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»Es war immerhin der Wunsch Eures Vaters«, versuchte Theodotos es erneut.

Sie lächelte huldvoll, um ihren Zorn zu kaschieren, etwas, das sie als ptolemaische Prinzessin schon früh gelernt hatte. »Er hat uns gegenüber keinen derartigen Wunsch geäußert.« Es ist dein Wunsch, Theodotos, dachte sie. Wenn ich Ptolemaios heirate, werde ich seine Königin und wäre in dem Fall ihm, oder genauer gesagt, dir und dem Rest des Regentschaftsrats unterstellt. Du glaubst, daß ich ein dummes Mädchen bin, und meinst, mich einschüchtern zu können, so daß ich die Macht, zu der ich geboren wurde, meinem griesgrämigen, einfältigen Bruder überlasse und damit euch dreien: einem vertrockneten Gelehrten, einem Maulhelden, der seit zwei Jahren kein Schlachtfeld mehr betreten hat, und einem Mann mit schriller Stimme, dem zwischen den Beinen nur Fettwülste wachsen.

Nun, ich werde es nicht tun. Ich mag ja noch jung sein und dazu noch ein Mädchen, doch irgendwie wird Isis mir helfen, und irgendwie werde ich mich euren Wünschen widersetzen.

»Eure Thronbesteigung ist doch gewiß nur eine vorübergehende Angelegenheit?« beeilte sich Theodotos festzustellen.

»Maßt Ihr Euch an, Eure Königin in Frage zu stellen?« erkundigte sie sich mit klopfendem Herzen.

Zu ihrer Erleichterung gab Theodotos so lammfromm nach, wie es seiner Natur entsprach, und verneinte mit heftig hin und her wackelndem Kopf. Wenn die anderen nicht da wären, ging es Kleopatra durch den Sinn, würde er es gar nicht wagen, in unserer Gegenwart auch nur die Stimme zu erheben. In unserer Gegenwart. Wie schnell sie sich an die Symbole der Macht gewöhnt hatte. Als nächstes mußte sie aufhören, sich als das Mädchen Kleopatra anzusehen, und sich statt dessen als Königin Kleopatra betrachten.

Ihren Worten folgte langanhaltendes Schweigen. Kleopatra starrte sie an, bis sie die Augen niederschlugen - alle, bis auf Pothinos, der ihren Blick unter halbgesenkten Lidern aus schwarzen Augen erwiderte. Hephaestion war es, der die angespannte Stille unterbrach. »Da wäre noch eine Sache«, begann er.

Kleopatra atmete auf. Zu ihrer eigenen Überraschung hatte sie die erste Runde gewonnen, hatte sich selbst ebensoviel bewiesen wie den anderen.

»Rom ist wieder einmal kurz davor, einen Krieg anzuzetteln. Julius Caesar wetteifert mit Magnus Pompejus um die Macht. Dieser Caesar hat sich dem eigenen Senat widersetzt und Pompejus und dessen Truppen aus Italien vertrieben. Pompejus hat sich an uns gewandt und um Hilfe gebeten.«

Eine solche Bitte war im Grunde nicht abwegig. Pompejus galt als Verbündeter ihres Vaters, der Flötenspieler hatte ihm den Thron verdankt. Nun erwartete Pompejus, daß man Gleiches mit Gleichem vergalt.

»Wir müssen uns über diese Bitte hinwegsetzen«, beschied Pothinos.

»Darüber hinwegsetzen?« fragte Kleopatra erstaunt. »Und inwiefern sollte uns das dienlich sein?«

»Wir sind keine römischen Sklaven. Wenn dieser Caesar so siegreich ist, würdet Ihr ihn provozieren, wenn Ihr seinen Feind unterstützt!«

»Und wenn sich Magnus Pompejus behauptet?«

Pothinos ließ die Frage unbeantwortet.

Nun ging es also um ihre erste außenpolitische Entscheidung. Aber in diesem Punkt hatte sie sich schon seit langem eine Meinung gebildet und brannte darauf, sie der Öffentlichkeit kundzutun. Ihr Vater hatte ihre Einstellung als unausgegoren bezeichnet; sie wiederum hatte ihn einen Zauderer genannt. »Mein Vater schuldete Julius Caesar neun Talente Gold«, erklärte sie. »Sollte er gewinnen, wird er hier auftauchen, um sie zu fordern. Möchtet Ihr immer noch, daß Magnus Pompejus besiegt wird, Bruder?«

»Er ersucht uns um sechzig Schiffe und dreihundert Soldaten!«

»Dann werden wir sie ihm geben.«

»Man wird munkeln, daß Ihr römerfreundlich seid.«

Sie hielt den Blick auf ihn gerichtet. Ah, dachte sie, das ist also das Gerücht, das du über mich verbreiten willst. Gut, daß du mir wenigstens die Ehre erweist, mich zuvor darüber in Kenntnis zu setzen. »Man wird noch vieles über mich munkeln, bevor ich zu Grabe getragen werde.«

Pothinos warf ihr einen Blick zu, als wollte er sagen: Ach, du glaubst also tatsächlich, daß es noch dauern wird, bis du deinem Vater Gesellschaft leistest?

