»Ihr müßt zu ihm gehen«, drängte Diomedes.
»Nur wenn er es unterläßt, mir Befehle zu erteilen. Dann gehe ich. Vorher nicht.«
»Er ist jetzt Herr über Asien.«
»Und ich bin die Königin von Ägypten und nicht seine Dienerin.«
Kleopatra wußte, was man bei Hof dachte. Erst die Hungersnot, dann die Pest, und dann der Verlust der halben Flotte auf dem Weg nach Brindisi. Sie konnten es sich nicht leisten, Rom zu brüskieren - falls sie das je gekonnt hatten. Nachdem ein gnädiges Geschick sie von Cassius und Brutus befreit hatte, mußte Antonius ihnen als Wohltäter und Retter erscheinen.
Kleopatra sah es anders. Gerade jetzt galt es, den Kopf hochzuhalten und Antonius als gleichrangig zu begegnen.
Ihr dioiketes wackelte bekümmert mit seinem dummen alten Schädel. »Kennt Ihr diesen Marcus Antonius?« fragte er. »In Ephesos bezeichnet man ihn als neuen Dionysos.«
»In Ephesos bezeichnet man alle Römer mit Schwert und Trinklust als neuen Dionysos.«
»Dieser wird dem Namen jedoch gerecht«, ließ Mardian sich vernehmen. »Man hört von unaussprechlichen Dingen, die sich dort abspielen. Ich glaube, er befolgt die heiligen Riten bis zum Exzeß.«
»Marcus Antonius hat sich noch nie zurückgehalten.«
»Ihr kennt ihn also, Majestät?« kam es von dem dioiketes.
»Wir waren uns in Rom wohlgesonnen.«
»Dann könnte Euer Besuch doch die Lage Ägyptens verbessern.«
»Sobald ich dazu bereit bin.«
»Wenn Ihr ihn aber beleidigt...«
»Wovor fürchtet Ihr Euch eigentlich? Daß er uns angreift, wie Cassius es plante? Das wäre vergeudete Furcht. Octavian und Lepidus würden ihm Ägypten nie überlassen. Es würde ihren Pakt gefährden, und das kann nicht in Antonius' Interesse sein.«
»Ein gefährliches Spiel, Majestät.«
»Politik ist immer ein gefährliches Spiel, Diomedes.« »Wir brauchen seine Freundschaft.«
»Rom kennt keine Freunde, sondern nur Verbündete.« Wie sich die Zeiten gewandelt hatten! Wie lange Alexandria versucht hatte, sich von Rom fernzuhalten! Doch es war aussichtslos. Rom war Bestandteil ihres Lebens geworden, wie die Krokodile im Nil und die Kobras in der Wüste. Was ihnen blieb, waren Wachsamkeit und Umsicht.
Kleopatra seufzte. Nun - ändern ließ sich der Zustand nicht mehr. Auch ihre Verbindung mit Caesar trug einen Teil der Schuld daran. Doch da der Traum, Caesarion auf den Thron beider Reiche zu heben, ausgeträumt war, galt es, Antonius den bestmöglichen Handel abzuringen. Kleopatra sah, daß Mardian lächelte.
»Mardian?«
»Ich dachte gerade, daß Euer Besuch ein bedeutendes Ereignis werden könnte. Dionysos trifft Aphrodite - das gäbe ein eindrucksvolles Schauspiel.«
Dieser Gedanke war ihr selbst schon gekommen. Für die Ägypter war sie Isis, Aphrodite für die Griechen. Die Göttin der Liebe. Nun war Antonius zum griechischen Dionysos geworden, dem Gott der Freude, der dem ägyptischen Osiris glich. Gemeinsam würden sie die großen Gottheiten des Ostens verkörpern - dieselben, die Rom haßte.
Was hatte Mardian zu ihr gesagt? Ihr könnt nicht allein regieren. Er wollte, daß sie einen Prinzen erwählte. Und welchen besseren Prinzen gäbe es für sie als einen göttlichen? Er wäre der perfekte Gefährte für eine Göttin. Wenn sie Caesar nicht hatte bekommen können, vielleicht bekäme sie ja Caesars Nachfolger.
Es wäre genau die Art der Vermählung, die sie sich immer vorgestellt hatte - eine politische Verbindung ohne Liebe, weiter nichts. Sie würde damit zurechtkommen, falls man nicht zuviel Zeit miteinander verbrächte. Es gab ja Frauen, die Antonius sogar anziehend fanden, obwohl er es nicht mit Caesar aufnehmen konnte. Doch an diesem Maß mußten letztlich alle Männer scheitern.
Mardian hatte recht. Es würde ein eindrucksvolles Schauspiel abgeben, wenn sie nach Tarsos ginge.
Eindrucksvoller, als manch einer sich dachte.
