Er studierte das erste Testament und ging die Liste der Nacherben durch. Dort tauchte auch Decimus Brutus auf, einer derer, die ihn ermordet hatten. Der alte Knabe war zwar ein begnadeter Feldherr gewesen, doch bei allem, was recht war, ein guter Menschenkenner war er nicht.
Kleopatra mußte hinaus ins Freie. Blindlings stürzte sie aus dem Haus, spürte den Regen wie kalte Pfeile auf dem Gesicht. Sie lief einfach geradeaus, stolperte mit rauhen Schluchzlauten durch schlammige Pfützen, bis sie auf einer nassen Marmorbank niedersank.
Sie hatte ihn gewarnt. Als er die Leibgarde entließ, hatte er sich ihnen dargeboten, sie regelrecht herausgefordert, den Dolch zu zücken und über ihn herzufallen.
Warum hatte er nicht auf sie gehört? Warum?
Am liebsten hätte sie sich auf die Erde geworfen und getobt und geschrien. Alles war verloren, einfach weggeworfen. Nicht nur sein Leben, auch das ihrige und das ihres Sohnes. Du Narr, rief sie in den Wind und zu den peitschenden Regentropfen. Ihr Körper bebte vor Wut.
Du Narr!
Doch dann wurde ihr klar, warum alles so gekommen war. Es lag an diesem Volk, dieser Stadt. Sie glaubten an die Größe des Römertums, es war ihnen wichtiger als alles andere, und zuletzt hatte genau dies ihn getötet.
Tief in seinem Herzen mußte er selbst an der Richtigkeit seiner Absicht gezweifelt haben. Er wollte den römischen Göttern gefallen, den steinernen Figuren mit den strengen Gesichtern, an die er nicht zu glauben vorgab. Ihnen hatte er sich ausgeliefert, seinen Ehrgeiz auf ihren Prüfstein gelegt. Sein römisches Gewissen hatte sich seinen Wünschen widersetzt. Er selbst hatte nicht gewollt, daß Rom einen König erhielt - einen, der sich mit einer fremdländischen Königin vermählte. Kleopatras Zorn ebbte so schnell wieder ab, wie er gekommen war, und sie fing an zu weinen. Sie weinte um Ägypten, um Caesarion und schließlich um sich selbst. Sie weinte, weil sie Caesar am Vortag im Bösen hatte ziehen lassen - ohne ein Lebewohl.
20
Sie hatten Caesar ermordet, dachte Antonius, eine Tat begangen, die ihresgleichen suchte, und sich dann aufgeführt wie dumme Jungen. Sie hatten den Fehler gemacht, Brutus im Forum reden zu lassen, damit sie das Volk auf ihre Seite bekämen. Seine Ausführungen waren langatmig und verworren wie immer, gespickt mit Bezügen zur Republik, wo doch das Volk nur hinhörte, wenn es um Steuererlaß ging oder Krieg. Zudem hatte Brutus vergessen, daß der gemeine Mann Caesar geliebt hatte, wenn auch auf seine Weise. Nach einer Weile waren die Menschen Brutus' Worten überdrüssig geworden, hatten sich gegen ihn empört und ihn und seinen Anhang aus dem Forum gejagt.
Der nächste Fehler, den die Verschwörer begingen, war, Cicero zum neuen Führer Roms auszurufen. Er war ein großartiger Redner, aber ein Versager, wenn es einen Aufstand zu bekämpfen galt. Während er mit Cassius und Brutus in Gedanken das perfekte Rom entwarf, hatte Antonius sich der Unterstützung des Marcus Lepidus versichert, des Oberbefehlshabers der Reiterei, einer von Caesars Getreuen. Lepidus hatte vorgeschwebt, daß er dafür der neue Pontifex Maximus würde, eine Illusion, die Antonius ihm beließ.
Antonius hatte inzwischen drei Kohorten zum Forum verlegt und den restlichen Truppen befohlen, die Wachen an den Stadttoren zu verstärken. Ausgestattet mit Caesars Testament und seinen Staatspapieren, traf er sich mit Caesars Bankier, Caesars Sekretär und den Konsuln, die Caesar noch kurz vor seinem Tod ernannt hatte. Innerhalb weniger Tage besaß Antonius, dank der Dreifaltigkeit aus Geld, Politik und der Armee, die Kontrolle über Rom.
Die Verschwörer hatten nur ihre Prinzipien - eine mangelhafte Gegenwehr, wie sich bald herausstellte.
Zwei Tage nach Caesars Ermordung versammelte sich der Senat abermals im Theater des Pompejus. Cicero beantragte, die Caesarmörder zu begnadigen, doch anderen war das der Milde noch nicht genug. Freunde von Brutus und Cassius schlugen vor, den Verschwörern - oder Befreiern, wie sie sie nannten - Ehre zu bezeugen und sie als Retter des Volkes zu feiern. Einer der Senatoren ging sogar soweit, die Tat als Tyrannenmord zu loben und Caesars Verfügungen als ungültig zu erklären.
