Seine Lippen glitten über ihre Wange. »Wir werden Götter sein«, flüsterte er.
Du Mistkerl, dachte Kleopatra und wandte den Kopf ab. Er hob gleichgültig die Schultern. Zweifellos hatte er ihre Reaktion vorausgesehen. Und wenn schon? Er würde zwei Jahre in der Fremde sein - mindestens zwei Jahre. Bis er zurückkäme, würde sie ihm verziehen haben. Und schließlich warteten auf dem Weg nach Parthien schon die Frauen anderer Männer, die ihn trösten würden. Wie man hörte, hatte sich Herodes gerade wieder frisch vermählt.
»Auf daß die Götter dich begleiten und deinen Weg behüten«, sagte Kleopatra förmlich.
In seinen Augen glomm ein seltsamer Blick. War es etwa Reue? Nun, sie hätte darauf nicht wetten wollen. »Vale, Kätzchen.«
Sie schwieg und sah zu, wie er ging. Was immer auch geschieht, dachte sie, von einem Römer lasse ich mich nicht mehr betrügen.
Kleopatra konnte nicht schlafen.
Der März war inzwischen weiter fortgeschritten, doch der Winter wollte nicht weichen. Stürme kamen aus dem Norden mit Regengüssen und Windböen von solcher Stärke, daß sie etliche der Zypressen im Garten entwurzelten.
Kleopatra lag in ihrem Bett, hörte, wie der Wind um die Pinien stob, Äste brach und heulend durch die Türritzen fegte. Irgendwo ging ein Lampenständer mit lautem Getöse zu Boden.
In den vergangenen Tagen war die Stadt von einer eigenartigen Spannung erfaßt gewesen. Jeder wußte, daß der Senat am folgenden Tag - an den Iden des März - die Sibyllinischen Orakel diskutieren würde. Mardian hatte inzwischen Gerüchte vernommen, nach denen man Caesar nach dem Leben trachtete. Doch solche Gerüchte kursierten schon von jeher.
Auf den Märkten wurden die Schwätzer und Wahrsager belagert, als seien sie das eigentliche Orakel. Die Rede war von wunderlichen Zeichen, von neugeborenen Kindern, die mit zwei Köpfen zur Welt kamen, Statuen, die blutige Tränen vergossen, von Lichtern, die am Himmel erschienen. Eine Geschichte, die sich besonderer Beliebtheit erfreute, war die eines Wolfes, der aus den Wäldern auftauchte, einem Torwächter das Schwert entriß und damit in der Nacht verschwand.
Kleopatra starrte in die Dunkelheit, zerbrach sich den Kopf und dachte an Caesars Kompromiß. Im Grunde war es mehr, als sie damals zu hoffen gewagt hatte. Caesar als König und Gemahl der Königin von Ägypten! Es würde ihrem Land Frieden gewähren, und Caesarion wäre die Nachfolge sicher. Nein - das stimmte nicht, sicher wäre sie nicht. Caesarion war noch klein, und es war durchaus absehbar, daß Caesar seine Thronbesteigung gar nicht mehr erlebte. Und nach Caesars Tod gäbe es andere Menschen, die Rom regierten. Vielleicht würde der nächste Imperator all das zurücknehmen, was Caesar gewährt hatte. Letztlich habe ich gar nichts bekommen, dachte Kleopatra.
19
Die Zweige der Pinien schwankten heftig im Wind. Über den Himmel zogen dichte dunkle Wolken, und ein Blitz erhellte die Statuen in den Gärten, machte sie auf gespenstische Weise lebendig.
Kleopatra stand am Fenster und spürte, wie sie ein seltsames Gefühl des Unbehagens beschlich, so als würde ihr jeden Moment übel werden. Die Stadt schimmerte in einem unheimlichen grünlichen Licht, und ihre Katzen jagten aufgestört durch die Räume und fauchten. Die Diener fuhren bei jedem Blitz zusammen und befingerten ihre Amulette am Hals. In den späten Morgenstunden hörte einer von ihnen Lärm, der aus der Stadt zu ihnen drang, doch bis man ihr davon Meldung machte, war er wieder beigelegt. Kleopatra nahm an, daß Legionäre nach irgendwelchen Unruhen die Ordnung wiederhergestellt hatten. Sie fragte sich, ob es etwas mit dem Geschehen im Senat zu tun gehabt hatte. War es öffentlicher Beifall gewesen, als man Caesar zum König ausrief? Oder war die Senatsdebatte in einen Aufstand gemündet? Wo steckten Mardians Spitzel, wenn man sie brauchte?
