»Was die Schuld des verstorbenen Königs gegenüber Rom betrifft, so bin ich bereit, sie auf eine Abfindung von zehn Millionen Denaren zu reduzieren.«
Das war weniger als die Hälfte. Caesar hielt sich wahrscheinlich für großzügig. Leider wird das nur den Römern so vorkommen, dachte Kleopatra. In ganz Alexandria gibt es keinen Menschen, der sich auch nur von einem einzigen Denar trennen möchte, um die Summe zu begleichen, mit der mein Vater seinen Thron zurückgekauft hat - schon gar nicht jetzt, wo er tot ist.
Während man sich zutrank, wanderten Kleopatras Blicke über die Gesichter im Saal, und sie fragte sich, ob Zypern und ein Schuldenerlaß um zehn Millionen Denaren ausreichen würden, um den Haß von Pothinos und seinen Gefolgsleuten zu mindern.
Sie hatte da ihre Zweifel.
15
Das Leben im Palast nahm nun die Gestalt eines Traumes an. Nach der Hochzeitszeremonie wurde Ptolemaios in einen Palast des Brucheionviertels verbannt, während Kleopatra gemeinsam mit Caesar ihre alten Gemächer bezog. Als Diener standen ihm seine Leibwache zur Seite und als Schutz seine Legionäre, wohingegen sie, verlassen vom Großteil des königlichen Hofes und abgeschnitten von ihren Beratern am Berg Kasios, gewissermaßen als seine Königin residierte. Ptolemaios und Pothinos hielten sich von ihr fern, sie waren von Anhängern und Gefolgsleuten umgeben und standen unter dem Schutz der makedonischen Hofgarde, allerdings beaufsichtigt von einer Kohorte römischer Soldaten.
Und hier bin ich nun, die Bettgenossin des Feindes, im Krieg mit den eigenen Leuten, ging es ihr durch den Kopf. Verräterin und Verratene in einem. Schon als Kind hatte sie gelernt, die Römer zu verabscheuen, damals, als sie zusehen mußte, wie diese Barbaren ihre Familie demütigten. Sie hatte sich geschworen, deren Macht über Ägypten zu brechen, und nun stand sie auf der anderen Seite der Barrikaden, während sich ihr Volk den Legionärsspeeren entgegenwarf.
Zusammengerollt unter Caesars schützenden Hügeln liege ich hier, lache über seine Witze, lausche seinen Geschichten, nehme bereitwillig seinen Samen auf. Ich frage mich, ob ich doch nur die Tochter meines Vaters bin oder ob ich je Königin aus eigenem Recht sein werde.
Aufmerksam beobachtete Kleopatra Pothinos und wartete auf seinen nächsten Zug. Wenn Ägypten siegte, bedeutete dies ihren Untergang. Wenn Caesar siegte, bestünde sie fort. Jede Seite lag auf der Lauer. Die Spannung im Lochias-Palast war mit Händen zu greifen.
Allein Caesar schien davon nichts zu spüren.
»Ich habe den Eindruck, daß Eure Truppen sich zum Kampf rüsten«, bemerkte er Achillas gegenüber so munter, als kommentiere er ein Wagenrennen oder einen Wettkampf im Circus. »Die Frage der Nachfolge wurde zur allgemeinen Zufriedenheit geregelt, aber dennoch sind sie nach Alexandria marschiert und belagern die Stadt.«
»Der Befehl erging nicht von mir«, entgegnete Achillas.
Achillas scheint beunruhigt zu sein, dachte sie. Seine Haut ist fahl, und die Schweißperlen auf seiner Stirn haben die Größe von Tautropfen. Sein Lächeln soll offenbar beruhigend wirken, doch es verwandelt sein Gesicht in eine Maske des Todes.
Auf Caesars Drängen aßen sie täglich gemeinsam. Doch die Speisen, die Pothinos ihnen bot, waren nicht dazu angetan, die Lebensgeister anzuregen, denn es gab nie etwas anderes als angeschimmeltes Maisbrot und kleine tranige Fische aus dem Hafenbecken. Statt auf Goldgeschirr wurde das Essen auf Holztellern serviert - Pothinos behauptete, daß er die anderen habe einschmelzen lassen müssen, um Caesars Forderung nachzukommen.
Den Wein, der ihnen vorgesetzt wurde, hätte sie noch nicht einmal einem durstigen Hund offeriert.
Sie speisten in der herkömmlichen Art der Griechen, auf Ruhebänken an drei Seiten des Eßtisches. Nur Antiochos, der noch ein Kind war, saß auf einem Schemel.
