In seinen Augen lag der Ausdruck größter Bewunderung. Ob diese Barbaren tatsächlich glauben, daß sich Perlen in Essig auflösten? fragte sich Kleopatra.
Als Charmion am folgenden Morgen ihr Gemach betrat, hielt Kleopatra ihr ein Gefäß entgegen.
»Irgendwo da drinnen«, sagte sie und ignorierte Charmions gerümpfte Nase, »ist der Ohrring der Königin. Er hat den Wert eines großen Kriegsschiffs. Hol ihn heraus, laß ihn reinigen und bring ihn mir zurück.«
13
Auf dem Palatin in Rom
Plancus Munatius kam gerade von seinem Barbier und bewunderte sich im Spiegel, während Fulvia Karten auf dem Tisch ausbreitete. Munatius war einer der Befehlshaber Antonius' - in ihren Augen ein Speichellecker, der mit dem Tratsch auf dem Aventin besser vertraut war als mit dem Zustand der Armee. Aber was soll's? dachte sie achselzuckend. Schließlich ist es mir ja nur recht, daß er nicht weiß, was er tut.
Ich will die Befehle geben.
Antonius' Bruder Lucius hatte sich in eine Ecke zurückgezogen und brütete finster vor sich hin. Er wollte an Antonius' Ruhm teilhaben, das war sein ganzer Ehrgeiz. Dummerweise suchte er jedoch auch die Liebe des Volkes und schaffte sich dadurch Probleme. Denn beides, wußte Fulvia, konnte man nicht haben.
»Der junge Caesar ist eindeutig zu weit gegangen«, beschwerte sich Lucius, an Plancus gewandt. »Er schert sich keinen Deut um den Vertrag von Brindisi. Er hat seine Veteranen bezahlt, die von Antonius warten immer noch auf ihr Geld.«
»Rechtfertige es, wie du willst«, fuhr Fulvia dazwischen. »Wenn wir das Früchtchen zu Fall bringen, ist dir Antonius' Dankbarkeit gewiß.«
»Jetzt wäre ein günstiger Zeitpunkt«, verkündete Plancus, der sich nur schwer von seinem Spiegelbild trennen konnte.
»Die Blockade von Sextus macht Octavian zu schaffen. Heute morgen hat es schon wieder Aufstände gegeben. Der Pöbel hat einen Kornspeicher in Brand gesteckt. Hungern und dann noch das Getreide verbrennen! Das ist typisch für Rom.«
»Bekommt Ihr genug Männer zusammen, die gegen Octavian kämpfen werden?«
»Die Armee ist mir treu ergeben«, versicherte Plancus.
Fulvia warf einen verstohlenen Blick auf Lucius. Die Armee ist Antonius treu ergeben, dachte sie. Ihr beide hängt euch nur an ihn dran. Doch wichtig war im Moment Octavian, ihn galt es zu vernichten. Die Soldaten standen kurz vor der Meuterei, die Bauern litten unter den Folgen des Bürgerkriegs, das ganze Land war in Unruhe.
Bald wird mein Mann der alleinige Herrscher sein, dachte sie. Selbst wenn ich ein wenig nachhelfen muß. ln Alexandria
»Man behauptet«, hub Antonius an, während ihm ein Sklave die fettigen Finger mit Rosenwasser wusch, »daß es auf dem Markt eine Frau gibt, die zweihundert Jahre alt ist. Sie sagt die Zukunft voraus.«
Kleopatra suchte sich eine dicke Dattel aus. »Wer den Schwatztanten am Hafen glaubt, verliert Unschuld und Geld.«
Antonius lachte. »Nun, eins davon ist längst verwirkt, und das andere hat mich noch nie interessiert.«
Nach einer Weile setzte er erneut an. »Wäre es nicht lustig, wenn wir einmal dorthin gingen?«
»Wohin? Etwa nach Rhakotis?«
»Ja. Warst du denn noch nie dort? Du wirst doch wohl deine eigene Stadt kennen, oder nicht?«
»Rhakotis stinkt. Was sollte ich dort wollen?«
»Wir könnten uns verkleiden. Es wäre ein Riesenspaß.«
Kleopatra kicherte. Die Vorstellung weckte die Abenteurerin in ihr. In früheren Jahren hätte sie nicht einen Moment gezögert, doch die Zeiten, in denen sie sich keck und mutig in Teppiche rollen ließ, waren lange vorbei.
Aber Antonius hatte ständig neue Einfälle und dachte sich fortwährend kleine Spielchen aus. Manchmal, wenn sie mit ihm zusammen war, fühlte sie sich wieder so unbeschwert wie früher.
