Wenn Kleopatra sich zu diesem Zeitpunkt entschlossen hätte, nach Alexandria zurückzureisen, hätte man sie in diesen Kreisen vielleicht sogar verehrt.
Kleopatra und Caesar waren nie vollkommen allein. Selbst wenn sie in den Gärten des Hauses spazierengingen, war seine Leibwache zugegen, strich durch die Gegend oder lagerte in kleinen Gruppen zu Füßen der Statuen und Brunnen. Doch zumindest entkamen sie draußen den neugierigen Augen und Ohren der Hausdienerschaft.
An einem späten Nachmittag schlenderten sie über einen schmalen Weg, der von der Jupiterstatue wegführte. Die Bäume färbten sich schon in herbstlichem Rotgold, und unter die Hecken hatte der Wind Blätterberge geweht.
»Ich werde noch in dieser Woche nach Spanien aufbrechen«, sagte Caesar.
Sie erwiderte nichts. Sie hatte Angst.
»Und wer regiert Rom, während du fort bist?«
»Ich habe einen Rat aus acht Stadtpräfekten nominiert. Sie haben die Macht, den Senat zu überstimmen, und agieren in meinem Namen.«
»Was ist mit diesem Marcus Antonius?«
Ein bitteres Lächeln spielte um seine Lippen. »Ich glaube nicht, daß das noch einmal gutginge.«
»Oh. Aber man redet über ihn, als würde er der nächste Caesar.«
»Marcus Antonius folgt Befehlen, er erläßt sie nicht. Schau dir seine Frauen an - nur als Beispiel.«
»Seine Frauen?«
»Man kann einen Mann immer nach seinen Frauen beurteilen. Antonius' Frauen waren ausnahmslos zänkische Weiber, dominierend und ohne Benehmen. Deshalb wird Antonius auch nie Rom regieren. Er herrscht ja noch nicht einmal in seinem Haus.«
»Aber er macht doch, was er will, und er wirkt wie ein Fels.«
»Marcus ist ein großes Kind. Irgendwann rennt er wieder nach Hause zu seiner Mutter zurück.«
»Ich dachte, ihr wäret Freunde.«
»In Rom hat man keine Freunde, sondern höchstens Verbündete.« Caesar hielt inne und runzelte die Stirn. »Was sollen all die Fragen?«
»Er interessiert mich. Man behauptet, er huldige Dionysos.«
»Dionysos war ein Gott. Antonius huldigt nur dem Wein, den die Anbeter trinken.«
»Zu Hause hat man meinen Vater als neuen Dionysos bezeichnet.«
»Noch ein Säufer. Du solltest dich vor ihnen in acht nehmen.«
Kleopatra sah ihn vorwurfsvoll an. Es war beleidigend, ihr so etwas zu sagen, selbst wenn es stimmte. Caesar machte es Spaß, die Denkmäler anderer umzustoßen, während er das eigene erhöhte. »Das ist eine sehr bösartige Behauptung.«
»Ich habe es nicht gesagt, um dich zu kränken. Es ist einfach so. Dein Vater war ein Schwächling. Du bist hundertmal soviel wert.«
Es kränkte sie dennoch. Vielleicht gerade, weil es die Wahrheit war.
»Ich glaube, du hast uns alle überlistet.«
»Wie meinst du das?«
Was war das für ein Ausdruck auf seinem Gesicht? Zeigte es Bedauern? Man wußte einfach zu selten, was er dachte. »Du wolltest von Anfang an Rom erobern, stimmt's?«
Was sollte sie darauf antworten? Jeglicher Einwand hätte falsch geklungen. Ja, sie hatte es von Anfang an gewollt. Womit sie jedoch nicht gerechnet hatte, war, daß sie den Herrn Roms bewundern und er ihr... sehr lieb werden würde.
»Nun ist es fast soweit. Eine unglaubliche Leistung.«
»Wollen wir das nicht beide?«
»In der Tat. Du bist sehr klug vorgegangen.«
»Dennoch ist nichts entschieden. Wie lange müssen wir noch warten?«
»Im Moment sind die Senatoren noch die Herrscher über Rom. Wir müssen sowohl mit Umsicht als auch mit Eile vorgehen. Ich möchte unserem Sohn kein vergiftetes Erbe hinterlassen.«
»Dann wünschte ich, du zögest nicht nach Spanien.«
»Ich habe keine Wahl. Die Sache muß zu Ende gebracht werden. Wenn ich zurückkehre, wird mir niemand mehr im Wege stehen. Pothinos und seine Minister haben zwar Pompejus getötet, doch wenn ich dessen Söhne in Spanien gewähren lasse, werden sie sich bald gegen mich erheben.«
Sie blieben an einem der Springbrunnen stehen. Das Wasser sprudelte um eine Statue der Venus, der römischen Version der Göttin Isis. Göttin aller Frauen, hilf mir, diesen letzten Schritt zu tun.
