Octavian betrachtete ihn wohlwollend. Plancus war eine Ratte - aber er war seine Ratte. »Und was schwebt dir dabei vor?«
»Augustus«, entgegnete Plancus.
Augustus - der Erhabene. Das klang durchaus nicht übel. Es beinhaltete eine gewisse Heiligkeit, an der die Republikaner, die in Rom immer noch Einfluß hatten, keinen direkten Anstoß nehmen konnten.
»Imperator Caesar Augustus«, murmelte Octavian vor sich hin.
»Und wie Euer Vater den Monat seiner Geburt nach sich benennen ließ, schlage ich vor, daß der Monat Eures Sieges in Alexandria Euren Namen erhält - als Monat Augustus.«
»Das hast du gut gemacht, Plancus. Wir werden deine Vorschläge dem römischen Senat vorlegen.«
»Jetzt müssen wir nur noch warten, bis Kleopatra das Nötige tut.«
»Darauf werden wir nicht lange warten müssen.«
4
Ende des Monats Mesore, etwa vier Wochen nach Octavians Sieg in Alexandria, erhielt Kleopatra die Erlaubnis, Antonius' Grabstätte im Mausoleum zu besuchen. An dem Morgen erhob sie sich zum ersten Mal von ihrem Lager und erklärte Charmion und Iras, was sie zu tun hätten.
Als erstes mußte Iras ihr das Bad vorbereiten und das Wasser mit wohlriechenden Ölen und Essenzen tränken. Danach wusch ihr Charmion das Haar. Als es trocken war, bürstete sie es lange, flocht es zu Zöpfen und legte es zu der Frisur der Großen Mutter Isis. Danach ließ sich Kleopatra von Charmion schminken. Ihre Stirn wurde mit Kreide weiß gepudert, die Augenbrauen wurden mit Asche aus Spießglanz dunkler gefärbt, die Lippen und die Wangen mit Lackmusflechte gerötet. Anschließend pinselte ihr Charmion Henna auf Hände und Füße und rieb ihr Nacken und Handgelenke mit einem Duftwasser ein, das von Veilchen und schwarzen Hyazinthen stammte.
Als ihr Werk verrichtet war, nahmen die Sklavinnen Körbe auf und begleiteten Kleopatra mit der Leibwache und einem kleinen Gefolge zu dem Mausoleum.
Sie wird es tun, dachte Mardian. Nach der endgültigen Niederlage hatte sich Kleopatra ihrem Leid hingegeben, doch an diesem Morgen wirkte sie ruhig - beinahe heiter. Mardian spürte, wie ihm das Herz schwer wurde, wie sich ein Schmerz in ihm ausbreitete, der nicht mehr weichen wollte.
»Hast du getan, worum ich dich gebeten habe?« fragte Kleopatra Olympos, als sie das Mausoleum betraten.
Die Grabkammer wirkte leer, kühl und dunkel nach dem hellen, warmen Sonnenschein in den Gärten. Das königliche Vermögen war verschwunden und befand sich in Octavians Besitz. »Ich habe alles so gemacht, wie Ihr es befohlen habt«, antwortete Olympos. Kleopatras Leibarzt hatte sich als einfacher Sklave verkleidet. Ein sehr alter und nutzloser Sklave, wie Mardian fand, doch zumindest war er dadurch den Wachen nicht aufgefallen.
»Ich danke dir, Olympos«, hörte er Kleopatra sagen. »Nun bitte ich Euch alle, mich zu verlassen. Alle, bis auf Charmion und Iras.«
Olympos sah aus, als wollte er widersprechen, doch dann schien er seine Worte herunterzuschlucken und folgte den anderen Sklaven nach draußen.
Kleopatra wandte sich zu Mardian um. »Du auch, Mardian.«
»Aber Majestät... «
»Geh!« Ihre Miene verriet, daß sie keinen Widerspruch duldete, die dunklen Augen funkelten, und das Kinn war gebieterisch hochgereckt.
Was denkt sie, und was fühlt sie? fragte sich Mardian und spürte, wie ihn der Kummer übermannte. »Majestät, ich möchte nicht mehr leben. Laßt mich hierbleiben...«
»O nein, das werde ich nicht gestatten. Du hast mir treu gedient, und ich danke dir dafür - doch jetzt ziehe dich in deinen Palast zurück, und genieße den Herbst deines Lebens.«
Es hatte Zeiten gegeben, in denen er sich nichts sehnlicher gewünscht hatte als dies. Wie ein Händler hatte er dann die Tage gezählt und in Gedanken seinen Lebensabend ausgeschmückt.
