Antonius hatte denselben Raum für seine Lagebesprechungen ausgewählt wie vor ihm schon Caesar. Er hielt einen letzten Kriegsrat ab. Bei ihm befanden sich Canidius und eine kleine Anzahl von treu gebliebenen Offizieren sowie Kleopatras phönizische Admiräle, der Befehlshaber ihrer ägyptischen Truppen und ihr Hauptmann der Wache.
Antonius war in voller Rüstung und hatte sich wieder in einen Römer zurückverwandelt.
»Edler Antonius«, sagte Kleopatra, als sie den Raum betrat. Antonius grinste sie an.
»Ich habe nicht erwartet, dich hier zu finden.«
»Hast du gedacht, das Vergnügen sei mir wichtiger als die Schlacht?«
»Ich weiß nicht, was ich gedacht habe.« Kleopatra trat an den Kartentisch. Das ist ein anderer Antonius als der, der dem Kriegsrat in Aktium vorgestanden hat, dachte sie. Damals war er kraftlos und vom Trunk zerrüttet, doch jetzt wirkt er strahlend und zuversichtlich, und die anderen stehen in seinem Bann. Wenn er doch nur früher zu sich zurückgefunden hätte!
Antonius deutete auf die Karte, zeigte ihnen die Positionen von Octavians Truppen und erklärte, wo sich ihre eigenen Verteidigungslinien befanden. »Wir besitzen immer noch vier Legionen«, sagte er, »die ägyptischen Truppen und die nubische Garde. Im Hafen liegen die großen Kriegsschiffe, die die Schlacht von Aktium überstanden haben - es ist nach wie vor eine mächtige Flotte.«
Octavian hatte, entweder aufgrund zu großen Selbstvertrauens oder ausnahmsweise einmal durch übergroße Hast, nur sieben Legionen mitgeführt sowie eine kleine Flotte aus Zweiruderern und Liburnen.
»Unsere Armee ist ausgeruht, satt und gut besoldet«, fuhr Antonius fort, »wogegen die seine müde und durstig ist und schon seit Monaten, wenn nicht Jahren, kein Geld mehr gesehen hat. Zudem fehlt ihnen dieses Mal Agrippa, deshalb sind die Fronten womöglich ausgeglichener als erwartet.
Octavians Vorhut ist gestern in Kanopos gesichtet worden, das heißt etwa hundert Stadien von unserem Standpunkt entfernt. Ich habe unsere Legionen vor das Sonnentor gezogen, um den Angriff aus dem Osten abzuwehren. Die Reiterei wird von mir angeführt. Canidius nimmt das Heer und Publicola befehligt die Flotte.«
»Glaubst du, daß wir gewinnen können?« fragte Kleopatra.
»Wir können das Blatt zumindest wenden. Wenn Octavian jetzt eine Niederlage erfährt, kann ich den Befehlshaber der Truppen von Kyrenaika vielleicht noch einmal zum Nachdenken bringen. Wenn er auf unsere Seite wechselt, wird in den anderen Provinzen Unruhe entstehen. Octavians neue asiatische Verbündete werden ihn nur so lange unterstützen, wie sie glauben, daß er gewinnt. Die Lage ist keineswegs aussichtslos.«
Kleopatra schaute Canidius an. Er wirkte zuversichtlich.
»Dann also - vorwärts!« sagte sie.
Spät in der Nacht kam Antonius in ihr Gemach. Er stand zuerst unentschlossen im Türrahmen, immer noch in seiner Rüstung - kein junger Mann mehr, sondern ein vom Leben gezeichneter. Doch auf seine Art war er immer noch derselbe Mann wie früher - Antonius, der Unnachahmliche.
»Mein Gemahl.«
Er lächelte.
»Warum bist du gekommen?«
»Weil du meine Gemahlin bist.«
»Wir haben Kinder, Antonius. Es scheint mir in unserer Lage nicht ratsam, weitere zu zeugen.«
»Das ist jetzt alles ohne Bedeutung«, sagte er und legte seinen Helm auf den großen Zederntisch. Das Licht der Lampen schimmerte auf seinem Brustschild. Von draußen drangen die Laute des Lochias-Palastes und das leise Klatschen der Wellen im Hafen herein. Man sah den Schein des Leuchtturms, der über die Fensteröffnungen glitt.
»Es tut mir leid«, sagte Antonius.
»Was tut dir leid?«
»Alles.« Er zerrte ungeschickt an den Laschen, an denen sein Brustschild befestigt war. »Hilfst du mir bitte?« flüsterte er schließlich.
