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Sie fiel vor der Göttin auf die Knie und bedeutete ihren Dienerinnen, die Opfergaben vorzubringen: Goldschatullen mit kostbarer Myrrhe, süß riechendem Zimt und erlesenem Weißwein aus Mareotis.

»O Isis, Spenderin des Lebens, Göttin der Zehntausend Namen, Schutz und Zuflucht der Menschheit! Ich, Kleopatra, bin zu dir gekommen, um dein Antlitz zu sehen und dich anzuflehen um die Herrschaft über meine Länder.«

Sie sah, wie die Priester Weihwasser versprengten, während die Altardiener mit hohen Stimmen ihre Hymnen anschlugen. Sie beugte sich vor, um den Weihrauch zu entzünden, und fühlte, wie ihr schwindelte, als sich der schwere, würzige Duft entfaltete.

Als es Nacht wurde, stiegen die Nebel aus den Papyrussümpfen, und unzählige Insekten schwirrten um die Öllampen. Die Hitze des Tages war gewichen, die Sternennacht war klar und kalt. Kleopatra fröstelte unter ihrem Umhang, als sie neben Caesar auf der königlichen Barke stand.

Caesar störte weder Kälte noch Hitze. Er steckte in derselben Tunika, die er auch in der glühenden Tageshitze getragen hatte, und gab die braunen Arme und Beine der Natur preis. Er wirkte tief in Gedanken versunken. Die Ereignisse des Tages schienen ihn zu beschäftigen. Also haben wir Caesar doch endlich beeindrucken können, dachte Kleopatra.

»Als wir hier ankamen, haben sie dich behandelt wie eine Göttin«, sagte er nach einer Weile.

»Als Königin von Ägypten bin ich eine Göttin. Vielleicht nicht in Alexandria, doch hier in der chora und für die Priester bin ich die Inkarnation der Isis.«

Er runzelte die Stirn. Die Vorstellung widersprach dem, was er in Rom gelernt hatte. Andererseits besaß sie Aspekte, die ihm eigentlich zusagen müßten. »Männer können keine Götter sein. Ebensowenig wie Frauen.«

»Das ist aber nicht das, was die Menschen hier glauben. Für sie bist du die Inkarnation Amuns, des Gottes der Fruchtbarkeit.«

Das entlockte ihm ein Lächeln. »Nun, kaum eine meiner Frauen würde das unterstreichen. Ich war viermal verheiratet und habe nur eine Tochter. Nicht sehr göttlich.«

»In Ägypten warst du fruchtbar. Ein kräftiger Same braucht einen kräftigen Boden.«

Er gab keine Antwort.

»Ich glaube, es würde dir gefallen, wenn Rom vor dir kniete, so wie die Priester heute vor mir.«

»Das ist ein frevelhafter Gedanke.«

»Aber verlockend, findest du nicht?«

Er wandte sich ab. Offenbar wollte er ihr seine Meinung dazu nicht anvertrauen. Die Lehmkuppel eines Nilometers zeichnete sich zwischen den schwarzen Konturen der Palmbäume ab, jenseits davon sah man den dunklen Schatten der Nachbarinsel und das Eingangstor eines Tempels.

»Was liegt dort hinten?«

»Das ist Biggeh, der Ort, an dem Osiris begraben liegt. Der Bruder und Gemahl der Isis.«

»Daher bezieht ihr also eure... Praktiken.« Kleopatra erkannte den Spott in seiner Stimme.

»Ein Ägypter würde sagen: Was für die Götter gilt, das gilt auch für Menschen.«

»Und du glaubst das?«

»Ich glaube, daß der Ptolemaier, der Ägypten regiert und es zu neuer Blüte führt, sein Land verstehen muß. Du denkst zu sehr wie ein Römer, um Ägypten zu begreifen.«

Caesars Gesicht wirkte wie eine steinerne Maske. »Erzähl mir die Geschichte dieser Götter.«

Sie holte tief Luft und überlegte, wo sie am besten anfangen sollte. Die Göttergeschichte war nicht so einfach. »Vor langer, langer Zeit lebte Osiris als großer König«, begann sie. »Er schenkte der Welt die Schreibkunst, den Ackerbau und die Kultur, führte die Menschheit von der Barbarei zur Zivilisation. Er herrschte über die Länder der Erde, aber er benutzte keine Waffen, sondern die Macht der Worte, der Lieder und der Musik. Isis war seine Frau. Sie war berühmt für ihre Liebe und Treue zu ihm. Aber Seth, Osiris' Bruder, wurde eifersüchtig und tötete Osiris. Er zerhackte den Körper in vierzehn Teile und verstreute sie über Ägypten. Isis jedoch suchte so lange, bis sie die Teile wiederfand. Alle, bis auf eins. Den Phallus nämlich entdeckte sie nicht. Sie fügte die Teile wieder zusammen und schenkte ihrem Mann das ewige Leben. Vor seiner Reise in die Unterwelt verbrachte sie eine letzte Nacht mit ihm. Dabei wurde Horus gezeugt, ihr Sohn. Als Horus erwachsen war, rächte er sich an Seth, indem er ihn tötete, und bestieg den Thron von Ägypten. Jetzt ruht Osiris im Reich der Toten, doch Isis ist die Spenderin des Lebens, die Große Mutter, die Göttin der Liebe und der Barmherzigkeit.«

»Wie will ein Mann ein Kind zeugen, wenn ihm das Wichtigste fehlt?«

»Er war ein Gott«, entgegnete Kleopatra schlicht.

