Ich bin nicht von Natur aus grausam, und ich traf Entscheidungen, die mich schaudern ließen. Aber wiegt denn der Mord an Geschwistern schwerer als der Kriegstod von Soldaten? Ptolemaios und Arsinoe hatten sich gegen mich erhoben - aber wir waren ohnehin nie wie gewöhnliche Geschwister zueinander.
Auch der Tod von Antiochos ließ sich nicht vermeiden, denn aus schwächlichen Kindern können bleiche Finsterlinge werden, wie unser Freund Octavian beweist. Wenn ich Olympos auftrug, Antiochos zu vergiften, dann nur, um meinem Land späteres Blutvergießen zu ersparen.
Fulvias Tod war ein politischer Schritt, und zudem war niemand da, der sie beklagte.
Alles, was ich tat, tat ich zum Wohl Ägyptens. Mein Leben lag offen zutage, meine Entscheidungen konnten bezeugt, verurteilt und von meinen Feinden verspottet werden. Dem Pöbel habe ich eine göttliche Maske gezeigt, hinter der ich mich selbst oft nicht wiedererkannte - doch bei meinen Kindern war ich ganz Mutter. Ich gab ihnen all meine Liebe.
Die Rolle der Aphrodite mußte ich spielen, wenngleich ich die Männer nicht übermäßig schätzte, denn ich begegnete ihnen selten als Frau. Statt dessen habe ich mich dem Ehrgeiz hingegeben - mein Land kam an erster Stelle, vor jedem Mann.
Auch vor Julius. Unsere Verbindung war uns beiden dienlich -obwohl, ihn habe ich vielleicht doch geliebt. Er hat meinen Körper erweckt, und für den ersten Mann hegt eine Frau oft zärtliche Gefühle.
Antonius? Es war notwendig, ihn zu lieben, und am Anfang hat es mir Spaß gemacht. Wir haben uns wie Götter vergnügt und waren auf verspielte Weise glücklich. Wir dachten, wir würden ewig leben, und haben die Zeit genossen - doch jetzt, wo das Ende naht, bestehen auch wir nur aus Fleisch und Blut und sterben wie alle Menschen.
Kleopatra stand auf der Terrasse des Palastes und schaute zu, wie Antonius von den Kindern Abschied nahm. Selene hatte sich wie eine Ertrinkende an seinen Hals geklammert. Helios versuchte tapfer zu sein und stand stramm wie ein Soldat, doch über seine Wangen liefen Tränen. Es war unwahrscheinlich, daß er so bald eine medische Prinzessin heiraten würde, denn nach dem Überfall der Nabatäer und dem Verlust Syriens war es zu gefährlich geworden, ihn durch diese Gegenden reisen zu lassen.
Antonius hob Philadelphos hoch und küßte ihn. Der Junge war zu klein, um die Bedeutung des Augenblicks zu verstehen, doch er weinte, weil seine Geschwister weinten. Antonius lachte sie alle aus und tat ihre Tränen als Unfug ab. Vielleicht, dachte Kleopatra, glaubt er selbst nicht daran, daß das das Ende ist.
Antyllus stand ein wenig abseits von den anderen und schaute so unglücklich zu Boden, daß er Kleopatra dauerte.
Kleopatras Blick wanderte nach Osten über das Sonnentor hinweg zu den ausgedörrten Feldern jenseits der Pferderennbahn, wo man Staub aufwirbeln sah. Octavians Truppen sammelten sich zum Angriff. Nur noch wenige Stunden, und ihr Schicksal würde sich offenbaren. Doch ihr Entschluß stand fest: Was immer auch geschähe - sie würde Isis bleiben, die Göttin und Königin von Ägypten, im Leben wie im Tod.
2
Über die Stadt hatte sich Totenstille gelegt. Die Werften und Märkte waren leer, nicht ein Fuhrwerk rumpelte durch die Gassen, selbst die Palastgärten lagen wie ausgestorben. Kleopatra stand mit Mardian auf der Terrasse. Sie schauten zu, wie ihre Flotte den Leuchtturm passierte, um Octavians Schiffe abzufangen. Nach außen hin wirkte Kleopatra ruhig, doch ihr Herz hatte sich so furchtsam zusammengezogen, daß es sie schmerzte.
Gleich würde die Schlacht beginnen. Als sich die beiden Flotten näherten, holte sie tief Luft und wartete auf die Steingeschosse und Feuerkugeln, die durch den Himmel schießen würden... doch als die Schiffe die offenen Gewässer erreicht hatte, drehte Publicolas Vorhut den Angreifern die Breitseite zu und hob die Ruder zum Zeichen der Freundschaft.
Kleopatras Kehle entrang sich ein Stöhnen.
