Knisternde Fackeln wiesen ihnen den Weg, und Spinnen und Käfer flohen vor ihnen in dunkle Ecken.
»Dieses ist das Mausoleum von Ptolemaios IV«, sagte Kleopatra. Ihre Stimme wurde als dumpfes Echo zurückgeworfen. »Er hat seinen Vater ermordet, um den Thron zu besteigen. Dort siehst du das Grab von dem Ptolemaios, den man den Dicken nannte. Und hier, unter der Platte mit den Schiffen und Elefanten, liegt einer, der seinen Neffen ermordet und die eigene Mutter geheiratet hat, Kleopatra II. Sie hatten ein Kind, doch dann hat er sich in seine Nichte verliebt, in Berenike. Er hat sie geheiratet, hat das Kind ermordet, das er mit seiner Mutter gezeugt hatte, und ihr den zerstückelten Körper übersandt. Als er starb, tötete Berenike auch Kleopatra. Diese Berenike war die Mutter deines Großvaters. Als er heranwuchs, versuchte sie ihn zu vergiften, woraufhin er sie hinrichten ließ.«
Caesarion starrte sie mit weit aufgerissenen Augen an. Er hatte sich an ihrer Hand festgekrallt und sah aus, als sei ihm übel.
»Warum erzählst du mir das?«
»Ich erzähle es dir, damit du die Wahrheit über deine Familie und über dein Erbe erfährst. Eines Tages bist du König von Ägypten, Caesar Ptolemaios XV. Bis dahin mußt du verstanden haben, daß Herrschaft sowohl eine Bürde als auch ein Geschenk bedeutet. Du mußt deine Vorfahren ehren, selbst wenn viele von ihnen schreckliche Dinge getan haben.« Kleopatra hielt einen Moment inne und fuhr dann fort: »Ich selbst habe auch schreckliche Dinge getan.«
»Was für schreckliche Dinge?«
Wie soll ich es ihm verständlich machen? dachte Kleopatra. Wie kann ich ihm das mit Arsinoe erklären, mit Antiochos und Fulvia? Wie soll er es verstehen? »Das erzähle ich dir, wenn du älter bist. Heute sollst du begreifen, daß Herrscher das Recht besitzen, ihre Pläne auszuführen, selbst wenn es für andere Leid bedeutet. In deinen Schlachten werden Soldaten sterben, und Rivalen werden auf deinen Befehl hin ermordet. Ist dir die Bürde zu groß, kannst du nicht König sein.«
Caesarion holte tief Luft. »Ich habe verstanden«, antwortete er, doch seine Stimme klang zaghaft. Ein ernstes Kind, dachte Kleopatra. Wie er seinem Vater gleicht!
»Nein, du hast es noch nicht verstanden. Das kannst du erst, wenn du einmal selbst die Macht benutzt hast. Du mußt nur wissen, daß Könige den Willen der Götter ausführen. Die Götter schenken uns Macht und vergeben uns unsere Taten.«
Aus einer der Ecken drang ein Rascheln an ihr Ohr. Es war ein Skorpion, der sich aus dem Schein der Fackeln ins Dunkle flüchtete.
»Mir gefällt es hier nicht«, klagte Caesarion weinerlich.
»Du mußt deine Herkunft begreifen, Caesarion.«
Das schmale, blasse Gesicht schaute zu ihr empor.
»Du bist ein Nachkomme der Isis, durch mich und durch deinen Vater, den die Götter erwählten, um Rom und Ägypten zu vereinen.«
»Warum liegt er nicht hier begraben?«
»Er war ein Römer, und dort herrschen andere Sitten. Dein Vater...« Sie überlegte, wie sie ihn ihm beschreiben sollte. Ob sie alles erwähnen sollte, das Anmaßende in seinem Wesen, die Rücksichtslosigkeit, den Ehrgeiz? Oder nur, daß er ein großer Krieger, ein liebevoller Mann mit einzigartigem Verstand ausgerüstet, gewesen war? Wie sollte sie ihm Julius nahebringen, wenn ihr die Gründe für etliche seiner Taten selbst fremd geblieben waren? »Dein Vater war der kühnste Kämpfer, den es je gab. Er war so groß wie Alexander. Er herrschte über Rom, und er wünschte sich, daß sowohl das römische Reich als auch Ägypten eines Tages dir gehören.«
»Ich wünsche mir...«, begann Caesarion und verstummte wieder. Was immer seine Wünsche ausmachte, ließ sich offenbar nicht in Worte fassen.
