»Sicherlich wäret Ihr froh, wenn ich abzöge.«
»Nicht, was uns betrifft. Doch Alexandria steht gegen Euch. Euer Leben schwebt in dauernder Gefahr.«
Kleopatra fand die hochtrabenden Worte des Jungen albern.
Insgeheim mußte sie jedoch lächeln. So schnell wirst du mich nicht erwürgen lassen können, mein Lieber. Solange Caesar lebt, legen sich die Henkershände nicht um meinen Hals.
»Caesar schwebt immer in Gefahr«, teilte der Römer Ptolemaios mit. »Gleichgültig, wo er ist. Dennoch meinen untertänigsten Dank für Eure Sorge um mein Befinden.«
Mit einem Kopfnicken sandte Caesar seine Offiziere aus dem Raum. Ein harter Blick tat Ptolemaios kund, daß auch seine Anwesenheit unerwünscht war, woraufhin er, wenn auch widerstrebend, verschwand. Auf was will mein Bruder hinaus? fragte sich Kleopatra. Glaubt er, er könne unseren Julius, meinen Julius, mit öligem Lächeln und schmeichlerischen Worten einnehmen? Glaubt er womöglich, daß Caesar ihm den Thron zu Füßen legt, wenn er nur tief genug vor ihm kniet?
Die großen Portale schlossen sich hinter den Wachen. Sie waren allein.
»Ich dachte, du wärest tot«, flüsterte sie.
»Und das hätte dich bekümmert?«
»Du bist mir teuer geworden«, sagte sie. Das war noch nicht einmal gelogen. Was geht nur in mir vor? fragte sie sich.
Er grinste. »Komm her, Kätzchen.« Er hielt sie in den Armen, zitterte. Die Tunika war immer noch kalt und feucht.
»Du solltest die nassen Kleider ablegen«, wisperte sie. Sie fuhr mit dem Finger über die klaffende Wunde auf seinem linken Arm. Sie war bereits verkrustet mit geronnenem schwarzem Blut.
»Sie haben tapfer gekämpft«, sagte er stolz, doch seine Augen verrieten seine innersten Gedanken. Die Ereignisse des Tages hatten ihn tief erschüttert. Achillas' Lumpenarmee hatte sich als stärkerer Gegner erwiesen als erwartet.
Doch auch dieser knappe Sieg, der fast zur Niederlage geworden wäre, hatte seinen Ruhm wieder einmal gefestigt. Er war dem Tod entronnen, indem er in voller Rüstung über die Strecke eines Stadions bis zu einem der römischen Schiffe geschwommen war, einhändig, mit der anderen Hand die Schlachtpläne hochhaltend, um sie vor den Wellen zu schützen. Außer der Wunde am Arm war ihm nichts zugestoßen - nur den kostbaren Purpurmantel hatte er verloren, das geliebte Symbol seines Rangs.
Er ließ sich von ihr zu Bett bringen. Sein Körper war kalt wie der eines Toten. Er rollte sich in ihre Arme ein wie ein Säugling und schlief. Sie strich über den dünner werdenden Scheitel und flüsterte »Julius«, ein ums andere Mal. Sie dachte an Ptolemaios' Henkersknechte und wie sich rohe Hände um ihren Hals schlössen. Um diese dunklen Träume zu vertreiben, beschwor sie abermals die Macht ihres Schicksals - ein Schicksal, das weit über Caesar hinaus reichte.
Caesar schlang sein Frühstück herunter, einen Kanten Brot, ein wenig Schafskäse, einen Krug Wasser. Sie konnte nicht begreifen, wie er bei Kräften blieb. Sein Desinteresse, was Nahrung betraf, mußte aus den vielen Kriegsjahren stammen, in denen er von kargen Armeerationen gelebt hatte.
Kauend instruierte er seine Befehlshaber, während sich Kleopatra im Nebenraum mit Hilfe zweier Palastsklavinnen der Morgentoilette widmete. Keine von ihnen war so geschickt wie Charmion oder Iras, doch im Augenblick mußte sie mit ihnen vorlieb nehmen.
Dann hörte sie, wie eine neue Stimme aus dem anderen Raum drang. »Ptolemaios«, zischte sie, sprang auf und scheuchte die Sklavenmädchen fort.
Caesar hatte sich auf der Ruhebank ausgestreckt und prüfte einen Lagebericht. Nichts erinnerte mehr an den Kämpfer und Imperator. Er war lediglich ein Mann in weißer Tunika, vertieft in seine Lektüre. Ihr alberner Bruder stand im Türrahmen, lächerlich anzusehen in golddurchwirkter Brokatrobe, die Haare gesalbt und gekräuselt. Ein aufgeputzter kleiner Wichtigtuer.
»Ah, Ihre Majestät«, sagte Caesar, ohne den Blick von der Wachstafel zu nehmen.
