Andere wiederum fanden, er ginge nicht weit genug. Eines Nachts setzte ein Unbekannter Caesars Statue in der Rostra ein Diadem auf das Haupt. Tagelang sprach man in Rom über nichts anderes. Hatte Caesar das etwa selbst veranlaßt, gewissermaßen als Versuch, um die Stimmung zu prüfen? Oder hatte ein römischer Bürger lediglich die Wünsche des Volkes ausgedrückt?
Was steckte dahinter? Wollte Caesar den Schritt des Unmöglichen wagen - die Republik beenden und sich zum König ernennen?
Spät an jenem Abend hallten eiserne Pferdehufe durch die Straße, und vor dem Haus hielt ein Wagen. Es war ein schweres vierrädriges Gefährt mit glänzendem Kutschwerk und silbernen Verschlagen, das man als carpentum bezeichnete. Es wurde von vier Schimmeln gezogen, mit einem Kopfschmuck aus tausend kleinen emaillierten Blumen. Die schwarzen Vorhänge an den Fenstern waren zugezogen.
Ein Diener öffnete den Schlag, und Caesar stieg aus.
Kleopatra empfing ihn in einem der Räume, die gleich hinter dem Atrium lagen. Ein hübscher Raum, mit üppigen Wandgemälden aus Blumengirlanden und Zweigenspalieren und einem Bodenmosaik, auf dem sich kleine Cupidos um ein Liebespaar tummelten. Das leichte Geplätscher eines Brunnens machte es neugierigen Ohren schwer, ihre Unterhaltung zu belauschen.
Caesar warf sich auf eine der Ruhebänke. Die Sklaven eilten fort, um Speisen und Wein herbeizuholen.
Kleopatra schaute ihn verwundert an. »Du bist allein gekommen? Wo ist deine Leibgarde?«
»Ich habe sie fortgeschickt.«
»Fortgeschickt? Aber warum?«
»Der Senat hat meine Person für unantastbar erklärt.«
Sie lachte und wollte ihn für seinen trockenen Humor loben. Doch er betrachtete sie mißbilligend, und sie erkannte, daß es kein Scherz gewesen war.
Was hatte er getan? »Bist du von Sinnen?« fragte sie.
»Mein Schicksal liegt in der Hand der Götter.«
Sie fing vor Wut an zu zittern. Sie konnte nicht fassen, daß er so leichtsinnig war. Es war nicht nur sein Leben, das auf dem Spiel stand, sondern ihrer aller Zukunft, ihre, die ihres Sohnes! »Wir schaffen unser eigenes Schicksal. Und deines hast du gerade besiegelt. Du hast dein eigenes Todesurteil unterschrieben!«
»Ich bin der ewigen Angst überdrüssig«, begehrte er auf. »Sie ist schlimmer als der Tod.«
»Ein Mensch sollte den Tod fürchten, anstatt ihn zu sich zu bitten.«
Er wandte den Kopf ab. »Er bedeutet mir längst nichts mehr.«
»Dann sollte dir zumindest das etwas bedeuten«, sagte Kleopatra. Sie nahm ihn bei der Hand und zog ihn über den Gang in eines der cubicula. Caesarion lag schlafend in seinem Bett aus Rosenholz.
»Sieh ihn dir an, Julius!«
Er glich seinem Vater so sehr - die Form des Mundes, das entschlossene Kinn. »Er ist dein Sohn«, flüsterte sie, »der zukünftige König der Welt, wenn du es willst.«
»Er muß seinen Weg allein gehen, so wie wir alle.«
»Du weißt, daß das nicht stimmt. Seine Zukunft hängt von dem ab, was du unternimmst.«
»Es ist der Wille der Götter«, fuhr Caesar sie an, schüttelte ihre Hand ab und verließ den Raum.
Die Götter! Er war der ungläubigste Mensch, der ihr je über den Weg gelaufen war, und nun redete er von dem Willen der Götter. Es ging auch gar nicht um seinen Glauben, sondern allein um seine Überheblichkeit - er war tollkühn und vermessen. Es machte ihm Spaß, mit dem Verderben zu spielen. Er glaubte, daß Fortuna ihren Schützlingen ewig gewogen sei, daß sein Ruhm auf Glück beruhte und nicht auf Mut und Geschick. Sie dachte zurück an jene gefährlichen Tage in Alexandria, als er Pothinos und Achillas gegenüberstand und der Pöbel gegen die Tore anrannte. Auch da hatte er unbedacht gehandelt, hatte sich in einen Kampf verwickeln lassen, wenngleich ihm sowohl Truppen wie Nachschub fehlten. Doch die Götter hatten ihm beigestanden.
