»Wir können zumindest ein wenig Zeit herausschinden.«
»Das stimmt. Außerdem gebe ich mich noch längst nicht geschlagen - ich habe nämlich einen Plan.«
Sie läßt sich einfach nicht unterkriegen, dachte Mardian. »Und wie lautet dieser Plan?«
»Wir können es uns nicht leisten, hier tatenlos auf ihn zu warten. Wie du schon sagtest, hat das Schicksal uns Zeit gewährt. Wir werden sie sorgsam nutzen.«
»Um uns Octavian zu widersetzen?«
»Wie denn? Wir haben nicht die Armee, um uns zu widersetzen. Ohne Antonius können wir noch nicht einmal mehr den Legionen vertrauen, die er bei uns zurückgelassen hat. Nein, Alexandria ist für uns verloren, doch Alexandria ist ja auch nicht die ganze Welt.«
Mardian war sprachlos. Was sagte sie da? Alexandria nicht die ganze Welt? Alexandria war sogar der Mittelpunkt der ganzen Welt!
»Doch als erstes widmen wir uns unserem lieben Artavasdes. Ich werde nicht erlauben, daß ihm Octavian wieder zu seinem Thron verhilft, zumal ich Antonius versprochen habe, daß er stirbt. Ich will, daß man ihn enthauptet und seinen Kopf nach Medien bringt.«
»Und warum das?«
»Der König von Medien ist Armeniens Feind und wird sich über unser Geschenk freuen. Gleichzeitig werden wir ihm abermals die Verbindung zwischen Helios und seiner Tochter antragen. Mit seiner Hilfe bleibt wenigstens einer meiner Söhne vor dem Untergang bewahrt.«
»Und was wird mit uns anderen, Majestät?«
»Wir gehen ins Exil! Mach nicht so ein verzweifeltes Gesicht. Das haben wir doch auch schon getan, als sich Pothinos gegen uns verschwor. Wir werden es gewiß noch ein zweites Mal überleben.«
»Damals war ich jünger als heute.«
»Du darfst zurückbleiben, wenn du willst, denn dein Leben ist nicht in Gefahr.«
Mardian schoß die Röte ins Gesicht. »Ich habe Euch mein Leben lang gedient, Majestät«, wehrte er entrüstet ab. »Dergleichen käme nie in Frage.«
Auf Kleopatras Gesicht erschien der Anflug eines Lächelns. »Es beglückt mich, das zu hören, Mardian. Für einen Moment befürchtete ich schon, du würdest mich verlassen.«
»Wir werden uns aber nicht wieder in die Wüste begeben, oder?«
»Nein, denn ich bin auch nicht mehr so jung wie früher. Ich habe an Indien gedacht... oder vielleicht sogar an Parthien.«
»Parthien? Dort leben Eure Feinde!«
»Feinde hat man zu gewissen Zeiten, Mardian, doch sie ändern sich. Für mich mag alles vorbei sein, doch für Selene gilt das nicht. Sie könnte einen parthischen Prinzen heiraten und später mit Hilfe ihres Mannes den ägyptischen Thron zurückerobern. Ich könnte mir vorstellen, daß dieser Vorschlag den Parthern gefällt, zumal ihnen die Unterstützung von Selenes Bruder in Medien gewiß wäre.«
»Indien und Parthien sind von Ägypten weit entfernt.«
»Wir besitzen noch immer die Flotte.«
»Die uns bei dieser Reise wenig nutzt.«
»Du hast deine Geschichtslektionen vergessen, Mardian.«
Er starrte sie verständnislos an.
»Vor etwa fünfhundert Jahren hat der Perserkönig Darius Ägypten erobert. Er hat einen Kanal zwischen dem Roten Meer und dem Nil gebaut, der natürlich längst versandet ist, doch ich glaube, daß man ihn finden und wiederherstellen kann. Wir bergen unsere Flotte am Roten Meer und können später von dort aus flüchten.«
»Ein gewaltiges Unterfangen, das unsere Gelder erschöpfen wird.«
»Was soll ich denn statt dessen mit den Geldern anfangen? Sie gleich Octavian übergeben?«
Mardian war zutiefst beeindruckt. Selbst Alexander hätte solcher Kühnheit Beifall bekundet. »Ich werde sofort den Ministerrat einberufen«, sagte er. »Wir werden uns gleich an die Arbeit machen.«
»Mardian - du weißt, was mit mir geschieht, wenn Octavian mich lebend faßt?«
Mardian nickte. Er hatte Arsinoe damals in Caesars Triumphzug erlebt, die sich an ihren Ketten durch das Forum Romanum schleppte. Doch ihr hatte man, wenn auch widerwillig, Achtung gezollt, wohingegen Kleopatra mit reinem Haß zu rechnen hätte. Der Pöbel würde sie mit Unrat bewerfen und verhöhnen, und am Ende des Triumphzuges würde sie erwürgt und in die römische Kloake geworfen. »Ja, das weiß ich«, entgegnete er bekümmert.
