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Olympos hatte den Kopf geschüttelt und sie vor übertriebenem Eifer gewarnt, doch Kleopatra hatte festgestellt, daß Arbeit ebenso heilsam sein konnte wie Medizin. Was sollte sie auch im Bett? Schlaf fand sie ohnehin erst, wenn die Erschöpfung sie dazu zwang.

Sie trat ans Fenster und atmete die frische salzige Meerluft ein. Die Flamme des Leuchtfeuers spiegelte sich im Wasser und tauchte die Fischerflotte, die an der Insel vor Anker lag, in ein rötliches Licht.

Irgendwo da draußen, jenseits des schwarzen Ozeans, lauerten ihre Feinde und schmiedeten neue Pläne.

Brutus war aus Rom geflüchtet, um sich in Sicherheit zu bringen. Er hatte sich in Makedonien niedergelassen. Cassius hatte in Asien Truppen ausgehoben und Xanthus und Tarsos überfallen und geplündert. Gegenwärtig marschierte er gegen Syrien, gegen den dortigen Statthalter Dolabella, der einer von Caesars Getreuen gewesen war.

Doch es gab auch eine gute Nachricht: Trebonius, ein weiterer der Verschwörer, hatte die Stirn besessen, den Posten als Statthalter von Bithynien zu beziehen, den Caesar ihm zugedacht hatte. Doch Dolabella hatte ihn verfolgt, seine Truppen geschlagen und mit ihm abgerechnet. Wie es hieß, hatte er Trebonius' Kopf einer aufgebrachten Menge überlassen, die in den Straßen von Smyrna damit spielte wie mit einem Ball. Kleopatra hatte Dolabella mit den Legionen unterstützt, die Caesar ihr in Ägypten zurückgelassen hatte. Ihre Minister hatten gemurrt und ihr vorgehalten, daß Dolabella dennoch nicht über genügend Legionen verfüge, um Cassius im Falle eines Rachefeldzugs standzuhalten, und daß sie Gefahr liefe, auf der Verliererseite zu enden. Doch sie war standhaft geblieben. Was hätte sie denn auch anderes tun sollen? Etwa jenen zu Hilfe eilen, die den Vater ihres Sohnes ermordet hatten?

Und Antonius? Auf welcher Seite stand er bei diesen Auseinandersetzungen? Antonius hatte sich in die inneren Machtkämpfe Roms verstrickt und kämpfte an allen Fronten, ob gegen Octavian oder Cicero. Doch Kleopatra hatte sich inzwischen geschworen, daß sie nicht noch einmal warten würde, bis ein Römer sie rettete. Ägypten mußte in die Lage versetzt werden, sich aus eigener Kraft verteidigen zu können. Als Folge dieses Entschlusses hatte sie den Bau einer neuen Flotte befohlen. Zu Lande waren die römischen Legionen unschlagbar, doch auf dem Meer war ihnen der Erfolg seltener geglückt. Diese Schwäche galt es auszunutzen - die Flotte würde Ägyptens Schutzschild sein!

Bisher hatte Kleopatra den Bau von zweihundert Schiffen in Auftrag gegeben. Die Ausgabe würde zwar die Staatsreserven erschöpfen, doch welchen Zweck hatte es, die reichen Schätze zu horten, wenn später die Römer kommen würden, um sie zu erbeuten?

Für den Bau der Flotte kaufte Kleopatra Zedernholz aus Syrien und ließ sowohl in Alexandria als auch entlang des Nildeltas neue Werften errichten. Eine Hälfte der Flotte sollte aus den mächtigsten Vierruderern bestehen, die die Welt je gesehen hatte, die zweite aus leichten Seglern. Selbst Isis, die Königin des Meeres, wäre stolz gewesen auf diese Flotte.

Kleopatra wandte sich vom Fenster ab, wohl wissend, daß sie in dieser Nacht keinen Schlaf finden würde. Zu viele Gedanken kreisten ihr durch den Kopf. Ihre Füße trugen sie über den langen Gang zu den Gemächern des Bruders, Ehemanns und Mitregenten.

Man hatte Antiochos' Bett während der heißen Nächte draußen auf der Terrasse aufgeschlagen. Die zarte Gestalt wirkte klein und verloren. Auf dem abgezehrten Gesicht glänzten die Augen wie schwarze Seen. Olympos hatte zwar die Hoffnung geäußert, daß Antiochos sich nun, da er das unwirtliche Klima Roms hinter sich gelassen hatte, erholen würde, doch die Überfahrt hatte ihn zu sehr geschwächt, und er kümmerte weiter vor sich hin.

