Einen Moment lang dachte sie, er würde sie schlagen. Sein Gesicht war weiß geworden. Sie hatte ihn bis aufs Blut gereizt.
»Verschwinde!« zischte er.
»Wenn du mich jetzt haßt«, flüsterte sie, »dann nur, weil ich dir die Wahrheit gesagt habe.«
War sie zu weit gegangen? Nun, mochten die Würfel fallen, wie sie wollten. Sie hatte nicht um Ägypten gekämpft, um nur nach seiner Pfeife zu tanzen. Es war das erste Mal, daß sie sich ihm gegenüber behauptet hatte, doch jetzt konnte sie es sich leisten. Es gab keinen Ptolemaios und keine Arsinoe mehr, durch die er sie ersetzen konnte. Außerdem hatte er ihr selbst gezeigt, wie man andere besiegt, und das war eine Lektion, die sie nicht so rasch vergessen würde. Wie sie ihm bereits zu Beginn ihrer Bekanntschaft zu verstehen gegeben hatte, war sie stets eine gelehrige Schülerin gewesen.
Am darauffolgenden Tag wurde Kleopatra, als letzte Maßnahme Caesars, zum zweiten Mal mit einem ihrer Brüder verheiratet. Antiochos schien kaum zu begreifen, was um ihn herum geschah. Man glaubte ohnehin, daß die Furcht, die er in seinen jungen Jahren bereits durchlebt hatte, die Entwicklung seines Geistes behindert hatte. Wieder leitete Pshereniptah die Zeremonie und bat Isis um ihren Segen. Sie tauschten die üblichen Treueschwüre aus, und schließlich ernannte Caesar Antiochos zu Ptolemaios XIV. von Ägypten.
Kleopatra fing Caesars Blick auf und meinte Befriedigung darin zu lesen. Seit ihrem letzten Gespräch hatten sie sich auf den Austausch von Höflichkeiten beschränkt. Auch als er später am Tag zu ihr kam, um sich von ihr zu verabschieden, hielt er sich strikt an das Protokoll und umarmte sie nicht.
Dennoch bereute sie ihre Worte nicht. Sie wußte, daß sie in ihm schwären würden, über Monate, vielleicht sogar jahrelang, bis zu dem Tag, an dem sie sich wiedersähen. Kleopatra von Ägypten würde er jedenfalls nicht mehr vergessen.
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Isis, die Große Mutter. Ihr Gesicht leuchtete gnädig zu Kleopatra herab. Der schwere Kampfergeruch des Weihrauchs, die Gesänge der Priester und das Rasseln der Sistren hüllten sie ein. Unter ihr rollten die Wellen heran und brachen sich klatschend am felsigen Ufer.
Kleopatra schaute kniend zu dem glatten weißen Marmorgesicht der Göttin auf, zu dem Kopfschmuck, der Mondscheibe und den Hörnern Hathors. Sie ist die Göttin, aber sie ist auch eine Frau.
Die Steine vor dem Altar waren abgewetzt von den vielen Knien, die darüber gerutscht waren, wenn die Menschen um Gnade flehten. Zu Füßen der Großen Mutter lagen die Opfer unzähliger Hände, vertrocknete Blumen, schimmelndes Brot. Die Gefäße mit Ziegenmilch tranken in der Regel die Priester leer.
Kleopatra bot Isis einen Kranz aus Rosen dar und einen Steinkrug, der mit bestem attischem Honig gefüllt war. »Isis, große, barmherzige Mutter«, flüsterte sie. »Laß mein Kind ein Junge sein. Laß mich Caesar einen Sohn schenken. Einen Sohn, der Ägypten rettet.«
Sie legte ihre Gaben zu Füßen der Statue ab. Iras und Charmion stützten sie, als sie sich erhob und sich auf den Weg zurück zum Palast machte. Sie spürte, wie das Kind in ihrem Leib um sich trat.
Das Kind kam im Sommer auf die Welt, als Alexandria von milden Lüften umweht wurde und der Hafen in der Sonne wie Quecksilber glitzerte. Kleopatra hatte die Stricke des Stuhls fest um die Handgelenke geschlungen. Sie bäumte sich auf, als die Schmerzen begannen. Dann schloß sie die Augen und ballte die Hände zu Fäusten, spürte, wie der Schweiß in Rinnsalen über ihren Körper lief, hörte die Ermahnungen der Hebammen schwach aus der Ferne, als kämen sie vom Ende eines langen Tunnels der Qual. Sie krümmte sich und schrie, spürte kaum, wie Charmion ihr das Gesicht mit einem feuchten Tuch abrieb.
