Sie begriff sogleich, was Caesar beabsichtigt hatte. Das Lager mit einer Königin zu teilen war nicht zuletzt ein politischer Akt, der unbezeugt bedeutungslos blieb. In ihr tauchte der Verdacht auf, daß er Ptolemaios und Pothinos gleich nach dem Wachwerden hierher zitiert hatte. Na gut, wenn sie die Rolle der Hurenkönigin spielen sollte, dann würde sie auch davor nicht zurückschrecken. Sie ließ das Laken von den Schultern gleiten und entblößte die Brüste. Ohne nachzudenken, streckte sie ihrem Bruder die Zunge raus und schnitt ihm eine Fratze. Doch sofort bereute sie es. Eine kindische Reaktion der Schadenfreude, die einer Königin nicht anstand. Doch sie erreichte ihren Zweck. Ptolemaios brach in Tränen aus. Dummer Junge.
»Was macht sie denn hier?« heulte er auf.
Caesars Augenbrauen wanderten abermals in die Höhe. »Wonach sieht es wohl aus?«
Ptolemaios' Gesicht zog sich so schrumpelig zusammen wie eine Weintraube in der Sonne. Er stampfte mit dem Fuß auf. Ach, kleiner Bruder, dachte Kleopatra, wenn du willst, daß Caesar dich ernst nimmt, dann darfst du niemals mit dem Fuß aufstampfen. Du erntest sonst nur Kopfnüsse und einen Tritt in den Allerwertesten.
»Das ist dein Fehler!« brüllte er Pothinos an und rannte aus dem Raum.
In Pothinos' Augen mischten sich Zorn und Verwirrung, als er Caesar ansah, doch als sein Blick zu Kleopatra wanderte, sprühten die Augen Gift. Wie gut, dachte sie, daß Blicke nicht töten können. Dann machte er kehrt und folgte seinem Schützling. Caesar nickte den Soldaten zu, die an der Tür wachten. »Ihnen nach! Bringt den Jungen hierher zurück.«
Dann wandte er sich um und lächelte Kleopatra zu. »Das wird ein wundervoller Morgen«, sagte er und richtete die Augen wieder auf den blauen Hafen und die zarten weißen Wellenkronen, die die Insel Pharos mit dem Leuchtturm umspielten.
13
Caesar hatte alles gut geplant. Er empfing sie im Haus der Verehrung, dem Thronsaal. Die hohen Säulen aus rot gemasertem Porphyrit spiegelten sich im glänzenden Marmorboden. Die mächtige Erhabenheit des Thrones ließ jene, die an seinem Fuße standen, unbedeutend erscheinen. Caesar saß in der fransenbesetzten toga virilis, versehen mit den Purpurstreifen des römischen Senators, auf einem Thron, der mit gelbem Jaspis und Granatsteinen in der Größe von Taubeneiern bedeckt war. Kleopatra trug eine Robe aus schimmerndem Gold und befand sich auf einem ähnlichen Thronsitz an seiner Seite.
Pothinos und Ptolemaios glichen eher Bittstellern als dem Regenten und dem obersten Ratgeber des reichsten Landes der Erde.
Ptolemaios' Augen waren geschwollen vom Weinen, und seine Hände zitterten. Der Sohn seines Vaters, nur weitaus schlimmer, dachte Kleopatra traurig. Wenn er noch ein wenig mehr von dieser Seite geerbt hätte, würde er sich mit Hilfe des Weins gegen die drohenden Unbill des Lebens schützen. Armer Vater.
Pothinos hatte die Locken mit teurer Pomade gekräuselt und versuchte - ganz Speichellecker, der er war - den Abscheu vor dem römischen Feldherrn mit heuchlerischem Lächeln zu übertünchen.
»Fühlt sich der Kronregent besser?« erkundigte Caesar sich mit eisiger Stimme.
Pothinos' Kopf nickte so heftig auf und ab wie der eines Papageis. »Er hat sich vollständig von dem Schrecken erholt, Imperator.«
»Er hat sich aufgeführt, als hätte er eine Legion verloren und überdies noch einen strotzenden Gallier vor sich, der ihm an den Kragen will. Wenn er König sein will, sollte er lernen, seine Gefühle zu beherrschen.«
»Er leidet noch unter seiner Jugend. Wenn er ein wenig älter ist, wird er ein zweiter Alexander.«
»Alexander!« Caesar zog die Luft ein, als sei er Zeuge einer Gotteslästerung geworden. Es war kein Geheimnis, daß er selbst danach trachtete, in die Fußstapfen des legendären makedonischen Feldherrn zu treten. Seine Lippen kräuselten sich verächtlich beim Anblick Ptolemaios'. Dann wiederholte er den Namen noch einmal, fast unhörbar. »Alexander!«
Kleopatra hätte gern schon jetzt gewußt, was als nächstes geschehen würde. Obwohl Caesar so tat, als gehörte sie zu ihm, hatte er sie ebenso wie ihren Bruder und Pothinos hierherbefohlen und bisher nichts verlauten lassen, was ihre Zukunft betraf. Sie war vollkommen in seiner Hand. Wen würde er vorziehen? Sie - oder diesen dummen Jungen? Sie bildete sich nicht ein, daß sie ihn sich mit dieser einen Liebesnacht gefügig gemacht hatte - die Liebe war für jemanden wie ihn ohnehin nichts als eine billige Währung, bei Bedarf zu gebrauchen, doch darüber hinaus wertlos. Ihr blieb nur die Hoffnung, daß ihre Ausführungen sein hartes Herz erweicht hatten.