Inzwischen aber hatten die verbleibenden Lebenstage für ihn an Bedeutung verloren. »Majestät, ich habe Eure Gnade und Eure Weisheit genossen, Eure Launen und Beleidigungen erduldet, und eins wie das andere ist mir wie Trank und Speise geworden. Jetzt bitte ich Euch: Laßt mich mit Euch sterben.«
»Nein, Mardian. Geh!«
Er wollte ihr sagen, daß sein Geist mit ihr erlösche, doch sie hatte Schwäche nie ertragen. Gewiß würde sie ihn geringer achten, wenn er nun weinerlich würde. Er wandte sich ab, um zu gehen.
»Es tut mir leid«, hörte er Kleopatra sagen, »was mit deinem Schwager geschehen ist.«
Mardian nickte und schleppte sich durch das Portal nach draußen. Es war ein strahlender, heißer Sommertag, an dem der Wüstenwind Sand in die Stadt wehte. Mardian befürchtete zu ersticken, und seine Augen waren blind vor Tränen.
Die Wachen schlossen das schwere Portal, und Kleopatra war mit Charmion und Iras allein. Möglicherweise würde man die Wachen hernach auspeitschen, weil sie sie allein gelassen hatten, doch andererseits war Kleopatra davon überzeugt, daß Octavian ihren Plan kannte. Sie spielten eine weitere Scharade, ein letztes Theaterstück.
Antonius, dachte Kleopatra. Wie schwer ihm das Sterben gefallen war! Sein Blut war zu dunklen Flecken geronnen, und unter dem Fenster befand sich noch der Abdruck einer blutigen Hand.
In der Grabstätte brannten vier Fackeln an eisernen Haltern in der Wand. Kleopatra legte Blumen und Weihrauch auf Antonius' Sarkophag, küßte den kalten Stein und sprach ein Gebet. Danach überließ sie sich abermals den kundigen Händen von Charmion und Iras.
Die beiden Sklavinnen entkleideten Kleopatra und färbten ihr die Brüste mit zerstoßenem Lapislazuli blau. Danach entnahmen sie einem der Körbe ein schimmerndes Gewand aus blauer Seide, ließen es über sie gleiten und banden den Knoten der Isis. Sie befestigten die kostbaren Ohrringe und reichten ihr das goldene Zepter. Anschließend streiften sie ihr die goldenen Schlangenreife über die Arme und setzten ihr das Diadem mit dem hochgereckten Uräus auf - die Schlangenkrone Unterägyptens, das heilige Zeichen der Göttin Isis, Schutztier der jenseitigen Gärten und Sinnbild des ewigen Lebens.
Als die Sklavinnen ihre Verrichtungen beendet hatten, war die Frau und Königin verschwunden. An ihre Stelle war Isis getreten, die Mutter Ägyptens und der Welt. Sie nahm auf dem bereitgestellten Goldthron Platz - vollendet, heiter, entrückt.
Charmion brachte Kleopatra den Korb, den Olympos bei sich getragen hatte, und überreichte ihn ihr liebevoll und sanft. Kleopatra betrachtete ihn lange, ihr Atem schien schneller zu gehen, und über ihre Hände lief ein leichtes Zittern.
Durch die hochgelegene Fensterreihe drangen schmale Lichtstreifen in den Raum, und wie aus weiter Ferne hörte man die Geräusche der Stadt, die ihr gewohntes Leben wieder aufgenommen hatte - die Gesänge der Priester, die Brandung des Meeres.
Kleopatra hob den Deckel des Korbes.
Die Kobra lag zusammengerollt in ihrem Nest, reckte den Kopf träge in die Höhe und starrte Kleopatra mit schwarzen Augen an. Kleopatra versetzte ihr einen Schlag, um sie zu reizen, worauf sich die Halsrippen des Tieres spreizten. Der Kopf stieß vor.
Kleopatra starrte auf die winzigen Male auf ihrer Hand. Es war getan.
Der Kopf stieß noch einmal vor, der Biß traf Kleopatras Arm. Danach schlüpfte das Tier aus dem Korb, glitt zu Boden und wand sich fort. Kleopatra hörte, wie sich der Körper über den Boden schlängelte.
Das Gift wirkte rasch. Zuerst spürte Kleopatra ein Brennen in den Fingern, danach wurde ihr Arm taub und sank an ihr herab. Kurz darauf breitete sich ein Gefühl der Kälte in ihren Gliedern aus, das sich allmählich auf den ganzen Körper ausdehnte. Etwas wie ein eisernes Band schlang sich um ihre Brust und erschwerte ihr das Atmen. Sie unterdrückte einen Anfall von Furcht und zwang sich zur Ruhe.
Kleopatra schloß die Augen und dachte an die größte Liebe ihres Lebens. »Julius«, flüsterte sie. Danach drang ein Rauschen an ihre Ohren, und sie spürte die Nähe der dunklen Schatten, die ihr entgegeneilten.