes zu berichten gibt.«
»Er behauptet, daß Ihr Eure Truppen im Stich gelassen hättet... wie man es auch nicht anders erwarten könne von einer Ägypterin und von einer... «
»... einer Frau«, beendete Kleopatra den Satz für ihn.
»Des weiteren erzählt man sich, daß Antonius, von Leidenschaft verblendet, seine Männer allein kämpfen ließ, um Euch zu folgen. Octavian feiert seinen Erfolg als Sieg römischer Tugend über den orientalischen Sittenverfall.«
Kleopatra schwieg. Octavian hatte wie immer sein Geschick bewiesen, sich wie ein Holzwurm durch die Wahrheit zu nagen und das Ergebnis zu seinen Gunsten zu verdrehen. Was er als glorreichen Sieg auf dem Meer darstellte, war keine kriegerische Schlacht, sondern lediglich ein Fesselungsangriff gewesen. Sie hatten aus Aktium fliehen wollen, und Agrippa hatte es nicht zu verhindern gewußt. Nur vierzig ihrer Schiffe waren gesunken, und die anderen hatten sich erst ergeben, als Sosius und seine Offiziere entdeckten, daß Antonius sie verlassen hatte. Mehr als ein Viertel der Flotte hatte sich bis Taenarus durchschlagen können, und das war beileibe kein schlechter Erfolg.
Octavians Leistung hingegen hatte sich wie immer fernab von dem Schlachtfeld abgespielt - als es ihm gelungen war, Canidius' Soldaten mit Gold und Land zu bestechen. Erst danach war Antonius besiegt gewesen. Dieser elende Schurke Octavian, dachte Kleopatra, er kennt den Wert einer Lüge genauso gut wie ich.
»Gibt es auch Nachrichten über Octavian?« fragte sie.
»Er befindet sich in Athen, Majestät, und beschäftigt sich mit seinen eigenen Problemen, denn seine Veteranen sind zurück in Italien und meutern, weil die versprochenen Gelder und Ländereien ausgeblieben sind. Wie es heißt, ist er im Begriff, die Segel zu setzen, um zu Hause nach dem Rechten zu sehen.«
»Aber es ist doch schon fast Winter!«
»Die Lage in Italien ist zu brenzlig - er muß die Stürme riskieren.«
»Vielleicht ist das unsere Rettung.«
»Vielleicht«, erwiderte Mardian, doch insgeheim glaubte er es nicht. Octavian war bereits zweimal in seinem Leben gestrandet und hatte es überlebt. Wenn man ihn fragte, hatte Neptun sich weder Pompejus noch Sextus als Sohn auserwählt, sondern diesen widerwärtigen Octavian.
»Er hat seinen Erfolg immer nur auf Versprechungen gebaut«, hörte er Kleopatra sagen. »Wenn er sie jemals einlösen will, muß er sich an unserem Geld vergreifen. Seine derzeitigen Probleme verschlimmern unsere Lage nur.«