7
Tarsos in Kleinasien
Die Hänge des Gebirges mit grünen Wiesen und dichten Wäldern erhoben sich weit in der Ferne. Tarsos, die Stadt in der fruchtbaren Ebene Kilikiens, zählte zu den größten des Ostens. Sie war gleichbedeutend mit Ephesos und Antiochia. Es hatte Zeiten gegeben, in denen sie den Ptolemaiern gehört hatte, genau wie Zypern und ein großer Teil der syrischen Küste. Und wer weiß, dachte Kleopatra, ob die Ptolemaier sie nicht eines Tages wieder zurückerlangten.
Im Moment erschien dieser Tag jedoch so entrückt wie das Gebirge am Horizont. Die lange Reise über das Mittelmeer war wieder einmal eine nicht enden wollende Qual gewesen. Es gibt auf der Welt beinahe nichts Schrecklicheres, als seekrank zu sein, ging es ihr durch den Kopf. In diesem Zustand hält man den Tod für eine Gnade. Sie wünschte sich nichts so sehnlich, wie wieder festen Boden unter die Füße zu bekommen, diesem Ungeheuer aus knarrendem, knarzendem Holz und dem fauligen Gestank der unteren Decks zu entrinnen. Doch Verzagen hilft nichts, ermahnte sie sich, und für Schwäche ist keine Zeit. Das Ufer ist nah, und mein Auftritt steht kurz bevor.
Charmion und Iras stützten sie, als sie die Kabine verließ, um zum Oberdeck zu steigen. Sie hatten sie in ein Gewand aus schimmerndem Gold gehüllt. Kleopatra ließ sich dankbar auf dem bereitgestellten Diwan nieder, über dem ein schattenspendender Baldachin aus goldener Seide errichtet worden war. Junge Sklaven, als Cupidos verkleidet, stellten sich neben ihr auf, breiteten die bunten Pfauenfächer aus und wedelten ihr Kühlung zu.
»Ankere im Hafen«, befahl Kleopatra dem Kapitän. »Wir gehen nicht an Land.«
Als sie in die Flußmündung steuerten und sich dem Hafen näherten, wurden die schlichten Zypressenruder, die man während der Reise benutzt hatte, mit schwarzen Ebenholzrudern vertauscht, deren Blätter versilbert waren.
Auch wurden für die Ankunft spezielle Segel aufgezogen, die in der Farbe des königlichen Purpurs leuchteten. Sie waren mit Zedernöl parfümiert. Jeder Windstoß entfaltete ihren Duft und umgab das Schiff mit dem köstlichen Hauch ihrer Wälder. Die Matrosen, die die Segel befestigt hatten, ließen sich an den Masten zurück aufs Deck gleiten. An ihre Stelle schlüpften junge Mädchen, die wie Meerjungfrauen gekleidet waren. Anschließend entzündete man die großen Rauchgefäße mit Weihrauch und Myrrhe.
Kleopatra sah, wie die Menschen zum Ufer strömten. Sie vernahm das ehrfürchtige Raunen, das durch die Menge ging, und Rufe des Entzückens.
Trotz ihrer Verfassung brachte sie ein Lächeln zustande. Sie hatte genau die Wirkung erzielt, die sie beabsichtigt hatte.
In der Regel hielt Antonius auf dem großen Ratsplatz hof, wo er von einem vergoldeten Thron aus die Rechte und Pflichten seiner neuen Gebiete bestimmte. In den vergangenen Monaten hatte er die Könige von Armenien, Thrakien und Judäa empfangen, die Tetrarchen von Pontos, Sidon und Galatien, die Führer und Vertreter jeder östlichen Provinz des römischen Reiches, die sich mit Dienern, Soldaten, Höflingen, Kamelen und vergoldeten Sänften über die staubigen Straßen Asiens auf den Weg gemacht hatten, um ihrem neuen Herrn Ehrerbietung zu erweisen.
Viele von ihnen hatten ihre Frauen und Töchter mitgeführt, um ihre diplomatischen Bemühungen zu unterstreichen, denn Antonius' Vorlieben hatten sich schnell herumgesprochen. So schenkte ihm die schöne Glaphyra ihre Gunst, um ihrem Sohn die Satrapie über Phrygien zu erhalten, und Mariamne blieb mehrere Nächte in seinem Schlafgemach, um ihrem Mann Herodes den Thron von Judäa zu sichern.
Auf diese Weise waren die Monate verstrichen. Ungeduldig und bereits ein wenig verdrossen wartete Antonius nur noch auf die Gesandtschaft aus Ägypten.
Seit Philippi hatte sich sein Leben wie ein wundervoller Traum entwickelt, der seine Sinne auf nahezu vollkommene Weise befriedigte. Asien war eine Offenbarung. Hier war er nicht mehr römischer Magistrat oder der Imperator einer Armee - hier war er ein Gott.