Sie wurde abrupt wach, wußte sofort wieder, wo sie war und was geschehen war. Caesar schlief neben ihr, hatte den Arm achtlos über ihre Brust geworfen, den Kopf an ihrer Schulter. Während sie ihn betrachtete, wurde sie von einer plötzlichen Woge der Zärtlichkeit überrollt und verachtete sich dafür. Der Verrat des Herzens.
»Julius«, wisperte sie und fuhr mit der Spitze des Zeigefingers über seine Wange. Wie schwach ich bin, dachte sie. Das hier habe ich nicht gewollt.
Mit einemmal drangen laute Rufe aus den Gärten an ihr Ohr, Metall schlug auf Metall, das Getrappel schwerer Stiefel. Ein markerschütternder Schrei. Sie begriff, daß dies die Geräusche waren, die sie geweckt hatten. Caesar war sofort wach, mit dem Instinkt des Soldaten sprang er aus dem Bett, machte ein paar Schritte zum Fenster und starrte angestrengt in die Dunkelheit. Kleopatra fühlte, wie ihr das Herz schmerzhaft gegen die Rippen schlug. Vielleicht hatten die Aufständischen die Barrikaden durchbrochen.
»Was geht da draußen vor sich?« fragte sie.
»Es ist nichts«, antwortete er. »Meine Männer kümmern sich bereits darum.« Fast zur gleichen Zeit hörte sie, wie Stiefel über die Gänge auf ihr Schlafgemach zudonnerten. Eine Faust hieb gegen die Tür. Caesar ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Ohne Eile legte er seine Tunika an.
»Komm herein«, sagte er und verschränkte die Arme vor der Brust.
Einer der Zenturionen trat ein und hielt einen kleinen tropfenden Sack in der Hand. Caesar machte eine zustimmende Kopfbewegung, und der Mann öffnete das durchnäßte Bündel. Zutage kam ein Kopf, der jedoch nur noch mit Mühe zu erkennen war. Alles Leben und alle Farbe waren daraus entwichen, doch ein Rest Blut sickerte noch aus den durchtrennten Adern des Halses.
Caesar wandte sich zu Kleopatra um. »Weißt du, wer das ist?« fragte er so beiläufig, als handele es sich um einen ausländischen Würdenträger, den er anläßlich eines Banketts erspäht hatte.
»Das ist Pothinos«, antwortete sie. Und weil Caesar nicht reagierte, fügte sie hinzu: »Er hat allerdings einiges an Gewicht verloren.«
Caesar warf den Kopf in den Nacken und lachte vor Entzücken laut auf. »Stimmt. Auch erschien er mir früher größer.« Ein leichtes Kopfnicken, und der Mann stopfte den Kopf in den Sack zurück. »Ich danke dir, Zenturio. Du kannst ihn den Hunden vorwerfen.«
»Es gab ein Mißgeschick, Imperator«, sagte der Zenturio betreten. »Der General - Achillas. Man konnte ihn nirgendwo finden.«
»Pech. Er muß gewarnt worden sein.«
Er entließ ihn mit einem weiteren Nicken. Der Soldat grüßte und verschwand.
Caesar wandte sich erneut Kleopatra zu. »Während wir schliefen, fand eine Abrechnung statt. Es wäre mir lieber gewesen, wir hätten das ganze Nest ausgerottet, doch was soll man machen?«
Er hat es von Anfang an geplant, ging es ihr durch den Kopf. Von dem Moment an, in dem der Regentschaftsrat beschloß, Pompejus zu töten, war dessen Schicksal besiegelt gewesen. Insgeheim war Caesar zweifellos froh, daß sie ihm die Arbeit abgenommen hatten, doch der Römer in ihm konnte es nicht durchgehen lassen. Im Namen Roms hatte er sich gerächt und damit einen zweifachen Sieg verbucht.
»Du hattest nie die Absicht, ihn am Leben zu lassen«, sagte sie.
»Natürlich nicht. Schade jedoch, was Achillas betrifft.«
Seine Unbarmherzigkeit hätte sie erschrecken müssen, doch statt dessen erfüllte sie sie mit Ehrfurcht. Nie hatte er Groll gezeigt, nie seine Absichten verraten. Fraglos lag darin der Grund, daß er so mächtig geworden war und so gefürchtet in Rom. Ob ich lernen kann, ebenso entschlossen zu handeln?
»Und was beabsichtigst du nun zu tun?« erkundigte sie sich.