»Eure Wünsche sind mir Befehl, mein Herr«, sagte sie. »Alexandria gehört Euch.«
Antonius grinste sie an. »Wer weiß?« erwiderte er. »Vielleicht finden wir auch einen schönen Matrosen für dich.«
Kleopatra bewarf ihn mit einem Apfel. Er fing ihn auf und warf ihn zurück. Sie schnappte ihn, gluckste vor Lachen und zielte erneut. Das war der Auftakt zur Schlacht. Die Dienstboten rissen Mund und Augen auf, so hatten sie ihre Königin noch nie erlebt.
Hinterher war der Marmorboden übersät mit Krebsschalen, Kuchenresten und aufgeplatzten Früchten.
Rhakotis war das Armenviertel am Westhafen der Stadt. Nachts wurde es von betrunkenen Matrosen und Dirnen heimgesucht. Sisyphus zeigte Kleopatra und Antonius eine Mauer, die mit bunten Tonfliesen beklebt war, auf denen ein Freier der Dame seiner Wahl Nachrichten hinterlassen konnte.
Kleopatra hatte das Armenviertel noch nie bei Nacht gesehen und war von den Eindrücken überwältigt. Der Gestank der Abwässer und der Fischmärkte vermischte sich mit dem von Kamel- und Eseldung und war überlagert von tausend anderen Gerüchen, die aus den Lagerhallen stammten.
Sie waren zu viert, denn Antonius hatte Sisyphus und Dellius mitgenommen. Die drei hatten sich als reisende Kaufleute verkleidet, Kleopatra trug den Umhang einer einfachen Frau. Sie streiften durch enge dunkle Gassen, in denen rote Rattenaugen aus Abfallbergen funkelten, und stießen auf düstere Tavernen, in denen sich sizilianische und phönizische Matrosen betranken und sich für wenige Münzen eine Hure für die Nacht kauften.
Kleopatra hätte es nicht für möglich gehalten, daß Menschen so leben konnten. Sie kannte die armen Fellachen der chora, doch derlei finstere Lasterhöhlen hatte sie noch nirgendwo gesehen. Die Tavernen waren verrußt von schlechtem Lampenöl und durchtränkt vom billigen Duftwasser der Dirnen. Unter ihren Füßen knirschten leere Austernschalen. Antonius kaufte ihr eine Pastete, von der sie den ersten Bissen gleich wieder ausspuckte.
Und erst die Menschen, die diese Unterwelt bewohnten! Dickbäuchige Matrosen, die halbnackte, oft häßliche Huren betatschten. Antonius und seine Gefährten lachten bei dem Anblick und bestellten sich einen Becher Wein nach dem anderen.
Später, als er betrunken war, beschloß Antonius, selbst ein wenig zur Unterhaltung beizutragen. Er stolperte in eine Gasse, blieb vor einem der Häuschen stehen und hämmerte an die Tür. »Aufmachen!« brüllte er. »Wir suchen nach einem entlaufenen Sklaven. Sein Name ist Cicero.«
Nach einer Weile flackerte im Haus ein Licht auf, und ein Mann kam ihnen mit einer Öllampe entgegen. Antonius konnte sich vor Lachen kaum halten. Er packte Kleopatra am Arm und zog sie mit sich fort. Dellius und Sisyphus folgten ihnen hastig.
»Wer bist du?« hörten sie die aufgebrachte Stimme des Mannes hinter sich. »Was soll das? Du hast mich aufgeweckt. Du Haufen Eseldung! Du elender Kamelfurz!«
Sie bogen um eine Ecke. Antonius ließ sich prustend und keuchend gegen eine Hauswand sinken.
»Das reicht«, schnaufte Dellius. »Laßt uns zum Palast zurückkehren. Es wird gleich Morgen.«
Zu ihrer Überraschung stellte Kleopatra jedoch fest, daß ihr der Sinn noch nicht nach Rückkehr stand. Sie war wieder das kleine Mädchen, das im Alter von fünf Jahren die Wachen vor dem Palast mit Steinen bewarf oder eine Kerze an das Gewand seines Lehrers hielt und vor Vergnügen quietschte, als jener sich in den Seerosenteich rettete. Es war schon so lange her, daß sie etwas getan hatte, das frei war von Pflicht, das sie so mutwillig sein ließ wie damals, als sie ihr Söldnerheer in die Wüste führte und sich zu Caesar tragen ließ.
Antonius schien jedoch genug zu haben. Er plädierte ebenfalls für Heimkehr, als mit einemmal ein Stöhnen aus einem Fenster über ihnen drang. »Hört Ihr das?« fragte er.
»Es reicht jetzt, mein Herr«, mahnte Dellius noch einmal. »Wir müssen zurück.«
»Hört Ihr das denn nicht?« Antonius lachte. »Manche Männer lassen ihre Frauen wohl nie in Ruhe.« Sie beobachteten, wie er im Dunkeln einen Stein ertastete und damit auf den Holzladen vor dem Fenster zielte. Wenige Augenblicke später flog das Fenster auf. »Was gibt es da unten?« brüllte eine Stimme. »Ist deine Frau noch im Dienst?« brüllte Antonius zurück. »Was sagst du da?«