Sie war fast am Ziel. Wenn sie nur wüßte, ob sie schon hoffen durfte. »Ich verstehe die Verzögerung nicht.«
»Weil du Rom nicht verstehst. Außerdem bin ich nicht der einzige mit hinderlichen Verhältnissen.«
»Antiochos«, sagte sie.
»Genau.«
»Diese Ehe war nicht meine Idee.«
Mit einem Schulterzucken gestand er seinen Fehler ein. »Das ist richtig. Doch selbst wenn du ihn nicht geheiratet hättest, stünde er im Weg. Er hat Anspruch auf den Thron Ägyptens...«
Caesar hielt abrupt inne. Dann wurde er aschfahl und sah sie an, als habe ihm jemand einen Dolch in den Rücken gebohrt. Er stieß einen dünnen Schrei aus und stürzte mit zuckenden Gliedern vornüber auf den Weg.
Dieses Mal brach sie nicht in Panik aus. Sie erkannte die Symptome, wußte, daß ihn die Götter abermals aufsuchten, genau wie damals in Alexandria. Sie rief die Wachen. Decimus kam mit etlichen von ihnen herbeigestürzt.
»Es scheint, die Götter kommen derzeit häufiger zu Besuch«, murmelte er und beugte sich über Caesar.
Aus Mund und Nase war blutiger Schaum getreten, und von den Augen sah man nur das Weiße. Es war ein beängstigender Anblick, doch nach wenigen Augenblicken ging der Anfall vorüber, und Caesar war bewußtlos. Die Soldaten trugen ihn ins Haus. Kleopatra eilte hinter ihnen her. Wenn es stimmte, was Decimus sagte - daß die Götter ihn häufiger besuchten als zuvor -, dann war bei der Angelegenheit, um die es ging, keine Zeit mehr zu verlieren.
Es war nur ein einfaches, rechteckiges Gebäude, versteckt im Schmutz und Gewirr des Aventin. Eine der Mauern gehörte zum Bau des benachbarten Theaters einer dionysischen Gruppe. Isis war in die ärmeren Viertel der Stadt verbannt worden, da sie das Mißfallen der Senatsväter erregt hatte. Die Fassade war recht kümmerlich mit vier kleinen Säulen, doch die Wände waren mit leuchtenden Grün- und Ockertönen bemalt. Isis mit Horus als Falke, Isis, die das Kind an ihrer Brust säugte. Im Schatten der Eingangshalle lungerten Prostituierte und warteten auf Kundschaft. Sie zitterten in ihren dünnen Gewändern und wirkten im Dämmerlicht müde und fahl.
Auf der Straße standen leere Sänften, deren Träger es sich auf den Stufen bequem gemacht hatten. Kleopatra hatte wie jeden Tag ihre Eskorte bei sich. Sie stieg aus ihrer Sänfte und betrat den Tempel, gefolgt von Charmion. Nach dem Schmutz und Gestank der Straße wirkte der süße Duft des Weihrauchs wohltuend und belebend.
So spät am Nachmittag waren nur wenige Besucher im Tempel. Eine Nubierin, bei der es sich wohl um eine Sklavin handelte, brachte ihre Opfer am Altar dar, zwei hochgeborene römische Damen in feinen Baumwollumhängen kehrten gerade zu ihren Sänften auf der Straße zurück. Kleopatra hörte die Hymnen, die die Priester im Allerheiligsten sangen.
Sie legte die Opfergaben der Isis-Statue zu Füßen und sandte flüsternd Gebete zur Großen Mutter. Als sie sich erhob, drang ein leises Stöhnen an ihr Ohr, und sie sah, daß sich im Schatten hinter den Säulen etwas bewegte. Sie wußte, daß die Tempeldirnen ihre Kunden im Tempel selbst bedienten und es nicht ungewöhnlich war, der Liebesgöttin auch auf diese Weise zu huldigen.
Trotzdem wagte sie einen verstohlenen Blick in die Richtung, aus der die Geräusche stammten. Einen kurzen Moment sah sie das blanke Hinterteil eines Mannes aufblitzen sowie zwei grazile Knöchel, die sich um seinen Rücken schlossen.
Der Mann - eigentlich war es noch ein Junge - drehte sich kurz um, und Kleopatra erkannte ihn. Das Gesicht der Frau war unter einem Schleier verborgen, doch sie erinnerte sich, daß sie eine der Sänften, die draußen warteten, schon früher einmal gesehen hatte - es war dieselbe, die Marcellus und seine Frau Tertullia zu Caesars abendlichem Gastmahl gebracht hatte.