Seine jüngsten Siege in Afrika und Spanien mußten ihn wieder einmal in dieser Vermessenheit bestärkt haben. Wahrscheinlich glaubte er mittlerweile selbst an das Gerücht seiner eigenen Unsterblichkeit.
Über Kleopatras Körper kroch die Angst.
14
Das Haus, das einst Pompejus gehört hatte, lag in der Carinae, etwas außerhalb Roms, ein weitläufiges Anwesen aus Stein, nicht weit entfernt von Ciceros Haus.
Es war Kleopatras erster Besuch bei Antonius, doch Caesars Hauptmann ließ sie so lange im Atrium warten, daß es bereits gegen die guten Sitten verstieß. Als er endlich auftauchte, erkannte sie jedoch, daß er sie keineswegs hatte kränken wollen. Es war offenkundig, daß er die vorangegangene Nacht durchzecht hatte, denn obwohl es Nachmittag war, schien er sich gerade erst erhoben zu haben. Seine Toga sah aus, als habe er sie hastig übergeworfen, und das dichte, lockige Haar war unfrisiert. Er wirkte verschlafen und roch wie ein offenes Weinfaß.
»Majestät«, begann er, »ich bitte um Vergebung. Ich habe Euch nicht erwartet.«
»Das sehe ich.«
»Bitte, laßt Euch nieder.«
»Ein wunderschönes Haus. Es mangelt freilich an Einrichtung.«
»Ich führe ein einfaches Leben.«
»Nun, das hat man mir anders erzählt.« Genaugenommen hatte Mardian ihr berichtet, daß das Haus einst eine einzigartige Sammlung wertvoller Kunstschätze beherbergt hatte - angefertigt von den ersten Handwerkern des Reiches -, die inzwischen jedoch zum großen Teil beim Würfelspiel verloren oder an Freunde verschenkt worden waren.
Kleopatra nahm auf der einzigen noch vorhandenen Ruhebank Platz. Antonius scheuchte einen Diener auf, damit er ihnen etwas zu essen und trinken holte. Durch die Fenster konnte Kleopatra über den dichtbewaldeten Palatin bis zu den heruntergekommenen insulae der Armen und dem Gewirr von Gebäuden um den Circus Maximus sehen.
Der Diener kam zurück. Mit Verwunderung stellte sie fest, daß Antonius sich aus dem großen Krug, der vor ihm abgesetzt wurde, einen Pokal mit unverdünntem Wein vollschenkte. Das mußte demnach sein Frühstück sein. Sie selbst begnügte sich mit einer kleinen Menge parfümiertem Rosenwasser.
»Welchem Umstand verdanke ich die Ehre?« erkundigte sich Antonius, nachdem er den Pokal geleert hatte. Kleine Rotweintröpfchen glitzerten wie Rubine in seinem Bart.
»Es handelt sich um Caesar.«
Er rieb sich die Stirn. Wie es den Anschein hatte, war er immer noch nicht ganz wach. »Caesar?«
»Ich sorge mich um ihn.«
Armer Marcus Antonius. Er zwinkerte wie eine Eule, die Gedanken noch verwirrt vom Schlaf, vom Wein und, wie sie annahm, auch der Unzucht. Selbst die einfachste Unterhaltung bedurfte einer übermenschlichen Anstrengung.
»Der alte Knabe weiß, was er tut«, brachte er schließlich hervor.
»Er hat seine Leibgarde entlassen!«
»Ja. Ich weiß.«
»Es ist blanker Wahnsinn. Könnt Ihr ihn nicht zur Vernunft bringen?«
Er starrte sie an. Römische Frauen mischten sich nicht in die Belange ihrer Männer ein. Nun ja, Fulvia vielleicht. Aber Fulvia war auch keine Frau. Sie war eine Hyäne, eine giftige Hexe. Und dummerweise auch seine Ehefrau.
»Habt Ihr mit ihm darüber geredet?« fragte er.
»Natürlich.«
»Und?«
»Er zieht weiterhin ohne seine Liktoren durch Rom, demnach hat er meinen Worten wenig Aufmerksamkeit geschenkt.«
»Warum sollte Caesar auf mich hören, wenn er schon nicht auf seine...«
»Mätresse hört?«
»Seine Ratgeber. Auf seinen Sekretär Balbus, der ihn ebenfalls davon zu überzeugen versucht hat.«
»Nun, Balbus ist nur ein Sekretär. Ihr jedoch seid sein engster Freund. Und ein Mann. Vielleicht hört er eher auf Euch als auf mich.«
»Ihr wißt, daß Caesars Person durch den Senat als unantastbar erklärt wurde.«
»Das gilt, bis sich der erste Dolch in seine Rippen bohrt.«
»Rom liebt Caesar, Majestät.«