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Der Triumphzug begann am Marsfeld, zog an den Kolonnaden des Circus Maximus vorbei, der großen Arena, die sich zwischen den Hügeln des Palatin und Aventin erstreckte, und von dort aus zum Forum Romanum, einem häßlichen Platz voller Tempel, Statuen und öffentlicher Gebäude. In der Mitte dieses Platzes befand sich eine breite Tribüne, die Rostra, von der aus die Tribunen ihre Volksreden hielten. Für Kleopatra stand das Forum sinnbildlich für Rom: eine wahllos zusammengewürfelte Anhäufung von Machtmonumenten, getragen von einer richtungslosen Architektur, die sich blindlings der Kopien aus aller Welt bediente. Ohne Harmonie, ohne Maß, ohne Form. Die Ästhetik von Barbaren.
Man hatte ihr und ihrem Gefolge Plätze auf einer Tribüne mit schattenspendenden Seidenbaldachinen zugewiesen, von denen aus man einen Blick über das gesamte Forum hatte. Für Kleopatra selbst war ein Ehrenplatz vorgesehen, gleich neben Calpurnia, Octavian und anderen Mitgliedern aus Caesars Kreis. Antiochos saß neben ihr, still wie immer, eingeschüchtert von dem Anlaß wie auch der Menschenmenge, die sich versammelt hatte.
Kleopatra war sich bewußt, daß sie von allen angestarrt wurde. Mardian hatte ihr berichtet, daß man in Rom über nichts anderes redete als über ihre Verbindung mit Caesar und daß man sich die Mäuler zerriß über das, was in dem Haus an der Via Campana vor sich ging.
Es war nicht nur das gemeine Volk, das sie angaffte. Mehrmals spürte sie, daß auch Calpurnias Blicke auf ihr ruhten. Desgleichen die von Octavian, der hinter ihr Platz genommen hatte. Er befand sich in Gesellschaft von Agrippa und Maecenas, weiteren geckenhaften Menschen von Rang. Sie wollte sich gar nicht ausmalen, was sie miteinander trieben, wenn die Kerzen verlöscht waren.
Es herrschte eine ausgelassene Volksfeststimmung. Die Straßen und Tribünen barsten schier vor Menschen, die Luft war durchtränkt von ihrem Schweißgeruch und dem Weihrauch, der aus den Tempeln quoll.
An dem immer lauter werdenden Stimmengewirr erkannte sie, daß sich der Zug allmählich näherte. Der Applaus und das Geschrei der Menge schwoll zu ohrenbetäubendem Gebrüll an, als er in die Via Sacra bog, vorbei am Tempel von Castor und Pollux und der halbfertigen Eingangshalle des neuen julianischen Forums. Die Herolde mit den Trompeten tauchten als erste auf, danach die Priester des Jupiter-, Apollo- und natürlich des Venustempels, Caesars ureigenster Ahnfrau. Hinter ihnen drängten sich, nach Rangordnung gestuft, verschwitzt und altersschwach, die Magistrate und Senatoren der Republik.
Dahinter wiederum endlose Reihen hölzerner Fuhrwerke, die unter dem Gewicht von Goldtellern und Silberpokalen ächzten -unzählige Beutestücke, die man aus Gallien herausgeschleppt hatte. Es waren deren so viele, daß es mit der Zeit ermüdend wurde, sie zu bewundern. Selbst das Volk wurde unruhig. Offenbar gab es nur eine bestimmte Menge Gold, die das Auge ertragen konnte.
Den Fuhrwerken folgte die Armee. Zuerst die schwere Reiterei, furchteinflößend in goldenen Helmen mit heruntergeklappten Visieren, die die Gesichter im verborgenen ließen. Danach kamen die Fußsoldaten. Die Standartenträger reckten die Adlerwappen der Legionen hoch in die Luft, gemeinsam mit den Tafeln, die die Namen der Schlachten trugen: Agedincum, Lugdunum, Gregovia, Alesia.
Die Soldaten sangen, als sie in das Forum marschierten, und die Menge grölte und lachte.
Römer, schließt eure Frauen ein, heim kommt der kahle Hurensohn, all das Gold, das ihr ihm schenktet, ward der gallischen Dirnen Lohn.
Sie hörte, wie Agrippa hinter ihr anfing zu glucksen und fragte sich, ob Calpurnia das auch so lustig fand wie er.
Am Ende des Zuges tauchten nun Caesars Gefangene auf, die schwer an ihren Ketten trugen und von Wachen umringt waren. Die Haare waren verklebt und die Bärte in den langen Jahren der Gefangenschaft wild gewuchert. Sie waren dreckig und zerlumpt, trugen nur Fetzen aus Leder und Fell. Einer schlurfte hinter dem anderen her, geschundene, jämmerliche Gestalten, geblendet vom plötzlichen Tageslicht und umjohlt von der Menge, die sie mit Unrat bewarf.
