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Es war das neue Jahr des ägyptischen Kalenders, und wieder einmal hatte der Nil sie im Stich gelassen. In den ersten beiden Jahren ihrer Herrschaft hatte es eine Dürre gegeben. Jetzt hingegen flössen die Wasser in Strömen. Der Fluß trat über die Ufer, überflutete die Felder und spülte die Dämme fort, die ihm in gemäßigteren Zeiten Einhalt geboten. Überall im Land kletterten Kleopatras strategoi in die Nilometer und spähten bangen Blicks auf den Stand des Pegels. Innerhalb eines Monats war die Flut in den Schleusen höher gestiegen, als sich die Menschen in der chora zu erinnern wußten.

Das Land glich einem Binnenmeer, aus dem die höhergelegenen Dörfer und Städte wie Inseln aus einem Ozean ragten. Im Niltal lösten sich die Lehmhütten auf, und die Ernte verschwand unter den Wassermassen. Doch nicht genug, daß dem Land eine Hungersnot drohte, Kleopatra mußte auch mit den Folgen rechnen, die das Hochwasser nach sich zog. Zuerst mit den Insekten, danach mit den Mäusen, dann den Schlangen und schließlich mit den Seuchen, die aus dem fauligen Wasser stiegen.

Kleopatra berief ihre Minister zu einer Notversammlung ein. »Alles Getreide, das zu retten ist, muß in die Speicher jenseits des Flusses geschafft werden. Baut neue Speicher, wenn es sein muß. Außerdem müssen Rationierungspläne erstellt werden. Die Armee wird die Maßnahmen überwachen. Sollte sich auch nur ein Soldat zu bereichern suchen, wird er sich mir gegenüber verantworten, wobei auf Gnade nicht zu hoffen ist.« Sie schaute in die Runde. »In guten Zeiten zahlen uns die Menschen Steuern, in schlechten stehen wir ihnen bei. Sonst ist man den Kopf schneller los, als man denkt.«

»Selbst wenn wir rationieren, lassen sich nicht alle sättigen«, hielt Mardian ihr entgegen.

»Dann müssen wir eben Getreide dazukaufen.«

»Das hieße die Staatsreserven plündern. Der Preis für Gerste und Weizen ist allenthalben gestiegen.«

»Tu, was du kannst, und zahle, was verlangt wird. Wenn das Land die Königin lieben soll, muß die Königin auch das Land lieben.«

Kleopatra hatte nicht vergessen, daß es die Priester und fellahin Oberägyptens gewesen waren, die ihr im Kampf gegen Pothinos beigestanden hatten. Jetzt war es an ihr, die Schuld zu begleichen.

Kleopatra hatte, wie es ihr zur Gewohnheit geworden war, bis tief in die Nacht gearbeitet, um die Aufstellungen zu prüfen, die ihr die strategoi überlassen hatten. Es war wieder Winter geworden, und draußen tobte ein heftiger Sturm. Der Luftzug, der durch die Fenster drang, strich um die Kohlebecken und ließ die Asche rot aufglühen.

Sie griff nach den Berichten, die ihr Mardians Spitzel aus Mauretanien geliefert hatten. Caesar stand kurz vor der Konfrontation mit Gnaeus und Sextus, den Söhnen Pompejus', und dem fanatischen Republikaner Cato. Nachdem jene nach Afrika geflohen waren, hatten sie sich mit ihren restlichen Legionen mit Juba verbündet, dem König von Numidien, um Caesar mit neuen Kräften anzugreifen.

Im Gegenzug hatte sich Caesar mit den mauretanischen Königen Bogud und Bocchus zusammengeschlossen. Wie es seine Art war, hatte er einem von ihnen bereits Hörner aufgesetzt, denn es hieß, daß Boguds Frau, Eunoe, Caesars Geliebte sei.

Mein Julius, dachte Kleopatra. Wenn er mit seiner Lanze nicht vor den Feinden herumfuchtelt, steckt er sie in die Frauen seiner Freunde. Kein Wunder, daß ihm seine Leibgarde auf Schritt und Tritt folgen muß.

Mardian hatte die Berichte geschönt und versucht, die Hinweise auf die mauretanische Königin zu verbrämen. Als ob sie sich um Caesars Bettgenossinnen scherte! Sehr viel größere Sorge bereitete ihr der römische Senat. Und die Frage, ob Caesar überleben würde.

Was würde geschehen, wenn Caesar in der Schlacht fiele? Sie glaubte nicht, daß der Sieg in Afrika so leicht zu erringen sein würde wie der bei Pharsalos. Veni, vidi, vici! - gut und schön. Dennoch wußte sie nicht, was aus ihr werden würde, wenn ihm etwas zustieße.

Nun, sie würde ihr Schicksal den Göttern überlassen. Isis sollte entscheiden, ob sie Caesar unversehrt ließ und seine Feinde zerstörte.