»Ihr habt mich rufen lassen«, entgegnete Ptolemaios. Er sah sich um, erblickte Kleopatra im Türrahmen des Schlafgemachs und verzog das Gesicht zu einem selbstgefälligen Grinsen. Es schien, als habe er den Entschluß gefaßt, sich Caesar gegenüber zu behaupten. Auf der Straße des Soma war es abermals zu Aufständen gekommen, wahrscheinlich hatte ihn der Lärm des Pöbels vor den Toren ermutigt und aufgeplustert.
»Caesar hat eine gute Nachricht für den König von Ägypten.«
Ptolemaios fiel in sich zusammen. Wie dünn die Maske gewesen war, die er aufgesetzt hatte!
»Ich wünsche, daß Ihr Euch zu Eurer Schwester, Arsinoe, begebt«, verkündete Caesar.
Ptolemaios sperrte den Mund auf. Mücken und Fliegen hätten ungehindert ein und aus schwirren können.
»Schaut nicht so überrascht. Wer könnte ein besserer Bote Caesars sein als jemand aus ihrer eigenen Familie?«
»Ihr wollt, daß ich den Palast verlasse?«
Das muß ein arger Schlag sein, dachte Kleopatra. Ob Ptolemaios jemals in seinem Leben weiter als über das Brucheionviertel hinausgekommen war? Wahrscheinlich waren die Gärten um den See Mareotis für ihn die äußerste Grenze gewesen.
»Eine Schwadron der Palastwache wird Euch begleiten.«
Kleopatra studierte das Kaleidoskop der Gefühle, das sich auf der Miene ihres Bruders abzeichnete. Unglaube, Furcht, Panik. Ohne Pothinos war er schlichtweg verloren. »Aber warum?«
»Glaubt Ihr, daß es Caesar gefällt, hier eingesperrt zu sein? Ihr müßt die Waffenruhe verhandeln, so daß ich und meine Männer die Schiffe besteigen und wieder in Frieden nach Rom ziehen können.«
Kleopatra spürte, wie ihr das Blut aus den Wangen wich. Sie war unfähig, dem Gehörten Glauben zu schenken. »Ich wünsche zu bleiben«, hörte sie Ptolemaios sagen.
Zum ersten Mal machte sich bei Caesar ein leichter Unmut bemerkbar. »Es geht nicht um das, was Ihr wünscht. Es geht um Eure Pflicht als König! Sollte dieser Krieg weitergehen, wird Eure Stadt zerstört. Würde Euch das nicht grämen?«
Nein, würde es nicht, dachte Kleopatra. Man kann es ihm ansehen. Es läßt sich so deutlich von seiner Nase ablesen wie die Hieroglyphen auf Alexanders Grab. Er begreift nicht, daß du ihm den Thron schenkst, daß du vorhast, mich zu verraten. Was konnte ich auch anderes erwarten? Von einem Römer! Mardian hat mich gewarnt.
»Eure Schwester hat Caesars Boten ermorden lassen«, erklärte Caesar Ptolemaios. »Sie hat sich sogar mit ihrem General überworfen. Ihr Eunuch hat ihn umbringen lassen. Euch allein wird sie Respekt erweisen, denn Ihr seid ihr König. Ihr werdet Caesar den Frieden vermitteln, so daß er sich den dringenderen Angelegenheiten Roms widmen kann.«
Achillas ermordet? Warum hatte er ihr das nicht erzählt? Weil er beschlossen hatte, sie aufzugeben? Es war nicht zu glauben, wie feige er war. Wurden aus solchem Holz die Helden der Geschichte geschnitzt?
Sie blickte zu Ptolemaios. Trotz des eigenen Entsetzens empfand sie beinahe Mitleid mit ihm. Sie wußte, was er dachte. Wie würde Arsinoe ihn empfangen? Als ihren Bruder und König? Oder als tödlichen Rivalen, der auf der Stelle umzubringen war? Seine Unterlippe bebte - so als hätte ihn sein Lehrer wegen Unaufmerksamkeit geohrfeigt, was, wenn man so wollte, ja auch der Fall war.
Auf diese Weise, dachte sie, entscheidet Caesar unser beider Schicksal.
Die Demütigung machte sie stumm. Sie schaute auf ihren Bruder, der sie mit Blicken um Unterstützung anzuflehen schien. Sie konnte das Ausmaß von Caesars Verrat immer noch nicht fassen. Aber sie würde ihren Zorn für sich behalten, etwas anderes nutzte ohnehin nichts und war zudem unter der Würde einer Königin. Warum sollte Caesar ihr schließlich auch Schutz gewähren? Er war in einen Konflikt verwickelt worden, auf den er gänzlich unvorbereitet gewesen war. Vielleicht hatte er sich ja auch überschätzt, nachdem er Pompejus besiegt hatte. Nun, bestimmt würde er zu einem späteren Zeitpunkt und mit einer stärkeren Streitmacht nach Alexandria zurückkehren, um die Rechnung mit Ägypten zu begleichen. Doch wenn Arsinoe sich jetzt durchsetzte, wäre sie bald tot.