»Aber du lebst. Alexander ist tot.«
Das schien ihn ein wenig aufzumuntern.
»Jeder Römer, der sich mächtig nennen will, muß es ihm gleichtun. Er muß nach Osten ziehen und Parthien erobern, so wie er es getan hat.«
»Das ist ein Narrentraum.«
»Nein«, beschied Caesar. »Babylon ist das Schicksal Roms.«
In diesem Augenblick bedeuteten ihr die Worte nichts. Sie fröstelte in der kalten Gruft und sehnte sich danach, wieder ans Tageslicht zu gelangen. Doch Jahre später würde sie oft daran denken, was Caesar ihr an jenem Morgen gesagt hatte, und noch eine Zeit später würden seine prophetischen Worte sie eingeholt haben.
Jeder Römer, der sich mächtig nennen will, muß es ihm gleichtun. Er muß nach Osten ziehen und Parthien erobern, so wie er es getan hat.
Als sie die Grabstätte verließen, befahl Kleopatra, daß man ihre Sänften durch das Hafengebiet von Rhakotis zum Palast zurücktrüge.
»Ich möchte dir etwas zeigen«, sagte sie.
Trotz des »Alexandrinischen Krieges«, wie Caesar ihn nun bezeichnete, waren die meisten Lagerhäuser im Hafen unversehrt geblieben. Ein Trupp makedonischer Soldaten hatte sie während der Höhepunkte der Auseinandersetzungen bewacht, denn sie gehörten immer dem, der Ägypten besaß. Achillas mochte zwar zugelassen haben, daß die Aufständischen das Gymnasion zerstörten, nicht aber das, wonach er strebte.
Sie stiegen aus den Sänften. Die Leibwachen und ihr Gefolge zogen hinter ihnen her, während Kleopatra Caesar die Schätze Ägyptens zeigte.
Sie durchwanderten ein riesiges Warenlager nach dem anderen. Ein atemberaubender Anblick bot sich ihnen. Als erstes kamen die Getreidespeicher, mit den dicken Mauern aus Lehmziegeln und den schweren Eisentüren, die man von innen verriegelte. Drinnen herrschte ewiges Zwielicht, die Luft war stickig aufgrund des goldenen Staubes, der von den Bergen aus Weizen, Gerste und Hirse herrührte, die bis an die Decke ragten. Aus den Ecken funkelten die Augen von Katzen, die diesen Reichtum vor Mäusen und Ratten bewahrten.
Kleopatra studierte Caesars Miene. Rom mußte Weizen einführen, Jahr für Jahr - und hier war ein Vorrat, der für den ganzen Mittelmeerraum reichte.
Danach führte sie Caesar zu dem Gewürzspeicher, ein großes rechteckiges Gebäude mit Ventilationsschächten und Wachen an den Eingängen. Im Inneren durchdrang das Sonnenlicht die Dämmerung in dünnen gelben Schäften, die Luft erschien wie ein gelber Nebel, der sich auf die Lunge legte, das Gemisch der Aromen war überwältigend. Unzählige Holzkisten mit Kardamom, Zimt und Pfeffer, pralle Jutesäcke mit Safran, Kumin, Gelbwurz, Anis und Koriander.
Kleopatra ließ den Blick nicht von Caesar, wußte, was er dachte. Ein unschätzbares Vermögen tat sich hier auf - allein in diesem einen Gebäude.
Die Lager für die Ölvorräte standen separat, im Inneren eines jeden befanden sich übereinander geschichtete Bretter, auf denen dickbäuchige Amphoren standen, die in Stroh eingebettet waren. Sesamöl, Leinöl und Olivenöl, das wichtigste unter ihnen.
»Als Königin habe ich das Monopol über dies alles«, flüsterte sie ihm zu, als sie wieder ins Sonnenlicht traten. »Ich befehle den Bauern, wieviel sie anbauen sollen, und später wird die Ernte in meinen Fabriken gepreßt. Die Jahressteuer für Weizen beläuft sich auf zwanzig Millionen Scheffel. Und das ist noch nicht alles. Aus meinen Papyruspflanzen entsteht das Papier für die ganze Welt. Ich besitze ein Wollmonopol. Ein Viertel aus dem Verkauf von Fisch und Honig gehört mir, und ein Drittel aus dem von Wein. Mir gehören auch Salz- und Salpetergruben, Goldminen im Süden des Landes. Ich erhalte einen Zoll von zwölf Prozent für alle Waren, die den Nil hinauffahren... «
»Das reicht«, murmelte er überwältigt. »Warum zeigst du mir das alles? Glaubst du nicht, daß es bereits genug Römer gibt, die es nach Ägypten gelüstet?«
»Ich sorge mich nicht um die anderen Römer«, erwiderte sie. »Sondern um den, der ein zweiter Alexander wäre, wenn er die Mittel dazu hätte.«
Er starrte sie an. In seinen Augen lag plötzlich ein ganz neuer Ausdruck: Achtung, vermischt mit Furcht. Sie lockte ihn mit gefährlichen Visionen.