Kurze Zeit später steuerte Octavians Flotte den Hafen an.
Es war vorbei.
Sie wandte sich zu Mardian. »Laß uns einen Spaziergang in der Sonne machen«, sagte sie.
Antonius sprang von seinem Pferd und stürmte in das Zelt, das als sein Hauptquartier errichtet worden war. Er riß sich den Helm ab und schleuderte ihn zu Boden. Er hatte von den Göttern nicht mehr verlangt als den Heldentod, doch selbst der war ihm verwehrt geblieben. Vor wenigen Augenblicken war seine Reiterei desertiert und hatte ihn auf dem Schlachtfeld stehenlassen. Bei diesem Anblick hatten auch die Fußsoldaten kehrtgemacht und waren zurück in die Stadt geflohen.
Verräter! Treulose Mistkerle! Banditen!
Eros kam herbeigelaufen und löste die Gurte des Brustpanzers, an denen Antonius in ohnmächtiger Wut zerrte. Antonius warf den Panzer zu dem Helm und bearbeitete beides mit Fußtritten. Danach ergriff er den Kartentisch, kippte ihn auf die Seite und zertrampelte die heruntergefallenen Karten und Pläne.
»Nutzlose Kameltreiber, Abschaum der Menschheit!« brüllte er.
Eros stand zitternd hinter ihm.
Antonius wandte sich um, zog sein Schwert und hielt es ihm hin.
»Tu es!«
»Mein Herr... «
»... es ist zu Ende - aus - vorbei! Verstehst du? Tu es!« Er entblößte seine Brust. »Stoß zu!«
»Das kann ich nicht...«, stammelte Eros.
»Du mußt es! Es ist deine Pflicht!«
Eros starrte mit weit aufgerissenen Augen zuerst auf das Schwert und dann auf Antonius. Er ist nur ein Junge, fuhr es Antonius durch den Sinn, ein dummer Landjunge, der in seinem Leben nichts gelernt hat, außer mir Kleidung und Rüstung anzulegen und mir Wasser zum Waschen zu besorgen.
»Mein Herr, ich liebe Euch«, sagte Eros mit bebender Stimme.
»Tu es einfach!«
Eros sah aus, als würde er jeden Moment in Tränen ausbrechen. Er nahm das Schwert, wobei ihm die Hände so stark zitterten, daß Antonius befürchtete, er würde es fallen lassen. Dann drehte er es herum, stemmte den Griff auf dem Boden auf und stürzte sich in die Klinge.
Antonius schaute auf die gekrümmte Gestalt, die wimmernd und blutend vor ihm lag. »Du Bastard!« knurrte er.
Er versuchte, das Schwert freizubekommen, doch es steckte zu tief in dem Leib des Jungen. Wutschnaubend schlug er die Waffentruhe auf und zog ein neues Schwert aus der Scheide. Er schaute zu Eros hin. Es war noch Leben in dem Jungen, doch einen schönen Anblick bot er nicht. Braver Bursche, dachte Antonius, doch mit deinem Treuebeweis hast du mir keinen Gefallen getan, denn du zeigst mir nur das Grauen des Todes.
Er breitete seinen Umhang auf dem Boden aus. Will mir die Gedärme nicht schmutzig machen, dachte er und fing haltlos an zu lachen. Er setzte die Schwertspitze unterhalb der Rippen an, so daß sich der Stoß im Fallen nach oben richten würde. Hoffentlich gelingt es mir besser als Eros, dachte er, als er den Jungen röcheln hörte.
Antonius hielt inne. Die Zeit verstrich. Er blickte zu Eros. Dessen Augen waren leblos geworden - er erinnerte Antonius an einen toten Fisch.
Bei den Göttern, dachte er, ich hätte gewettet, daß es mir leichter fallen würde.
Zweimal habe ich bereits versagt, ging es ihm durch den Kopf. Zuerst bei Aktium, als ich von meinem Flaggschiff sprang. Ich habe mir eingeredet, es sei nur vernünftig, weil ich die Armee weiter führen müsse, doch in meinem Herzen wußte ich, daß mir der Mannesmut fehlte.
Danach Praetonion, wo die Ehre meinen Tod erforderlich machte. Wie oft habe ich dort mit dem Schwert am Strand gesessen, nur um immer wieder davor zurückzuschrecken.
Mir ist das Leben zu lieb geworden, bin zu wenig Soldat und zu sehr Gott - und doch nicht unsterblich. , Antonius spürte, wie ihm die Schwertspitze die Haut ritzte und ihm ein Blutrinnsal über den Bauch sickerte. Dionysos hatte ihm das Elysium versprochen, doch was, wenn dieses Versprechen nur Trug gewesen war?
Tu es, Antonius! Tu es jetzt!