»Wie Ihr wißt«, wandte er sich an Pothinos, »war es der Wille des letzten Königs, daß Ägypten von Ptolemaios und seiner Schwester, Kleopatra, regiert würde. Es bekümmert Rom, daß Uneinigkeit zwischen ihnen herrscht. Ihr Vater war nicht zuletzt Freund und Verbündeter des römischen Volkes.« Das war er in der Tat, dachte Kleopatra voll Bitterkeit. Für dieses Privileg hatte er einen beträchtlichen Teil seines Vermögens verschleudert.
»Caesars einziges Anliegen ist, daß wieder Frieden einzieht in Ägypten. Daher wünscht Caesar, daß der Prinz sich unverzüglich, nach Sitte der Ägypter, mit seiner Schwester vermählt und sie den Willen ihres Vaters erfüllen.«
Das war es also. Caesar würde sie mit ihrem Bruder verheiraten. Wie auch anders? Ihm lag nicht an Gerechtigkeit, er wollte nur Frieden. Sie sah starr geradeaus, um ihre Enttäuschung zu verbergen. Dann wartete sie darauf, daß er seine Bedingung kundtat, dafür, daß sie sich erneut an die Gurgel gehen durften.
»Ihr werdet den Frieden, den Caesar Euch geschenkt hat, nutzen, um der römischen Republik die Schulden zu erstatten, die Euer Vater hinterlassen hat. Eine Summe, die mir zu entrichten ist.« Schau an, dachte sie, auf diese Weise zieht er also Gewinn aus der Sache. Sie sah, daß er sie beobachtete und auf Anzeichen ihres Unmuts oder Zorns wartete. Nun, den Gefallen würde sie ihm nicht tun.
Habe ich überhaupt Anlaß dazu? überlegte sie weiter. Ich werde abermals den Thron besteigen. Caesar bekommt, was er wollte, und ich bekomme das, was ich wollte. Zumindest muß ich mir jetzt nicht mehr mit Fliegen und Eidechsen den Wüstenstaub teilen.
Ptolemaios sah aus, als würde er jeden Moment wieder in Tränen ausbrechen. Dummer, dummer Junge.
»Stimmt etwas nicht?« fragte Caesar ihn.
Ptolemaios setzte zu einer Erwiderung an, doch ein Blick von Pothinos brachte ihn zum Schweigen.
»Ich habe Vorkehrungen für die sofortige Hochzeit getroffen. Ganz Alexandria wird sich mit Euch freuen.«
»Ich danke Euch, edler Herr«, sagte Pothinos mit gepreßter Stimme. Dann trieb er Ptolemaios vor sich her aus dem Saal.
14
Kleopatra studierte ihr Gesicht in dem Bronzespiegel. Seltsamerweise hatte sie sich ihren Hochzeitstag genauso vorgestellt: den Himmel grau verhangen, ein dumpfes Gefühl der Furcht im Magen, die trostlose Aussicht, sich für einen Bräutigam zurechtzumachen, der ihr, bis auf die Erfordernisse des Staates, in keiner Weise gerecht wurde. Sie hatte jedoch immer gedacht, daß es sich dabei um einen Ausländer handeln würde, jemanden, der einfach zu alt, zu jung oder zu tölpelhaft für sie wäre.
Doch stets hatte sie befürchtet, daß es letztlich doch Ptolemaios sein würde.
Sie malte sich aus, was ihr Vater wohl gesagt hätte, wenn er noch am Leben gewesen wäre. Wahrscheinlich wäre er zu betrunken gewesen, um sich zusammenhängend zu äußern. Ob er wohl von ihr enttäuscht gewesen wäre? Wie oft hatte er ihr ins Ohr geflüstert, daß sie schlauer sei als die anderen. Wie es schien, hatte er sich geirrt.
Ihre Gedanken schweiften ab, und sie stellte sich plötzlich vor, wie es wäre, wenn sie Caesar heiratete. Bislang hatte sich ihre Phantasie auf Macht und Politik beschränkt, nie auf ihr privates Vergnügen. Sie hatte Träume genährt, in denen sie Alexanders Reich neu errichtete, die Stadt zur größten der Welt machte, in der - welch vermessener Gedanke - der eigene Name gerühmt wurde wie seiner. Was wäre, wenn sie heute Caesars Königin würde? Wir besäßen zusammen das mächtigste Reich der Erde, oder gar der Geschichte. Und, dachte sie, während sie konzentriert in den Spiegel blickte, vielleicht würde ich sogar lernen, dabei mit ihm glücklich zu werden.