»Das ist mein Geheimgarten«, sagte Olympos.

Im Palastviertel gab es viele Gärten, und Kleopatra hätte geschworen, daß sie alle kannte, doch in diesem Eckchen des Brucheion war sie noch nie gewesen. Olympos bezeichnete es als seine »Werkstatt«. Es war von den Mauern des Museion und einem Flügel der Bibliothek umgeben, so daß einige der Beete bereits früh am Nachmittag im Schatten lagen. Etliche Gärtner machten sich mit schweißglänzenden Rücken an den Büschen und Sträuchern zu schaffen.

»Ein hübsches Fleckchen«, sagte sie.

»Wenn Ihr gestattet, Majestät, ich fürchte, Ihr seht nur die Blumen und sonst nichts.«

Sie blickte ihn fragend an.

»Seht her«, ermunterte er sie, beugte sich nieder und zupfte ein Blatt ab.

»Unkraut«, erklärte Kleopatra. »Deine Gärtner scheinen pflichtvergessen.«

»Das ist Bilsenkraut. Ihr findet es überall auf den Feldern. Die Wurzel tötet den Menschen in kürzester Zeit. Ein garstiger Tod. Oder dort drüben.« Er deutete auf einen hüfthohen Strauch mit zarten weißen Blüten. »Schierling.«

Sie starrte hinüber. Das hatte Sokrates verwendet, der sein Leben lieber selbst beenden wollte, als sich den Henkern zu überantworten.

»Das Gift lähmt den Menschen und verursacht heftige Schmerzen, ehe es ihm die Seele raubt. Doch mein Garten dient nicht allein dem Tod. Ich ziehe hier, was ich brauche. Aus dieser Pflanze entsteht zum Beispiel ein Trank, der die Empfängnis verhindert. Jene hier ergeben ein belebendes Elixier. Oder die Aloe - sie ist nicht schön, doch ihr Mark hat heilende Wirkung. Jedes Gewächs in diesem Garten hat seinen Nutzen. Aus manchen macht man Aufgüsse oder Salben, die den Blutstau verhindern, andere bilden Essenzen, die dem Körper Gifte entziehen.«

»Oder sie ihm zuführen«, entgegnete Kleopatra und ließ den Blick über das sonnige Plätzchen schweifen, wo der Tod gepflanzt und umhegt wurde. »Ich sollte froh sein, daß du mein Freund bist.«

Olympos machte eine verlegene Geste. Er gehörte zu den Besten, die das Museion je hervorgebracht hatte, und seine Kenntnisse als pharmakon waren unübertroffen. »Der Tod kommt nicht immer als Feind«, murmelte er. »Er kann auch Erlösung sein vom Übermaß des Lebens. Doch Ihr seid noch zu jung, um das einzusehen. Die Jungen wollen ewig leben.«

»Ich bin überrascht. Ich hätte geschworen, daß du deine Tage im düsteren Labor verbringst, Tränke mischst und nie das Licht des Tages erblickst.«

»Der pharmakon lebt in der Natur, nicht in der dunklen Kammer. Draußen habe ich gelernt, daß die Natur gibt und nimmt. Sie kennt keine Furcht vor dem Tod. Nur der Mann begegnet dem Tod mit Schrecken.«

»Auch die Frau«, antwortete Kleopatra. Ihr fröstelte im Dämmerlicht der Schatten. Sie redeten zuviel vom Tod an diesem lichten Tag. »Ich hoffe, daß ich deiner Dienste nie bedarf.«

Er zuckte die Achseln. »Jeder bedarf meiner Dienste irgendwann einmal. Jeder. Vor allem die Königin von Ägypten.«

Trotz Mardians anfänglicher Einwände wurde der Junge für sie, für die Dienerschaft und schließlich für alle am Hof Caesarion - der kleine Caesar. Kleopatra richtete einen Raum für ihn ein, den sie mit duftenden Gräsern von dem See Genezareth ausstattete. Dort lag er nun in seinem Bettchen, roch das Salz des Meeres, hörte, wie die Wellen gegen die Hafenmauern brandeten, und schaute gebannt auf die Seidenvorhänge, die sich im Windhauch blähten.

Ja, er sieht aus wie Caesar, dachte Kleopatra. Die gleichen dunklen, wachen Augen, die gleichen Haare - nur daß er schon jetzt mehr davon hatte -, das gleiche Kinn. Mein kleiner ägyptischer Gott. Mein Ptolemaios, mein Caesar.

Auch in der Veranlagung ähnelte er Caesar. Essen interessierte ihn nicht, er war eher zum Spielen aufgelegt. Und er war robust. Nicht einmal während des langen alexandrinischen Winters litt er an Husten. Sein kleiner Körper hatte eine gesunde braune Farbe.