»Ich werde das nie zulassen«, sagte Kleopatra.
Caesarion war inzwischen kein Junge mehr, sondern mit seinen sechzehn Jahren beinahe schon ein Mann. Er war einen Kopf größer als Kleopatra und glich seinem Vater auf derart gespenstische Weise, daß niemand, der Caesar gekannt hatte, an seiner Abstammung gezweifelt hätte.
Doch der Ausdruck auf Caesarions Gesicht hatte nichts mit dem Caesars gemein, denn in seinen Augen glomm weder dessen Intelligenz, noch spielte um seinen Mund ein ähnlich spöttisches Lächeln. Kleopatra verspürte Schuldgefühle angesichts seiner mürrischen, dumpfen Natur, denn sie wußte, daß sie ihn gleichsam verwöhnt und überfordert hatte. Natürlich hatte ihm auch die strenge Hand des Vaters gefehlt, an deren Stelle die Schmeichler und Eunuchen der Hofgesellschaft getreten waren. An diesem Morgen hatte sie Caesarion mit seinem Lehrer Rhodon zu sich in ihre Privatgemächer gebeten. Kleopatra schauderte trotz des Sandelholzes, das in den Becken glühte, denn sie wußte, daß dies der letzte Winter sein würde, den sie hier verbrachte.
»Wir müssen Alexandria verlassen«, sagte sie.
Caesarions Lippen verzogen sich verächtlich. »Dann stimmt es also doch - du hast verloren, und Antonius hat sich als Feigling herausgestellt.«
Kleopatra fühlte, wie heißer Zorn in ihr aufstieg. Sie hatte den Jungen aus Griechenland zurückgesandt, um ihm die Kämpfe zu ersparen, doch vielleicht wäre es besser gewesen, wenn sie ihn bei sich behalten und er eine Lektion gelernt hätte. »Wenn du einmal so viele Schlachten geschlagen hast wie der edle Antonius, gestatte ich dir, ihn zu beurteilen. Bis dahin behältst du deine Meinung bitte für dich.«
»Man hat mir erzählt, daß er während des Sommers in Aktium nicht ein einziges Mal nüchtern war.«
Er ist wirklich ein niederträchtiger Junge, dachte Kleopatra. »Du hast nur Fehler gemacht«, hörte sie ihn sagen.
Rhodon sah aus, als würden ihm vor Entsetzen gleich die Sinne schwinden. Er wich zurück, als Kleopatra sich erhob, wohingegen Caesarion sie weiterhin trotzig anstarrte. »Verlasse diesen Raum!« sagte Kleopatra bebend vor Wut.
Nachdem sich beide entfernt hatten, lehnte sie sich ans Fenster und schaute hinaus, bis sie sich wieder beruhigt hatte. Wieviel sie für Caesarion geopfert hatte - und nun sah ihr die Zukunft wie ein Spottbild entgegen.
Kleopatra hatte in den Werften des Roten Meeres den Bau neuer Schiffe in Auftrag gegeben, während der Rest ihrer Flotte
- bis auf die Isis und die geretteten »Sechser«, die im Königlichen Hafen ankerten - auf riesigen Holzgestellen und Rollen bei Pelusium an Land gezogen wurde.
Mardian wollte noch immer nicht an das Gelingen des großen Vorhabens glauben, denn die Landenge zwischen dem Mittelmeer und dem Roten Meer war an der schmalsten Stelle einhundertundsechzig Stadien breit. Ein Heer von fellahin war nötig, um das Kanalsystem freizulegen, und was man von ihnen verlangte, war eine übermenschliche Leistung.
Kleopatras oikonomoi klagten, daß der ägyptische Staatsschatz nicht ausreichte, um alles zu bezahlen, woraufhin Kleopatra neue Steuern erhob, um ihre Pläne zu finanzieren.
Als der Nil anschwoll, war es endlich soweit. Die Schiffe wurden über die ersten instandgesetzten Kanäle bis in die Seen von Ballah und Timsah gesegelt.
Danach erreichte die Flotte die Bitterseen, den Ort, an dem die Verfolger Moses' von der Meeresflut erfaßt worden waren. Inzwischen waren die Seen jedoch zu einem großen Teil verlandet, so daß die fellahin gezwungen waren, die Schiffe durch übelriechendes, schlangenverseuchtes Sumpfgebiet zu ziehen.