Als letzter und allein ging Vercingetorix, der kühne Häuptling, der Caesar so viele Jahre lang mutig getrotzt hatte. Auch die sechs Jahre im Tullianum-Gefängnis hatten ihn nicht gebrochen. Mit hocherhobenem Kopf blickte er auf das Volk, das die Straßen säumte, und die Menschen wurden stumm und schauten betreten zu Boden.
Doch dann brach die Menge in ekstatische Begeisterungsstürme aus. Caesar erschien. Auf einem goldenen Wagen, gezogen von vier Schimmeln, das Elfenbeinszepter mit dem römischen Legionsadler in der linken, einen Lorbeerzweig in der rechten Hand. Hinter ihm stand ein Sklave, der die schwere Goldkrone Jupiters über sein Haupt hielt.
Der Zweck dieses Sklaven, so hatte man Kleopatra erklärt, sei zweifacher Natur. Zum einen trug er das Gewicht der Krone, deren Bürde zu schwer war, um auf dem Haupt eines Menschen zu ruhen. Zum anderen war es seine Aufgabe, den Triumphator an die eigene Sterblichkeit zu gemahnen. Während der Prozession, in der der Gefeierte die Huldigungen des Volkes entgegennahm, hatte er ihm zuzuflüstern: Schau hinter dich! Denke daran, daß du Mensch bist.
Diese Römer, dachte Kleopatra kopfschüttelnd. Auf was für verrückte Ideen sie kamen!
Sie wandte sich nach hinten um. »Die Gefangenen«, sagte sie zu Octavian, »was geschieht mit ihnen?«
»Man bringt sie in die Kerker unter dem Tullianum, wo sie hingerichtet werden.«
Sie betrachtete ihn voller Abscheu. »Caesar hat Vercingetorix sechs Jahre lang gefangengehalten, um ihn dann einen Tag lang vorzuführen und ihn anschließend umbringen zu lassen?«
Der Junge zuckte mit den Schultern. »Warum nicht?« erwiderte er feixend.
Mein Julius, dachte sie. Welch ein rätselhafter Mensch er doch ist! Ein Mann der Nachsicht und der Grausamkeit. Bei seiner Unberechenbarkeit ist es überhaupt nicht so abwegig, daß er mich zu seiner Königin macht.
Dann war alles vorbei. Die Menge löste sich auf und drängte sich aus dem Forum. Über die Via Sacra schaukelte bereits der erste Sänftenzug auf den Circus Maximus zu, wo das heiß ersehnte Nachmittagsspektakel stattfinden sollte.
Als sie den Circus erreichten, mühte sich schon eine Vielzahl an Legionären, die neuerlichen Menschenmassen in Schach zu halten. Kleopatra und Antiochos leitete man an allen vorbei zu den Stufen des Stadions. Als sie die Arena betrat, schaute sie verblüfft um sich. Die Sitzreihen türmten sich in die Höhe, und ein Gewirr aus Lärm und Farben ergoß sich darüber wie aus einem Trichter. Caesar hatte ihr gesagt, daß der Circus hundertfünfzigtausend Menschen faßte, doch sie hatte das bislang als leere Prahlerei abgetan.
Ihr und Antiochos wurden die vergoldeten Stühle zwischen dem Satrapen von Galatien und Bogud, dem König von Mauretanien, zugewiesen. Kleopatra warf einen verstohlenen Blick auf Boguds Königin Eunoe. Also wirklich, Caesars Ansprüche mußten arg gesunken sein.
Sie wurde von Caesar offiziell begrüßt, der sich bereits auf seinem Ehrenplatz eingefunden hatte. Er war mit einer prächtigen fransenbesetzten Toga bekleidet, über die ein breiter Purpurstreifen lief, und trug den goldenen Lorbeerkranz auf dem Haupt. Neben ihm saßen Calpurnia und Octavian.
»Was geschieht jetzt?« flüsterte Antiochos.
»Irgendeine Form der Unterhaltung«, antwortete Kleopatra.
»Werden Tänze aufgeführt?« fragte er.
Sie zog es vor, ihm keine Antwort zu geben. Man hatte ihr bereits warnend zu verstehen gegeben, was von der römischen Form der Freizeitgestaltung zu erwarten sei.
Um die Arena war ein Wassergraben gezogen worden, dessen Funktion Kleopatra bald entschlüsseln sollte. Als die Herolde die Trompeten erschallen ließen, verstummte die Menge. Caesar stand auf und hob die rechte Hand. »Laßt die Spiele beginnen!« rief er.