Die Tatsache, daß Ägypten noch frei war vom römischen Joch, lag darin begründet, daß der römische Senat keinem Römer die Oberherrschaft über ein Land gestattete, das so reich war, daß es diesen unabhängig von Rom machen konnte. Doch nun war es Ägypten, das sich ihm anbot, sich niederlegte, freiwillig die Schenkel spreizte und ihm einflüsterte, Rom zu vergessen und zu tun, was ihm beliebte.
»Es muß eine neue Krönung geben«, sagte sie zu Mardian.
Er wirkte verdutzt. »Ihr seid bereits gekrönt worden, Majestät, sowohl im Serapion wie auch in Memphis.«
»Dann eine Hochzeit.«
»Welche Hochzeit?«
»Wir müssen Caesar ein wenig enger an Ägypten binden.«
»Sind Euch die Römer noch nicht nahe genug?«
»Der Pöbel der Stadt betrachtet Caesar als Eroberer, und die chora achtet nur auf das Dröhnen der römischen Stiefel. Kleopatra muß neu erstehen, so wie Alexandria. Man soll mich als Caesars Gemahlin sehen, nicht als sein Werkzeug. Das ist der große Vorteil, den ich gegenüber meinem Vater habe. Er konnte sich nicht mit einem römischen Feldherrn vermählen.«
»Er mag daran gedacht haben«, murmelte Mardian vor sich hin. Des Flötenspielers Schwäche für Lustknaben war kein Geheimnis. Sie warf ihm einen tadelnden Blick zu.
»Wir müssen ein Schauspiel aufführen, Mardian. Die Welt liebt Theater. In diesem Stück werde ich Isis und Caesar Amun sein, der Stiergott, der Gott der Fruchtbarkeit. In Rom hält man Caesar für meinen Beherrscher und Kleopatra für seine Vasallin. Doch hier am Nil müssen wir Götter sein, Mardian, denn das ist es, was die Menschen wollen. Und sie werden es bekommen - Isis und Amun, die sich vermählt haben, um Ägypten eine neue Blütezeit zu bescheren. Wir spielen das kleine Stück in der chora. Ich habe meine Lektion gelernt, Mardian. Ich werde keine Nacht mehr in einem Wüstenzelt zubringen.«
»Ihr werdet weder das Volk in der Stadt noch die Menschen bei Hof täuschen können.«
»Daran liegt mir nicht. Ich habe jetzt Caesars Legionen hinter mir, so daß sie es gar nicht wagen werden, sich zu widersetzen. Und wenn ich auch noch die Getreidekammer der chora in der Hand habe, werden sie mir huldigen, selbst wenn sie mich nicht lieben.«
Mardian wirkte skeptisch. »Eine kühne Vision, Majestät.«
»Ich kenne mein Schicksal, Mardian. Kleopatra wird die Welt verändern, nicht nur Ägypten.«
Mardian schenkte ihr den gleichen mitleidigen Blick, mit dem die anderen ihn sonst bedachten. Er konnte ihr nicht folgen, hatte keine Ahnung, wovon sie redete. Nun, eines Tages würde er es begreifen.
Sie wußte, was Caesar vorschwebte. Eine folgsame Königin, ein eigenes Lehnsgebiet mit einem Marionettenhof, den er gegen den römischen Senat ausspielen konnte. Aber Caesar glaubte auch an die Macht des Schicksals, genau wie sie. Doch wenngleich sie ihr Schicksal unlösbar mit dem seinen verknüpft hatte, unterschied sich ihre Vorstellung dennoch von seiner. In ihrem Schoß wuchs nicht nur ein Kind heran, sondern der erste Sproß einer großen Dynastie. Gut, daß Mardian auch davon keine Ahnung hatte, denn sonst würde er auf der Stelle in Ohnmacht fallen.
28
Sie war sicher, daß Caesar trotz seiner einundfünfzig Jahre noch nie auf einem Prachtschiff wie diesem gesegelt war. Die thala-megos, die Staatsbarke der Ptolemaier, war so groß wie ein Vierruderer. Ein halbes Stadion, vom geschwungenen Heck bis zu dem Bug mit der Lotusblume aus libanesischem Zedernholz. Es hatte sechs Reihen für die Ruderer, Bankettsäle, Altäre für Venus, Dionysos, Isis und einen kleinen Garten. Die Tages- und Schlafgemächer waren mit süß duftendem Zedern- und Zypressenholz getäfelt, und obgleich die Einrichtung griechisch war, zierten die Wände ägyptische Motive aus Blattgold, bei denen es sich vor allem um die Nilgötter handelte - Sobek, Bastet und Kleopatras persönliche Götter, Horus und Isis.