Kleopatra kniete sich vor ihn und legte die Hände auf seine Schultern. »Du hast ein Schicksal, Caesarion. Wenn du erwachsen bist, wirst du Rom und Ägypten vereinen und über ein Reich gebieten, das größer ist als das von Alexander. Du wirst den Osten vor den Römern retten. Dafür wurdest du geboren.«
Caesarion nickte, eingeschüchtert von dem Geruch des Todes und dem Blick seiner Mutter.
Er glaubte, was sie sagte, denn er war noch zu jung, um den Zweifel in ihren Augen zu erkennen.
Octavian betrat Scribonias Schlafgemach. Gewöhnlich vermied er übermäßigen Weingenuß, doch im Verlauf des abendlichen Hochzeitsfestes hatte er einiges getrunken. Dennoch fühlte er sich so nüchtern, als ob er Wasser getrunken hätte. Das wird wohl das Entsetzen sein, dachte er.
Scribonia saß aufrecht im Bett, in ein weißes Gewand gehüllt. Ihre Kammerfrau hatte sich große Mühe gegeben und ihr die Haare mit Kämmen und Spangen zu einer modischen Frisur aufgesteckt. Dann hatte man die Ärmste mit Bleiweiß gepudert und Wangen und Lippen mit dem Rot der Lackmusflechte gefärbt. Octavian fand das Ergebnis schaurig.
Er zog die Tür hinter sich zu und legte die Toga ab.
»Wir sollten es rasch hinter uns bringen«, sagte Scribonia.
»Darauf habt Ihr mein Wort.«
Er wußte nicht, ob er es schaffen würde. Agrippa hatte ihm geraten, sich die hübsche Sklavin vor Augen zu halten, die er am Morgen genommen hatte. Der Schuft Maecenas hatte ihm zugeraunt, er solle vor allem an ihn denken. Bis vor wenigen Augenblicken hatte Octavian das noch lustig gefunden, doch nun fühlte er sich wie ein Gladiator, der im Begriff ist, in die Arena zu steigen, und das fand er ganz und gar nicht mehr komisch.
Als er die letzten Kleidungsstücke ablegte, zog Sribonia eine Augenbraue hoch. »Da braucht Ihr aber noch etwas mehr, um einen Eimer zu füllen«, spottete sie.
Götter! Für eine angeblich so hochgeborene Dame ließ ihr Geschmack an Witzen einiges zu wünschen übrig.
6
»Hast du das gesehen?« fragte Octavian.
Sie saßen auf den obersten Rängen des Circus Maximus, und Octavian reichte Antonius eine Münze. Ein silberner denarius, auf dem Sextus' Vater Pompejus abgebildet war, mit einem Dreizack in der Hand. Im Hintergrund erkannte man einen Delphin, und auf der Rückseite befand sich eine Galeere mit aufgeblähten Segeln.
Antonius lächelte. Zu Lebzeiten hatte Pompejus an seinem Ruf als großer Admiral geschmiedet, nun war er sogar zu Neptun aufgestiegen. Wie es aussah, hatte Sextus beschlossen, Octavian bei dessen eigenem Spiel zu schlagen und sich selbst ebenfalls zum Göttersohn zu erheben.
»Ärgert dich das?«
Octavian verzog das Gesicht zu einer säuerlichen Grimasse. »Der Bastard fordert uns heraus. Läßt sich eigene Münzen prägen! Wagt es, sich Göttersohn zu nennen!«
»Das ist in der Tat unbegreiflich«, erwiderte Antonius. Die Ironie verfehlte jedoch ihre Wirkung.
Ihre Unterhaltung wurde von Fanfarenstößen unterbrochen, die den Beginn des Festes verkündeten. Als erstes erwartete man die Prozession der Götter, danach würden Wettkämpfe stattfinden. Jupiter, der als erster an den Zuschauern vorbeigetragen wurde, erntete dünnen, höflichen Applaus.
Antonius lehnte sich zurück, um den Zug in Ruhe zu genießen, doch seine Gedanken irrten ab. Octavian würde sich bald das Leben nehmen müssen, davon war er überzeugt. Er hingegen wollte sich baldmöglichst aus dem Staub machen. Sobald Octavia das Kind zur Welt gebracht hätte, würde er wieder nach Athen gehen. Die Republik kam einfach nicht zur Ruhe. Das Volk traute dem Pakt mit Sextus nicht und ahnte, daß Octavian zum nächsten Krieg rüstete. Als jüngste Maßnahme hatte der junge Caesar Sklaven und Erbschaften besteuern wollen, um neue Gelder einzutreiben, doch als die neuen Erlasse im Forum angeschlagen wurden, hatte der Pöbel sie heruntergerissen. Die Stimmung in der Hauptstadt war aufgeladen.