Sie wußte nicht, ob er das verstehen würde. Doch auch in Rom gab es schließlich Isistempel. Wahrscheinlich betrachtete er jedoch die Göttin wie die meisten Römer einfach nur als Göttin der Frauen, in deren Tempel Prostituierte warteten und sich die Liebespaare heimlich trafen. Für ihn gab es nur Jupiter, den Gott der Fülle, und Mars, den Gott des Krieges. Sagten ihm Begriffe wie Sühne und Auferstehung überhaupt etwas? Verstand er, daß er für die Ägypter der wiedergeborene Osiris war? Hatte sich die Spinne endlich in ihrem eigenen Netz verfangen?

Hatte er, obwohl er sie beherrschte, sich endlich doch ihrem Leben anheimgegeben? Hatte sie ihn schließlich eingewoben in das Gespinst ihrer Träume?

»Und nun wohnt Isis in einem Tempel neben seiner Grabstätte?« erkundigte er sich.

»Richtig. Aber alle zehn Tage wird die goldene Isis-Statue, die wir gesehen haben, auf einer heiligen Barke über den Fluß gesetzt, damit sie den geliebten Gemahl besuchen kann.«

»Und den geliebten Bruder!« murmelte Caesar. Sein Widerwille war unverkennbar.

»Nun, es kann nicht die ganze Welt so rein sein wie Rom«, entgegnete Kleopatra. An seinem wütenden Gesichtsausdruck erkannte sie, daß sie ins Schwarze getroffen hatte.

Lange Zeit blieb er still. Sie lauschte dem Quaken der Frösche in den Sümpfen. Dann sagte er mit einemmaclass="underline" »Hast du schon einmal daran gedacht, wieder zu heiraten?«

Sie wandte sich abrupt zu ihm um. Ihr Herz fing so wild und stürmisch zu schlagen an wie das eines jungen Mädchens. Seit sie wußte, daß sie sein Kind erwartete, hatte sie kaum an etwas anderes gedacht. Sie zwang sich jedoch zur Ruhe, ehe sie antwortete.

»Heiraten?« fragte sie mit gespielter Verwunderung. Aus dem Dickicht des Schilfs drang der Schrei eines Hähers.

»Du hattest recht, als du sagtest, Caesar dächte zu sehr wie ein Römer. Ich sollte wie ein Ägypter denken - wie du. Daher scheint mir, daß du, ehe die Menschen erneut unruhig werden, den kleinen Antiochos heiraten solltest. Das wäre doch ägyptisch gedacht, oder nicht?«

Oh, du dampfender Haufen Krokodildung! schleuderte sie ihm innerlich entgegen. Du willst mich also ein zweites Mal verraten! »Antiochos ist erst zwölf Jahre alt.«

»Das tut wenig zur Sache. Er wird anderes junges Blut daran hindern, ein Auge auf dich und Ägypten zu werfen.«

»Ich brauche keinen Antiochos.«

»Aber du hast mir gerade erklärt, daß die Geschwisterehe nach Art der Götter ist und insofern auch die deine, nicht wahr? Und eine Königin kann nun einmal nicht allein regieren. Ohne Gemahl werden dich fremde Prinzen umwerben.«

»Ich trage dein Kind!«

»Oh, keine Sorge, man wird es kaum für das deines Bruders halten.«

»Weil jeder weiß, wessen Kind es ist.«

Er zeigte das selbstgefällige Lächeln eines Mannes, der all seine Probleme gelöst glaubt. Und das waren sie ja schließlich auch. Wieso verwunderte sie diese neuerliche Tücke eigentlich? Die Vermählung mit einer ägyptischen Königin würde sein Leben nur unnötig erschweren. So war es der einfachste Weg.

Und - hatte sie nicht erreicht, was sie wollte? Sollte sie sich etwa aufführen wie ein verwöhntes Prinzenkind, so wie Arsinoe oder Ptolemaios mit dem Fuß aufstampfen, nur weil nicht alles nach ihrem Willen ging? Caesar trachtete lediglich nach der Erhaltung seines Besitzes, und zwar so, wie er es für richtig hielt.