Doch dann war das Kind da. Es war eine schwere Geburt gewesen, die Stricke hatten Striemen auf den Handgelenken hinterlassen, und die Hebammen hatten Mühe, ihr die verkrampften Finger zu lösen. Anschließend trugen sie sie zu ihrem Lager, wuschen das Kind mit warmem Rosenwasser und legten es ihr an die Brust.
Sie war nicht vorbereitet gewesen auf den Ansturm der Gefühle, der sich ihrer bemächtigte, als sie das kleine runzlige Gesicht zum ersten Mal sah. Du wirst es einmal besser haben, mein Schatz. Du wirst deine Geschwister nicht wie ich bekämpfen müssen und sie als Gegner verfluchen. Ich gebe dir alles, was ich nicht hatte, für dich wird die Krone kein vergifteter Pokal sein.
»Es ist ein Junge«, flüsterte Charmion. Kleopatra weinte vor Freude. Ein Junge. Caesar hatte einen Sohn. Ägypten einen Erben.
Mardian kam auf Zehenspitzen in das Gemach, das Gesicht glühte vor Aufregung. Man möchte meinen, er sei der Vater, dachte sie. Er spähte in das Kinderbettchen, schlug die Decke zurück, um den schlafenden Säugling besser betrachten zu können.
»Er gleicht Euch«, sagte er.
»Er gleicht einer Meergurke. Warten wir ab, wie er aussieht, wenn er erst einmal Zähne und Haare hat.«
Mardian ging über ihre Worte hinweg. Inzwischen hatte er sich an ihre Ironie gewöhnt. »Wißt Ihr schon, wie Ihr ihn nennen werdet?« fragte er.
Kleopatra antwortete nicht gleich. Sie schloß die Augen, stellte sich das Gesicht der Mutter Isis vor und sah, daß sie lächelte. Sie hatte verstanden. Die Vorhänge bewegten sich nur sacht in der weichen Brise. Der Turm von Pharos glänzte wie Butter in der späten Sonne des Nachmittags.
»Majestät?«
»Ich werde ihn... Ptolemaios Caesar nennen.«
Mardian zuckte zurück. Dann stöhnte er leise auf. »Möchtet Ihr das nicht noch einmal überdenken, Majestät?«
Es fiel ihr schwer, nicht laut aufzulachen. Ein seltsames Gefühl des Stolzes durchflutete sie, obwohl sie doch eigentlich nur einen ganz normalen Vorgang hinter sich gebracht hatte. Sie hatte einen Jungen geboren. Und doch war es etwas Besonderes, denn dieser Junge war Caesars Sohn. Keine römische Frau hatte das bisher geschafft. Und er hatte ihnen weiß Gott genug Gelegenheit gegeben. Nun, da hätten sie im Senat jedenfalls endlich ein Thema, über das es sich zu reden lohnte. »Warum sollte ich das noch einmal überdenken, Mardian?«
»Aus unzähligen Gründen, nicht zuletzt wegen der öffentlichen Mißbilligung.«
Sie tat so, als wüßte sie nicht, wovon er redete. »Ist er denn nicht Caesars leiblicher Sohn?«
»Erkennt Caesar ihn an?«
»Mir gegenüber schon. Wer sonst sollte wohl der Vater sein? Du möchtest doch meinen Lebenswandel nicht in Frage stellen, Mardian, oder?«
Der Ärmste wurde ganz blaß. »Erlauchte Majestät... das würde mir niemals in den Sinn kommen«, hauchte er. »Doch wenn Caesar die Vaterschaft nicht offiziell anerkennt, könnt Ihr auch seinen Namen nicht verwenden.«
»Er ist der Vater des Kindes. Wozu brauche ich seine offizielle Anerkennung?«
»Weil es das römische Gesetz verlangt.«
»Wir sind aber nicht in Rom, sondern in Ägypten. Julius Caesar ist der Vater meines Sohnes. Die ganze Welt soll es erfahren.«
Er starrte sie an, und seine Miene verriet eine Mischung aus Ehrfurcht und Angst. Wieder einmal hatte er sie unterschätzt. Genau wie die anderen. Jetzt würde sie allen zeigen, daß sie aus eigenem Recht Königin war und keineswegs nur von Caesars Gnaden. Bisher hatte man sie nur als das Mädchen betrachtet, das sich vor dem römischen Feldherrn geduckt hatte, um den Thron wiederzuerlangen. Ein Kind ließ die Sache jedoch in einem ganz anderen Licht erscheinen. Caesar mochte ja glauben, daß er sie besaß, doch nun hatte sie seinen Sohn -nun besaß die Sklavin auch den Herrn.
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