Kleopatra erhob sich und half ihm aus der schweren Rüstung. Er nahm sie in die Arme und küßte sie. Dann zerrte er ihr die Seidentunika so ungeduldig von den Schultern, daß der kostbare Stoff zerriß. Ich habe ein Vermögen dafür ausgegeben, dachte Kleopatra, doch er hat recht, das ist jetzt alles ohne Bedeutung. Es zählt nur noch dieser Augenblick.
Sie wollte sich seinem Ansturm ergeben, doch er trug sie auf ihr Lager, ließ sich neben ihr nieder, barg sein Gesicht an ihrem Hals und blieb lange Zeit still umschlungen mit ihr liegen. Danach küßte er sie wieder und liebkoste sie sanft und hingebungsvoll.
»Du hast mir gefehlt«, murmelte er.
»Dir fehlt niemand.«
»Du irrst dich.«
Als er in sie eindrang, stieß sie einen Schrei aus. Das hat mir gefehlt, dachte sie, die Liebe eines Mannes. Es ist das erste Mal, daß ein Mann nichts anderes von mir will als nur mich selbst, denn ich habe nichts weiter zu geben. Und auch ich erwarte nur noch diesen Trost, denn eine andere Rettung gibt es nicht mehr.
Später hätte sie nicht zu sagen vermocht, wie lange sie sich geliebt hatten, denn ihr Gefühl für die Zeit war erloschen. Sie hielt ihn im Arm und spürte den heftigen Pulsschlag an seiner Kehle. Ein Schweißrinnsal bahnte sich den Weg zwischen ihren Brüsten hindurch.
»Hast du mich je mehr geliebt als Julius?« flüsterte er.
Sie gab ihm keine Antwort, und er wiederholte die Frage nicht mehr. Sie lauschten beide auf den Rhythmus des Meeres. Jetzt war alles getan - alles vergeben.
TEIL VIII
Fortuna freut sich ihres grausamen Geschäfts, und ohne Rücksicht spielt ihr Spiel sie beharrlich, tauscht unbeständige Ehren, bald mir, bald einem anderen gnädig.
Horaz Oden XXX
1
DER ERSTE TAG DES ÄGYPTISCHEN MONATS MESORE
Kleopatra starrte zum großen Leuchtturm hinüber, zu dem Feuer mit dem Spiegelschild aus glänzender Bronze. Heute -wie an jedem Tag - würde ein Sklave in dicker Lederrüstung die Schiene unter dem Spiegelschild drehen, so daß das Feuer weithin zu sehen war.
Der Leuchtturm war seit ihrer Kindheit ein fester Bestandteil ihres Lebens - wie schwer es war, von ihm Abschied zu nehmen!
Antonius' Truppen hatten an diesem Tag erste Scharmützel ausgefochten, wobei es der Reiterei gelungen war, Octavians Vorhut zu verjagen, als diese auf der Pferderennbahn ein Lager errichten wollte. Der entscheidende Kampf würde jedoch erst am folgenden Tag stattfinden.
Kleopatra hörte das Gekreische und Gelächter von dem Gelage, das im Palast stattfand. Wenn es denn seine letzte Nacht auf Erden wäre, hatte Antonius gesagt, wolle er dafür sorgen, daß sie seinen Freunden in bester Erinnerung bliebe.
Kleopatra störte das Getöse nicht. Sie hätte ohnehin nicht schlafen können, da im Palast Geister spukten, die über die Marmorböden schlichen und sich aus den seidenen Wandbehängen lösten. Dort am Tisch saß Julius, der seine Erinnerungen an den gallischen Krieg aufschrieb, das vertraute Lächeln spielte um seinen Mund. Hinter ihm standen Ptolemaios, der Caesar unter Tränen bat, ihn nicht aus dem Palast zu jagen, und Arsinoe in weißem Gewand mit hochmütigem schönem Gesicht.
Und schließlich gab es noch Antiochos, der sie mit eingefallenen Wangen anstarrte. Kleopatra schloß die Augen. »Ich hatte keine andere Wahl«, flüsterte sie.
Als Königin und Göttin, dachte sie, bin ich alles auf dieser Welt gewesen, und denen, die mich als grausam erachten,
kann ich Gnadenakte und Wohltaten entgegenhalten. Alle Mächtigen der Welt laden Schuld auf sich, denn in Königen muß neben Demut und Milde auch kriegerische Stärke wohnen.
Was wird man wohl nach meinem Tod über mich sagen? Octavian wird mich als Hure bezeichnen, obgleich ich nur zwei Bettgefährten hatte und die Hälfte meines Lebens keusch gewesen bin. Er wird mich mit seinen Lügengeschichten zum Ungeheuer und zur Verführerin machen und nie erwähnen, daß ich der Pflicht gehorchte.