Allein Caesar schien sich eines gesegneten Appetits zu erfreuen, doch Kleopatra wußte, daß er sich verstellte. Es geschah nur selten, daß er sich überhaupt zum Essen niederließ, viel lieber aß er nebenbei ein Stück Brot, während er mit seinen Generälen die Karten studierte. Decimus Brutus behauptete, daß er einmal einen Spargel verschlungen hatte, der versehentlich in Salböl getunkt worden war, ohne dabei auch nur eine Miene zu verziehen.
Sie beobachtete, wie Achillas in seinem Fischgericht herumstocherte. Arsinoe und ihr Lehrer Ganymedes tauschten Blicke aus und formten lautlose Sätze über den Tisch hinweg. Ptolemaios wiederum ließ seinen Teller gänzlich unbeachtet. Er hielt den Kopf gesenkt, während ihm die Tränen über das Gesicht strömten.
Als Pothinos die Tränen entdeckte, schleuderte er Kleopatra einen haßerfüllten Blick zu. Nun, dazu hast du keinen Grund, dachte sie, du schmutziger Auswurf eines Kamels. Den Zustand des armen Jungen kannst du mir nicht anlasten.
»Der Pöbel hat heute wieder einmal versucht, den Palast zu stürmen«, bemerkte Caesar, an Pothinos gewandt.
»Das Tun einer Handvoll Kaufleute und Matrosen entzieht sich meiner Gewalt, Imperator«, erwiderte dieser.
»Es handelt sich um mehr als nur eine Handvoll Kaufleute und Matrosen.«
Pothinos hob die Schultern. »Die Anwesenheit der römischen Soldaten ist ihnen ein Stachel im Fleisch. Sobald sie wieder abgezogen sind, wird sich die Lage beruhigen.« Als Caesar keine Antwort gab, setzte er hinzu: »Nun, da die Frage der Nachfolge geregelt ist, werdet Ihr Eure Zeit doch sicher nicht weiter in Ägypten vertrödeln wollen, da Euch andernorts dringendere Geschäfte erwarten?«
Caesar ließ seine kalten schwarzen Augen auf ihm ruhen. Solch ein Blick, dachte sie. Wie ein Todesurteil. »Es obliegt Caesar zu entscheiden, welche Geschäfte er als dringend erachtet und welche nicht.«
Er biß einen Brocken Brot ab und spülte ihn mit dem Wein aus dem hölzernen Pokal zu seiner Rechten hinunter. Wie er diesen Essig herunterbrachte, den Pothinos kredenzt hatte, überstieg Kleopatras Vorstellungsvermögen.
Achillas konnte sein Schweigen nicht länger aufrechterhalten. »In den Basaren erzählt man sich, daß Caesar die königliche Familie als Geisel hält«, sagte er.
»Vielleicht kann Pothinos mit dem Pöbel reden«, schlug Caesar vor, »um die Lage zu beruhigen.«
»Ich glaube kaum, daß die Menschen auf mich hören. Ich bin nicht verantwortlich für das, was sie sich beim Fischkauf erzählen.«
»Wie seltsam. Das Volk scheint weder auf Euch noch auf irgendeinen anderen zu hören. Noch nicht einmal auf den König.« Er schaute in die Runde und schien erstmalig Ptolemaios' unglückliche Miene wahrzunehmen. »Und weshalb greint Seine Majestät nun schon wieder?«
Pothinos' Stimme klang matt. Er hatte Mühe, das gewohnte Lächeln aufrechtzuerhalten. »Das Essen schmeckt ihm nicht, Imperator.«
»Nun, es sind seine eigenen Soldaten, die ihm die geliebten Schalentiere und das Wildgeflügel vorenthalten. Wenn sie die Belagerung aufheben, kann er gebratene Giraffen essen, sofern es ihn danach gelüstet.« Caesar stemmte die Fäuste in die Seiten. »Ich weiß nicht, weshalb er ein solches Theater macht. Als ich auf dem Feldzug in Britannien war, haben wir Nesseln gekaut und Wasser getrunken, das sich in Felssenken gesammelt hatte.«
»So wie Eure Vorfahren?« fragte Arsinoe mit süßlicher Stimme.
Caesar lächelte, doch seine Augen waren hart wie Feuerstein.
Oh, meine liebliche kleine Schwester, dachte Kleopatra, mit deinen hellen Haaren, den kornblumenblauen Augen und dem Sylphenkörper könntest du, wenn du wolltest, mit Caesar spielen wie mit einem Fisch, den du an der Angel hältst. Statt dessen benimmst du dich, als teiltest du den Tisch mit einem Straßenköter. Freilich sind die Römer Barbaren, doch dieser hier zeigt zumindest ein wenig Kultur, und wenn der Krieg zu den Künsten gehörte, gäbe es keinen Gelehrten im Museion, der es mit ihm aufnehmen könnte.