»Ich bin zu beschäftigt, um gegen Ägypten zu kämpfen. Vielleicht können wir nun, da sich der Fall Pothinos erledigt hat und Alexandria ein neues Königspaar besitzt, zur Normalität zurückkehren.«
»Und ich?«
»Du hast jetzt, was du wolltest, Kätzchen. Die Schmutzarbeit habe ich für dich getan. Ich bin sicher, daß du mit Antiochos fertig wirst, jetzt, da wir den Regentschaftsrat aufgelöst haben.« Er lächelte ein wenig spöttisch. »Oder etwa nicht?«
Du hast jetzt, was du wolltest, Kätzchen. Es klang kühl, so als glaubte er, er sei derjenige, der benutzt worden war. Doch er hatte recht; in vieler Hinsicht hatte sie, was sie wollte. Natürlich würde sie mit Antiochos, Achillas und den anderen fertig.
Doch seit sie wieder im Palast war, hatte sich ein neuer Wunsch wie ein ungebetener Gast in ihr eingenistet, der politisch gesehen sogar Sinn ergab. Ich kann dir nützlich sein. Du kannst mir sehr nützlich sein, dachte sie.
Du hast jetzt, was du wolltest, Kätzchen.
Nein, Julius, nicht alles. Denn nun will ich dich.
17
Ein kalter, strahlender Wintermorgen, Wolken fegten über den Himmel, die Brandung donnerte an den Turm der Insel Pharos und peitschte die Gischt hoch in die Luft. Drüben im Westhafen schlingerten die riesigen Lastkähne, die barides, und zerrten an den vertäuten Ankern. Zu ihren Füßen, unterhalb des Brucheion und entlang der Werften, befanden sich Caesars Kriegsschiffe aus Rhodos, fünfzig römische Dreiruderer, die sich mit den Wellenbergen hoben und senkten. Dann bei den Lagerhäusern und Getreidespeichern über sechzig ihrer eigenen Kriegsschiffe, Zwei- und Dreiruderer, die Flotte, die sich gegen sie gewandt hatte. Masten, die sich in den Himmel bohrten.
Kleopatra stand am Fenster ihres Schlafgemachs und hatte Caesars schweren, mit Bärenfell gefütterten Ledermantel eng um die Schultern gezogen.
Du hast jetzt, was du wolltest, Kätzchen.
Warum hast du das getan? Warum hast du dich auf meine Seite geschlagen? dachte sie. Vom ersten Schritt an, den ich hierher gemacht habe, war ich in deiner Hand. Du hättest ein kleines Häppchen Ägypten kosten und mich dennoch verraten können, hättest Ptolemaios als Vasallenkönig behalten können, ohne je zu den Waffen greifen zu müssen. Pothinos hätte sich schließlich einverstanden erklärt, die Schuld meines Vaters zu begleichen, wenn du ihm geholfen hättest, mich loszuwerden.
War der Grund wirklich die frevlerische Tat, die an Pompejus begangen wurde? Oder war es nur eine Laune deinerseits? Du scheinst mir ein Mann, der sich Freiheiten gewährt, allein weil er es vermag. Du machst, was du willst, und nichts kann dich hindern.
Ich würde gern glauben, daß du es aus einem Gefühl für mich heraus getan hast, doch ich weiß, daß dem nicht so ist. Sind es politische Erwägungen, die dich lenken? Ist es Berechnung? Ich weiß, du planst etwas, aber ich weiß nicht, was es ist.
Ein blauer, bitterkalter Tag in Alexandria. Ein Tag, an dem es sich gut leben ließ. Ein Tag zum Pläneschmieden. Caesar stand auf der Terrasse und stemmte sich gegen den Wind. Die Kälte brannte ihm auf den Wangen.
Der Arm des Festlandes umschloß den Königlichen Hafen bis hin zum Damm mit den Arkaden, ein wuchtiger Bogen, dahinter der Westhafen. Und dort, neben dem großen Tor des Isistempels, erhob sich das Wunderwerk der Insel Pharos. Zeus, der sich über dem runden Turm in den Himmel schwang. Welch eine Baukunst! Der viereckige Kalksteinsockel, darüber das achteckige Gelaß aus rosafarbenem Marmor, auf der Spitze der Turm aus dem purpurroten Granit Assuans. Mit dem Licht des Tages wechselten die Farben, vom blassen Rosa der Morgendämmerung bis hin zum blutigen Rot des Sonnenuntergangs.
Wenn er sich umdrehte, erkannte er hoch über dem Dach des Palastes den eckigen Turm mit dem konischen Dach, die Grabstätte Alexanders. Der Alabaster und Marmor des Brucheion glitzerte so weiß, daß es ihn blendete und er sich abwenden mußte.
Eine einzigartige Stadt, dachte er. Im Vergleich dazu wirkt Rom wie ein Dorf aus Lehm.