Antonius nahm sich Zeit und ließ sie alle ausreden, ehe er sich erhob und den Senatsvätern mit ruhiger Stimme das Unvernünftige ihrer Absichten darlegte. »Wenn Caesars Erlasse ungültig werden«, sagte er, an Brutus und Cassius gewandt, »seid ihr nicht mehr Prätor. Du, Decimus, wärest hinfort nicht mehr Statthalter des zisalpinischen Gallien, und Tillius Cimber verlöre Bithynien.« Er drohte den Senatoren mit dem Finger, wie kleinen Kindern, denen man das Naschwerk verwehrt. »Und für dich, Trebonius, gäbe es kein Asien.«
Aus den Reihen der übrigen ertönte schallendes Gelächter.
Als Cassius und Brutus einsahen, daß ihre Vorschläge ohne Resonanz blieben, wollten sie erreichen, daß Caesar heimlich und in Unehre begraben würde. Antonius seufzte und wies sie geduldig darauf hin, daß man ihrem Ansinnen deshalb nicht nachkommen könne, weil jeder Konsul, der im Amt verstarb, Recht auf ein öffentliches Begräbnis hatte. So wollte es das Gesetz.
Lächelnd, umsichtig und ausnahmsweise auch einmal nüchtern erreichte er sein Ziel nach Plan. Allerdings hatte er in aller Stille auch Lepidus' Legionen im Marsfeld aufmarschieren lassen.
Für alle Fälle.
21
Sie begruben Caesar an einem grauen Tag. Bleigraue Wolken jagten über die Stadt, der Nordwind fegte heulend durch die Gassen. Einige glaubten, es seien die alten Könige Roms, die den Tod des Caesar beklagten.
Er ist gestorben, dachte Kleopatra, und mit ihm meine Träume.
In diesem Augenblick haßte sie ihn mehr, als sie je einen Menschen gehaßt hatte. Wie typisch für ihn, an nichts und niemanden zu denken, außer an sich selbst. Selbst sein Tod war, wie er es gewünscht hätte, schnell und doch gewaltig. Auf dem Gipfel der Macht hatte er ihn ereilt, ihm die Prüfung in Parthien erspart. Im Vertrauen auf seinen Erfolg hatte Rom ihm den Ruhm eines Alexanders vorab gewährt - doch was wäre geschehen, wenn Caesar besiegt worden wäre?
Nun, er würde es nicht mehr erfahren. Seine Größe als Feldherr war unbestritten, selbst wenn er den letzten Beweis nicht hatte antreten müssen.
Doch was war ihr von seiner Hinterlassenschaft geblieben? Ihr Sohn war ohne Thron. Der Geliebten, der Königin, die so lange gewartet und der er so viel versprochen hatte, blieb nur die leere Asche. In den eigenen Tod hatte er sich vernarrt, hatte sich dieser neuen Leidenschaft hingegeben - ohne Rücksicht auf die, die ihm so lange treu ergeben war.
Und doch werde ich nicht in Selbstmitleid zerfließen, dachte Kleopatra. Ich wußte immer, daß es ein Spiel war. Und ich habe nicht alles verloren. Caesar hat mir den Thron zurückerobert, und dafür will ich dankbar sein. Nun beginnt eben alles noch einmal von vorn. Doch es wird lange dauern, bis ich seinen Tod verwunden habe, denn ich habe auch den Geliebten verloren, den Gefährten, den Menschen, dem ich mich öffnen konnte, meinen Lehrer in den Ränkespielen der Macht. Jemanden wie ihn wird es für mich nie mehr geben. Sie hatte die Einsamkeit begriffen, die das Königtum mit sich führte, doch Caesar hatte ihr gezeigt, daß diese Last teilbar war, wenn es jemanden gab, der einen verstand.
Er hat mich in die Falle gelockt, die ich immer vermeiden wollte, dachte Kleopatra. Das, was er mir hinterläßt, ist die Einsicht, daß ich ihn, diesen gerissenen, treulosen Mistkerl, mehr geliebt habe als er mich.
Die Totenbahre stand im Forum. Die Liegestatt für den Toten war dem Venustempel nachempfunden, geschnitzt aus reinem
Elfenbein, bedeckt mit Tüchern aus Gold und Purpur, umgeben von marmornen Säulen.
Die Ehrengäste zogen über die Stufen des Vestatempels zu der Galerie, die man hastig errichtet hatte. Da die Stimmung des Volkes als unberechenbar galt, hatte man Truppen zusammengezogen und um die Stätte postiert.