»Tut, wie wir befehlen«, sagte sie und merkte, daß sich ihr Gaumen mit einem Mal trocken anfühlte.

Dann erhob sie sich und schritt hocherhobenen Hauptes aus dem Saal.

Lange Zeit saß sie allein in den Privatgemächern des Palastes. Noch immer zitterten ihr die Glieder vor Wut und Anspannung. Sie war so einsam wie eh und je. Nichts war um sie außer dem Zischen der Schlangen. Sie würde zu Isis beten und Kraft von ihr erflehen.

Die prächtige Ausstattung des Raumes - die Schildpattintarsien der Portale, die dicken kappadokischen Teppiche und die mit Karneol verzierten Stühle - konnte sie nicht trösten. Es war das Gemach ihres Vaters; der überladene Pomp hatte zu ihm gepaßt, nicht zu ihr. Trotz der Erziehung, die er ihr hatte angedeihen lassen, empfand sie sich nicht als Königin, sondern kam sich vor wie eine Hochstaplerin, und dabei noch unendlich jung, unendlich unerfahren.

Sie hörte ein Geräusch hinter sich und schrak hoch, weil sie sich allein gewähnt hatte. Doch dann atmete sie erleichtert auf. Es war nur Mardian, ihr eigener Tropheus, ihr Lehrer, der ihr schon seit Kindertagen zur Seite stand. Wenn sie überhaupt einen Freund hatte, dann war er es. Er hatte einen schwammigen Körper, wie viele Eunuchen, und war noch dicker als Pothinos. Seine blaue chlamys war so riesig wie der königliche Pavillon, und das Gesicht so faltig wie ein hingeworfenes Gewand, es bestand nur aus Furchen und hängenden Fleischtaschen.

»Vor Pothinos müßt Ihr Euch in acht nehmen«, warnte er sie.

»Werden sie sich gegen mich auflehnen, Mardian?«

»Solange Achillas auf Eurer Seite steht, können sie nichts unternehmen.«

Kleopatra ließ sich die Worte eine Weile durch den Kopf gehen.

»Aber Ihr habt ganz Alexandria gegen Euch. Sie mißbilligen den Weg, den Euer Vater Rom gegenüber beschritten hat. Das gleiche gilt für Euch. Man glaubt, daß Ihr zu den Römern haltet.«

»Wie kann ich denn gegen sie sein, wenn ich keine Armee befehlige, die es mit ihnen aufnehmen kann? Ich denke nur praktisch.«

»Überdies geht es Pothinos und seinen Freunden nur um den eigenen Vorteil. Und jeder Händler im Basar sähe lieber einen Wicht wie Ptolemaios auf dem Thron, denn ihn hätten sie unter der Fuchtel.«

Kleopatra spürte, wie sie in sich zusammensank, und schloß die Augen. »Ich habe keine Anhänger, ich regiere eine Nation von Krämern und Sklaven, die sich zusammenrotten, sobald ein Wölkchen am Himmel erscheint, und ich habe die Römer im Nacken, die auf unser Geld aus sind. Was soll ich tun?«

Warum hatte ihr Vater sie nur so früh im Stich gelassen? Noch einige Jahre als Mitregentin, und sie wäre vielleicht in der Lage gewesen, ihre Position zu festigen, hätte gewußt, was zu tun war. Doch sogleich wurde ihr klar, daß das so nicht stimmte. Solange sie Brüder hatte, würde man sie nie als Königin aus eigenem Recht betrachten, sie würde sich immer dem Willen anderer fügen müssen. Und es würde immer einen Pothinos geben, der danach trachtete, ihre Schwächen auszunutzen.

2

Der Tempel lag auf der Landzunge von Lochias. Er bot einen weiten Blick über das offene Meer. Es handelte sich um das private Heiligtum des königlichen Hauses - ein Ort, an dem sie allein sein konnte mit Isis, der Göttin mit den Zehntausend Namen, Zuflucht der Menschen, Beschützerin der Frauen, barmherzige Trösterin, Große Mutter der Natur.

Salzwinde strichen wispernd um die Säulen, der Sand zog dünne Rieselspuren über die Marmorkacheln. Kleopatra ließ sich auf die Knie sinken und wartete, bis sich ihre Augen an das Dämmerlicht gewöhnt hatten. Isis hielt den Blick auf das Meer gerichtet, auf der silbernen Mondscheibe über ihrem Kopf die Federn der Gerechtigkeit, der mystische Knoten zwischen den entblößten Brüsten, in der linken Hand den Krug mit Nilwasser, um den rechten Arm die sich windende Schlange, unter dem Fuß das zahme Krokodil.