An diesem Abend hatte er die Augen auf den Himmel gerichtet, doch es waren nicht allein die Sterne, die seine Aufmerksamkeit gefesselt hatten. Kurz nach ihrer Ankunft in Alexandria war plötzlich ein Komet erschienen, und das Ende seines schimmernden Schweifs berührte die Spitze des Leuchtturms. Jede Nacht tauchte er auf, ein Wunder, das Sterndeuter selbst aus so weit entfernten Ländern wie Parthien angelockt hatte.

Viele von ihnen glaubten, daß es sich um ein Zeichen der Götter handele, legten es als Fluch aus oder als Verheißung. Andere wiederum waren der Meinung, daß es der Geist Caesars war, dessen Seele der Welt noch einmal Lebewohl sagte, ehe sie ihren Platz unter den Göttern einnahm. Es war ein gutes Geschäft für die Wahrsager, denn die Menschen auf den Straßen wurden es nicht müde, sich die Auswirkung des Kometen auf ihr Leben erklären zu lassen.

Doch auch andere Phänomene trieben die Abergläubischen derzeit auf die Marktplätze von Rhakotis. Ein Gerücht besagte, daß es eine Krokodilplage am Nil gäbe, oberhalb von Theben. Kleopatra hatte Berichte erhalten, nach denen sich die dortige Flußbevölkerung bereits nicht mehr in die Nähe des Wassers wagte. Angeblich waren den Raubtieren schon Kinder und Hunde zum Opfer gefallen. Unter den Gelehrten des Museion war man sich uneins, was die Bedeutung dieser Plage betraf, doch in den Tempeln der chora opferten die Menschen Sobek, dem Gott mit dem Krokodilkopf, und flehten ihn um Erlösung von dem Übel an.

Nun, dachte Kleopatra, wenn das dort oben Julius ist, der müßig durch die Wolken streift, dann könnte ich ihn eigentlich fragen, warum er mich nicht in seinem Testament bedacht hat. Und statt dessen Octavian, einen Burschen ohne Kenntnis, der nicht über die Erfahrung verfügte, öffentliche Ämter zu bekleiden? Ihm hatte er sein Vermögen vermacht, ihm den Namen gegeben, den Namen des Gottes.

Hatte er nicht gewußt, daß der Name dem Menschen große Macht verleihen konnte, mehr noch als Gold und Soldaten?

Sie hatte für Caesarion nichts gewollt außer diesen Namen, denn er hätte ihm Legitimation verschafft, ihm einen Platz in der Welt eingeräumt. Statt dessen hatte Caesar ihn an Octavian weitergereicht.

Warum hatte er das getan? Warum nur?

War es wieder eins seiner Spiele gewesen? Auch über den Tod hinaus war er ihr gegenüber rätselhaft geblieben, rätselhaft und treulos. Der Zorn darüber hatte sich mit ihrer Trauer verbunden und sie auf seltsame Weise verstärkt.

»Ich hasse dich, Julius«, flüsterte sie dem Nachthimmel zu.

Nach einer Weile zog der Komet auf seiner Bahn weiter und entschwand. Caesar hatte sich zur Ruhe begeben, sich der Bürde entledigt. Ihre hingegen bestand unverändert weiter.

Kleopatra beugte sich vor und führte die Lippen an das Ohr ihres Bruders. »Antiochos«, wisperte sie.

Der Junge regte sich nicht. Nichts deutete darauf hin, daß er sie gehört hatte. Seine Augen waren geöffnet, klar wie das Wasser am Fuße des Palasts, doch seelenlos und leer. Sie streckte die Hand aus, um seinen Atem zu fühlen. Warum dauerte dies so lange?

»Antiochos, es tut mir so leid«, sagte sie leise.

Als sie das Gemach verließ, wartete Mardian draußen auf sie. Der Ausdruck auf seinem Gesicht war schwer zu deuten. Kleopatra glaubte, so etwas wie einen Vorwurf darin zu lesen.

»Wie geht es ihm?« fragte er.

»Ich glaube, er ist tot.«

Mardian nickte bedächtig. Es schien, als habe er mit dieser Antwort gerechnet. »Gift«, murmelte er.

»Sei nicht albern. Du hast doch gehört, was Olympos gesagt hat. Antiochos hatte die Lungenfäule, der Winter in Rom hat ihn zu sehr geschwächt.«