Es war kurz nach Mittag, als ein Wagen vor dem Tor hielt. Der Mann, der ausstieg, war Konsul Marcus Antonius in Begleitung einer schwerbewaffneten Leibgarde. Die Männer strömten aus und verteilten sich wie Fliegenschwärme über die Gärten, mit gezückten Waffen, die Mienen starr und ernst. Kleopatra wußte, daß etwas Schreckliches vorgefallen sein mußte.
Sie empfing Antonius in dem großen Raum, von dem aus man die Gärten überblicken konnte. Sie erkannte ihn kaum wieder, so grau war sein Gesicht, die Züge so hart. Draußen ging ein Hagelschauer nieder, die Körner trommelten gegen die Fenster, als würden sie aus Katapulten geschleudert. Über den sieben Hügeln der Stadt grollte der Donner.
Nun wußte sie Bescheid.
»Er ist tot, nicht wahr?«
Antonius nickte. »Er wurde ermordet. Mitten im Senat, zu Füßen der Statue des Pompejus, vor aller Augen. Es waren etwa zwanzig, die sich um ihn drängten und mit Dolchen auf ihn einstachen.«
Es war, als stünde die Erde still. Das durfte nicht sein. Und doch war es der Moment, den sie seit ihrer Ankunft gefürchtet hatte. Der unbesiegbare Gott - tot! Kleopatra dachte an den Tag zurück, an dem er sich in den Hafen Alexandrias gestürzt hatte und in voller Rüstung durch die Wellen geschwommen war, während um ihn herum die feindlichen Speere niederprasselten. Hatte er das überlebt, nur um dem eigenen Senat zum Opfer zu fallen? Sie erinnerte sich wieder an die Worte ihres Vaters. Jeder Palast birgt Schlangen.
So viel, so unendlich viel hatte von dem Schlagen eines Herzens abgehangen.
Sie schloß die Augen. Es war wie ein böser Traum. »Wer war es?«
»Cassius. Decimus. Sogar Marcus Brutus. Später stürmten sie zum Forum und brüllten etwas von Freiheit und der Republik. Die übrigen Senatoren haben ihre Togen gerafft und sind geflohen wie Weiber. Jetzt herrscht Aufruhr, die Gladiatoren haben bereits mit Plünderungen begonnen.«
Kleopatra war wie betäubt. Warum fühlte sie nichts? »Ich habe ihn gewarnt«, stieß sie schließlich hervor.
»Wir alle haben ihn gewarnt, Majestät. Ich bin sicher, der alte Knabe wußte, in welche Gefahr er sich begab.«
Caesar war tot - und wenn man ihn ermorden konnte, war niemand mehr sicher. »Seid auch Ihr in Gefahr, Marcus Antonius?«
Er lächelte zum ersten Mal. »Dazu müßte ich ihnen erst einmal in die Hände geraten. Anders als Caesar traue ich der Leibwache mehr als der Liebe der Menschen.«
Kleopatra dachte daran, daß am Ende des Ganges ein kleiner Junge spielte, der als nächster auf der Liste der Mörder stehen konnte. Was war, wenn sie nicht nur Caesar, sondern alles von ihm vernichten wollten? »Und ich? Mein Sohn?«
Das Lächeln erlosch. »Es wäre gut, wenn Ihr nicht länger hier verweiltet. Die Zeiten sind unsicher. Nun, da Caesar nicht mehr ist, weiß niemand, was in Rom geschieht.«
Er hat recht, dachte Kleopatra. Wer weiß, vielleicht ist sogar er schon mein nächster Feind. Wie oft hatte man Antonius als Caesars Nachfolger im Munde geführt, obgleich dabei wohl niemand geglaubt hatte, daß sich die Frage so bald erhob. Doch nun warf die Lage ein ganz neues Licht auf diesen -diesen Feuerkopf und Taugenichts. Vielleicht war der Tag gar nicht mehr so weit, an dem sie, Kleopatra, ihn bekriegen oder befreunden mußte.
Seine Geliebte werden mußte.
»Ich nehme an, Ihr habt auch weiterhin gute Vorkehrungen zu Eurem Schutz getroffen«, sagte Kleopatra.
»Das habe ich«, er nickte.
»Sind Brutus und Cassius die neuen Herren Roms?«
»Brutus und Cassius schwingen nur wilde Reden. Dabei fuchteln sie mit dem Mörderdolch und schreien die alten Parolen. Zur Vorsicht habe ich Lepidus gebeten, die Legionen zum Marsfeld zu schaffen. Laßt mir zwei Tage. Dann hole ich das zurück, was sie glauben, gewonnen zu haben.«
Plötzlich verstand sie, weshalb Caesar Antonius geliebt hatte. Es gab Männer, die treu zur Stelle waren, wenn es zu kämpfen galt. Vielleicht taugten sie nicht zu Friedenszeiten, doch wenn Blut vergossen wurde, war auf sie Verlaß.